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"Unsere Kleidung trägt die Welt in sich"

Kann denn Mode Sünde sein? Umwelt­technisch ganz klar ja, erklärt unsere Nachhaltigkeitsexpertin Stephanie Hess.

annabelle: Stephanie Hess, du hast in deinem Nachhaltigkeitsratgeber «Ökologisch!» unter anderem darüber geschrieben, wie sich die Modeherstellung auf die Umwelt auswirkt. Wo liegen denn die grössten Probleme?
Stephanie Hess: Das lässt sich nicht so leicht sagen, weil die Modeproduktion zu mehreren Umweltproblematiken beiträgt. Werden Kleidungsstücke hergestellt, entsteht einerseits viel CO2. Etwa wenn Erdöl gefördert wird und daraus Stoffe wie Polyester, Elasthan, Acryl oder Nylon produziert werden. Aber auch wenn die Rohstoffe für ein Kleidungsstück transportiert werden, entstehen viele Treibhausgase – unsere Kleidung trägt ja die Welt in sich.

Wie meinst du das?
Eine Expertin erklärte es mir einmal so: "Es kann gut sein, dass die Baumwolle des Pullovers, den wir gerade tragen, in Tansania gepflückt, der Faden in Taiwan gesponnen und dann in China zu Stoff verwoben wurde, dass dieser in Italien gefärbt und schliesslich in Rumänien vernäht worden ist." Die Transportwege und auch die vornehmlich fossile Energie, die in den Fabriken verbraucht wird, führen mit dazu, dass die Produktion von Schuhen und Kleidungsstücken für zehn Prozent des weltweiten Treibhausgasausstosses verantwortlich ist.

Du hast von mehreren Umweltproblematiken gesprochen. Welche weiteren gibt es?
Der Baumwollanbau verbraucht sehr viel Wasser. Hinzu kommt, dass bei der Textilherstellung Gewässer verschmutzt werden, weil die Färbe-Abwässer bisweilen ungeklärt in Flüsse abgelassen werden. Aber auch durch den Einsatz von Pestiziden und Dünger im Baumwollanbau. Oder wenn beim Waschen von Polyester-Kleidung Mikroplastik ins Wasser gelangt, das Kläranlagen nicht mehr herausfiltern können. Man darf auch die sozialen Auswirkungen nicht ausser Acht lassen. In der Textilherstellung arbeiten viele Menschen unter einem Existenzlohn.

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"Junge Frauen kaufen heute fünfmal so viele Kleidungsstücke wie einst ihre Mütter, geben aber viel weni­ger Geld dafür aus."

Plüss' Punkte: Mathias Plüss ist Wissenschaftsjournalist und Sammler von allerlei nützlichem wie unnützem Wissen.

Wo siehst du den grössten Handlungsbedarf?
Aus Umweltsicht lässt sich sagen, dass die Auswirkungen immer problematischer geworden sind, weil der Konsum von Kleidung so stark angestiegen ist. Zwischen 2000 und 2015 hat sich die Produktion ungefähr verdoppelt. Grund dafür ist in erster Linie das Geschäftsmodell der Fast Fashion, das ab den 1990er- Jahren aufgekommen ist. Gleichzeitig wurde mehr ressourcenintensiver Polyester in die Textilien gemischt. Ein grosser Hebel im Kampf gegen die durch die Modeproduktion verursachten Umweltprobleme besteht also darin, die Nachfrage stark zu drosseln. Die britische Umweltinitiative «Take The Jump» hat errechnet, dass man, um die Klimaziele 2030 zu erreichen, noch maximal acht neue Kleidungsstücke pro Person und Jahr erwerben sollte. Ausgenommen sind Schuhe, Socken, Unterwäsche und Secondhandstücke.

Wie viele Kleidungsstücke gehen denn in der Schweiz heute pro Jahr über den Ladentisch?
Schätzungen des Bundes gehen davon aus, dass hierzulande sechzig Kleidungstücke pro Person und Jahr erworben werden. Gemäss Greenpeace werden einige dieser neuen Teile gar nicht getragen, bevor sie im Müll oder in der Textilsammlung landen.

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"Pro Jahr werden 15 bis 45 Milliarden neu produzierte Kleidungsstücke nicht verkauft. Die unver­kaufte Ware gelangt grösstenteils ungetra­gen auf Mülldeponien oder in Kehricht­verbrennungsanlagen."

Plüss' Punkte

Warum wird Kleidung heute nicht viel öfter recycelt?
Es gibt noch kaum Möglichkeiten, Textilien auf umweltschonende Weise und ohne dass die ursprüngliche Qualität verloren geht, zu recyceln. Eine grosse Studie von 2017 zeigt, dass nur ein Prozent der Kleidung zu neuen Stücken wiederverwertet wird. Inzwischen, so sagen Expert:innen, könnten es ein paar Prozent mehr sein.

Was rätst du Konsument:innen, die nachhaltiger einkaufen wollen?
Sehr hilfreich finde ich es, den von der globalen Bewegung Fashion Revolution definierten Fragenkatalog durchzugehen, bevor man sich ein neues Kleidungs- stück zulegt: Brauche ich das wirklich? Werde ich es anziehen? Wie oft? Muss es neu sein oder finde ich secondhand etwas Ähnliches? Könnte ich es ausleihen oder mieten? Ist die Qualität so gut, dass es länger als ein Jahr hält? Gibt es fair und ökologisch hergestellte Alternativen?

annabelle x Miele SwapAm 10. Mai 2024 von 14 bis 18 Uhr findet der annabelle x Miele Swap im Kunsthaus in Zürich statt. Alle Infos zu den Annahmetagen, zum Ablauf sowie zum Event findest du hier.

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