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Psychotherapeutin Linda Rasumowsky: «Die Herausforderungen der Mutterrolle werden verniedlicht»

Gesundheit

Psychotherapeutin Linda Rasumowsky: «Die Herausforderungen der Mutterrolle werden verniedlicht»

Linda Rasumowsky ist Psychotherapeutin und Gründerin der Plattform mentalwellmom. Sie sorgt sich um die psychische Gesundheit von jungen Müttern und fordert mehr Selbstmitgefühl.

annabelle: Linda Rasumowsky, Sie haben vor zwei Jahren die Beratungsplattform mentalwellmom gegründet – mit welcher Vision?
Linda Rasumowsky: Ich wünschte mir mehr Wohlbefinden für Eltern. Unterstützungsbedarf sollte normaler werden – und nicht erst bei schwerster Belastung. Und die Investition in psychische Gesundheit darf attraktiv sein und sogar Spass machen!

Sie haben zwei Kinder im Alter von sechs und vier Jahren. Hat Sie die Intensität des Mutterwerdens denn auch selber überrascht?
Ja, in ihrem Ausmass und ihrer Vielschichtigkeit schon. Obwohl ich ziemlich gut informiert war. Ich habe den Eindruck, dass wir als Gesellschaft Müttern einfach nicht ganz glauben, was die Herausforderungen dieser Rolle betrifft. Das hat wohl ganz viel mit Verniedlichung und mangelnder Anerkennung von Care-Arbeit zu tun.

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«Was Mütter tatsächlich leisten, wird kaum gesehen und auch nicht wertgeschätzt»

Worunter leiden Mütter, die zu Ihnen in Beratung oder Therapie kommen, am meisten?
Viele leiden unter den Erwartungen, die von aussen an sie herangetragen werden oder die sie an sich selber stellen. Wir haben ja teils ganz unrealistische Bilder von einer Mutter: die immer glückliche Mutter, die jede Sekunde geniesst, die jede Aufgabe gerne löst, immer entspannt ist und so weiter. Auch gibt es Gefühle, von welchen erwartet wird, dass eine Mutter sie hat oder eben nicht hat. Das kann einen massiven Druck verursachen.

Wo liegen denn die Hauptbelastungen?
Die Care-Arbeit, die immer noch zu einem grossen Teil von Müttern ausgerichtet wird, wird in der Gesellschaft massiv unterschätzt. Viele meinen, diese Mütter seien ja nur zu Hause und arbeiten gar nicht. Was sie tatsächlich leisten, wird kaum gesehen und auch nicht wertgeschätzt. Die Anerkennung entspricht nicht dem Grad der Arbeitsbelastung und auch nicht dem Ausmass der Erschöpfung, die viele Mütter erleben. Eine gute Umsorgung der eigenen psychologischen Grundbedürfnisse kommt da häufig viel zu kurz. Diese Erfahrung machen natürlich nicht nur Mütter, sondern auch Väter.

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«Was brauche ich eigentlich? Was würde mir guttun?»

Welche Auswirkungen können auftreten, wenn man diese Bedürfnisse zu lange ignoriert?
Daraus können verschiedene psychische, aber auch körperliche Symptome entstehen, wie Erschöpfung, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit oder Appetitsteigerung. Darüber hinaus können Ängste, Niedergeschlagenheit oder Freudlosigkeit, Antriebsmangel, also depressive Symptome, aber auch Zwangsgedanken bis hin zu Selbstmordgedanken auftreten.

Und was kann man dagegen tun?
Das ist sehr individuell. Für Eltern ist es oft wichtig, ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen und Entlastung zu priorisieren, weil dies oft nicht viel Platz hat im Alltag. In der Psychotherapie geht es häufig auch darum, die Problematik auf der Partnerschaftsebene anzugehen. Es ist wichtig, gemeinsam zu schauen, wie man das Familiensystem entlasten kann, denn im Idealfall kann die Last von Care-Arbeit verteilt werden. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass man eine Art Selbstmitgefühl entwickelt und sich fragt: Was brauche ich eigentlich? Was würde mir guttun? Und vielfach hilft auch die Auseinandersetzung mit eigenen Prägungen – zum Beispiel, wenn starke Hemmungen bestehen, um Unterstützung zu bitten, weil das als schwach empfunden wird.

Mental Health ist momentan in aller Munde, entsprechend viele auch zweifelhafte Angebote werden beworben. Wie findet man die für sich richtige Hilfe?
Skeptisch sollte man werden, wenn jemand die ganze Wahrheit für sich beansprucht oder sagt, dass eine bestimmte Methode die allerbeste ist. Denn aus psychologischer Sicht ist es selten, dass eine Lebenssituation oder eine Belastung so banal ist, dass man sie mit einer einzigen Massnahme lösen kann.

Linda Rasumowsky (36) ist Psychotherapeutin mit eigener Praxis in Zürich. Info: mentalwellmom.com

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