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Schlafstörungen, PMS, starke Mens: Was Frauen zwischen 35 und 45 wissen müssen

Schlafstörungen, PMS, starke Mens: Was Frauen zwischen 35 und 45 wissen müssen

Die Gynäkologin und Hormonexpertin Judith Bildau hat einen medizinischen Ratgeber für Frauen zwischen 35 und 45 geschrieben. Denn auch Jahre vor den Wechseljahren können schon hormonelle Beschwerden auftreten.

Inhaltshinweis: Suizid

annabelle: Judith Bildau, es gibt – gerade für Frauen – mittlerweile unzählige Bücher zum Thema Gesundheit. Warum braucht es da auch noch Ihr Buch? 
Judith Bildau: In meine Sprechstunde kommen viele Frauen zwischen Mitte 30 und Anfang 40, die starke Beschwerden haben – von ihren Gynäkolog:innen aber weggeschickt wurden, mit der Begründung, für die Wechseljahre sei es noch zu früh. Ich selbst litt mit Ende 30 unter zyklusbedingten, quälenden Schlafstörungen und habe mir – als Gynäkologin wohlgemerkt – selbst herleiten müssen, dass diese wohl mit meinen Hormonen zusammenhängen. Das Wissen aus meinem Buch fehlt also nicht nur den Frauen selbst, sondern auch vielen Fachpersonen.

Ist das die sogenannte Perimenopause?  
Nein, die Perimenopause – also die Jahre vor der allerletzten Menstruation – beginnt durchschnittlich erst mit 45. Das sind die eigentlichen Wechseljahre. Der Begriff Menopause bezeichnet den Zeitpunkt der letzten Blutung einer Frau. Für die Zeitspanne, die ich in meinem Buch thematisiere, gibt es bisher keine offizielle Bezeichnung. Ich habe sie «In Between» genannt.

Diese Beschwerden, die ab Mitte 30 auftreten können, waren also auch in Ihrem Medizinstudium kein Thema? 
Nein, nicht einmal die Wechseljahre!

Welche Beschwerden sind typisch für die «In Between»-Zeit? 
Am häufigsten sind Ein- und Durchschlafstörungen in der zweiten Zyklushälfte, sehr starke Menstruationsblutungen und das prämenstruelle Syndrom (PMS) – also teils gravierende körperliche und psychische Beschwerden, die in den Tagen vor der Mens auftreten. Aber auch vaginale Trockenheit aufgrund eines lokalen Östrogenmangels oder eine plötzliche auftretende Histaminintoleranz sehe ich oft.

Eine Histamintoleranz? 
Ja, einige Frauen ab Mitte 30 vertragen in der zweiten Zyklushälfte plötzlich histamnreiche Lebensmittel wie gereiften Käse oder Tomaten nicht mehr. Sie bekommen Hautausschläge, Blähungen, Kopfschmerzen oder eine verstopfte Nase. Der in diesem Alter typische Östrogenüberschuss bei gleichzeitigem Progesteronmangel sorgt dafür, dass die sogenannten Mastzellen im Körper vermehrt Histamin freisetzen. Werden dann von aussen noch vermehrt histaminhaltige Lebensmittel zugeführt, ist es einfach zu viel und der weibliche Körper rebelliert.

Und PMS – trifft das nicht Menstruierende jeden Alters? 
Sehr viele Frauen entwickeln PMS erst nach ihrem 30. Lebensjahr. Leider wissen wir in der Medizin noch nicht genau, was die Ursache für PMS oder auch die schwere Form, das prämenstruelle dysphorische Syndrom (PMDS), ist. Aber die Vermutung liegt nahe: Wenn PMS zu einem sehr grossen Teil bei Frauen ab 30 auftritt, muss das ebenfalls etwas mit dem hormonellen Ungleichgewicht zu tun haben.

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"Mitte 30 steuern wir auf die Lebensphase zu, in der die Eizellenreserven langsam aufgebraucht sind"

Ihr Buch trägt den Titel «Raus aus dem Hormonkarussell: Die besten Hormonhacks für Frauen ab 35». Warum «Hormonkarussell»? 
Frauen kommen mit einer Reserve von ein bis zwei Millionen Eizellen auf die Welt. Mitte 30 steuern wir auf die Lebensphase zu, in der die Eizellenreserven langsam aufgebraucht sind. Der Körper stellt auf Sparflamme um, damit die Reserven gestreckt werden. Immer häufiger haben wir deshalb sogenannte anovulatorische Zyklen – also Zyklen, in denen kein Eisprung stattfindet ...

... weshalb es ab diesem Alter immer schwieriger wird, schwanger zu werden. 
Genau, diese Tatsache ist allgemein bekannt. Aber dass der damit einhergehende hormonelle Umschwung auch einige Beschwerden mit sich bringen kann, wissen die wenigsten.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach? 
Frauengesundheit galt in der Medizin lange nur im Zusammenhang mit der Fruchtbarkeit als interessant. Deshalb wurden Frauen mit der Menopause abgeschrieben – «nur» das Wohlbefinden der Frau war als Argument schlicht nicht ausreichend. Zum Glück ändert sich das allmählich, denn diese Wissenslücken sind fatal. Vielen Frauen geht es jahrelang schlecht und sie haben keine Ahnung, warum. Dabei gibt es nur schon aus der Pflanzenheilkunde oder der Orthomolekularmedizin – also der gezielten Einnahme von Mikronährstoffen – einiges, was ihnen helfen könnte.

Zurück zum «Hormonkarussell»: Was passiert im Körper, wenn kein Eisprung stattfindet? 
Ohne Eisprung wird das Hormon Progesteron nicht gebildet. So kommt es in der «In Between»-Phase zum Progesteronmangel bei einer relativen Östrogendominanz. Am Östrogenspiegel ändert sich nämlich erst einmal nichts. Erst später, mit dem Einsetzen der Wechseljahre, verändert sich auch der Östrogenspiegel.

Welche Funktion hat Progesteron im Körper? 
Ich nenne das Progesteron unser «Wohlfühlhormon»: Es wirkt angstlösend, entspannend und schmerzlindernd. Aber es hat noch etliche weitere Aufgaben, zum Beispiel wirkt Progesteron auch wasserausscheidend. Wenn es an Progesteron fehlt, haben Frauen oft schmerzhaft spannende Brüste und Wassereinlagerungen in den Beinen.

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"Bei den meisten Frauen zwischen 35 und 45 ist der Alltag sehr intensiv und sie müssen enorm viel stemmen"

In Ihrem Buch gibt es auch ein Kapitel zu Themen wie Familie, Beziehung, Beruf. Warum? 
Weil sich die Lebensumstände auf unsere Gesundheit auswirken. Bei den meisten Frauen zwischen 35 und 45 ist der Alltag sehr intensiv und sie müssen enorm viel stemmen. In dieser Zeit geht es auch um die grossen Themen, allen voran: Will ich nochmal schwanger werden? Oder möchte ich überhaupt Kinder? Viele hinterfragen ihre Beziehung, ihren Job, sind nonstop am Rotieren, stehen unter hohem Druck. Wir wissen, dass der durch anhaltenden Stress erhöhte Cortisolspiegel viele Beschwerden verstärkt.

Haben Sie ein Beispiel? 
Gerade berufstätige Mütter von kleinen Kindern, die während ihrer zweiten Zyklushälfte kaum Pausen machen können, werden oft stärker von PMS geplagt. Ich habe so viele Frauen in meiner Praxis, die vor mir sitzen und sagen: Was bringt mir diese ganze Emanzipation eigentlich, wenn ich zwar vermeintlich alles machen darf – aber im Grunde das Doppelte und Dreifache tun muss?

Ein politisches Thema! 
Natürlich, Frauengesundheit ist hochpolitisch!

Was raten Sie als Gynäkologin den Betroffenen? 
Wenn ich zu einer jungen Mutter, die hochprozentig arbeitet, sage: «Jetzt entspannen Sie sich mal!», wird sie mir den Vogel zeigen – zu Recht! Aber ich möchte trotz der schwierigen gesellschaftspolitischen Umstände aufs Pausemachen hinweisen. Allein aus gesundheitlichen Gründen sollte gelernt werden, gesund Grenzen zu ziehen – wohlwissend, dass es Lebensphasen und -umstände gibt, in denen das unglaublich schwierig ist.

In Ihrem Buch raten Sie bei den meisten Beschwerden in der «In Between»-Zeit zu Mönchspfeffer. Wirklich so ein Alleskönner? 
Mönchspfeffer wirkt hormonregulierend und wir wissen aus Studien, dass die Heilpflanze bei vielen gynäkologischen Beschwerden sehr hilfreich sein kann. Nur: Die meisten Frauen nehmen eine viel zu niedrige Dosis ein – und setzen den Mönchspfeffer dann auch schnell wieder ab, weil er so nicht geholfen hat. Mit Blick auf die Studienlage empfehle ich, zunächst mit 20 Milligramm pro Tag zu starten und auf 40 Milligramm zu steigern, sollten sich die Beschwerden nicht ausreichend bessern.

Was gibt es bei der Einnahme noch zu beachten? 
Mönchspfeffer muss drei bis sechs Monate wirklich täglich eingenommen werden; erst dann lässt sich sagen, ob er der Betroffenen hilft. Ausserdem sollten nach drei Monaten die Leberwerte kontrolliert werden. Es gibt Frauen, die auf Mönchspfeffer mit einer Leberwerterhöhung reagieren – sie sollten dann immer mal wieder Pausen einlegen.

Was hat es mit den Mikronährstoffen auf sich, die Sie im Buch empfehlen? 
Viele Mikronährstoffe nimmt man ganz automatisch mit einer ausgewogenen und gesunden Ernährung zu sich. Aber Studien haben auch gezeigt, dass bei hormonellen Beschwerden die zusätzliche Einnahme von hochdosierten Mikronährstoffen wie Vitamin B6, Zink oder Vitamin D sehr viel bewirken kann. Ich empfehle bei Symptomen, erstmal ein grosses Blutbild machen zu lassen und zu schauen, ob bereits ein Mangel vorliegt. Je nachdem muss die einzelne Dosis dann noch höher ausfallen.

In welchen Fällen empfiehlt sich ein Termin bei der Gynäkologin? 
Ich rate dazu, erst einmal über einige Monate ein Zyklustagebuch zu führen, um zu schauen, ob die Beschwerden wirklich mehrheitlich in der zweiten Zyklushälfte auftauchen. Gerade Schlafstörungen können ja verschiedene Ursachen haben. Und wenn der Mönchspfeffer trotz korrekter Einnahme keine Wirkung zeigt, sollte man sich ärztliche Hilfe holen und einen Hormonstatus erstellen lassen – auch um abzuklären, ob man nicht von den vorzeitigen Wechseljahren betroffen ist.

Kommt das häufig vor? 
Etwa eine von 100 Frauen unter 40 Jahren kommt in die verfrühten Wechseljahre. Anzeichen können Hitzewallungen und ein stark unregelmässiger Zyklus sein – da bleibt die Blutung dann auch mal einige Monate weg. Aber ich kenne Frauen, die leider selbst dann von ihren Ärzt:innen nicht ernst genommen werden. In so einem Fall würde ich unbedingt wechseln.

"Ich will den weiblichen Körper keineswegs pathologisieren – aber man muss die Dinge doch so sehen und beim Namen nennen, wie sie sind"

Welche nicht-pflanzlichen Alternativen zum Mönchspfeffer gibt es bei «In Between»-Beschwerden? 
Es gibt das bioidentische Progesteron – das wird jeden Monat ab der Zyklus-Mitte bis zum Einsetzen der Periode eingenommen. Und wenn das nicht hilft, kann auch die Gestagen-Pille eine Option sein, um den Hormonschwankungen ein Ende zu setzen. Für einige Frauen ist das die Rettung.

Hormone einnehmen? Deren Ruf ist ja definitiv ruiniert. 
Ja, gerade die Pille hat heutzutage einen sehr schlechten Ruf. Ich finde: Man muss von Fall zu Fall individuell mit der Betroffenen schauen, was Sinn ergibt. Ich bin eine grosse Verfechterin der individualisierten Medizin. Wie gesagt leiden einige stark. Wir wissen auch, dass PMS- und PMDS-Patientinnen eine höhere Suizidrate haben. Bei den vorzeitigen Wechseljahren wird gerade bei jungen Frauen eine Hormonersatztherapie von allen Fachgesellschaften der Welt sogar ausdrücklich empfohlen, weil das Risiko erhöht ist, aufgrund des frühen Hormonmangels an Folgeerkrankungen zu leiden.

Besteht bei all diesem Wissen und all diesen Tipps aus Ihrer Sicht eigentlich Gefahr, dass der weibliche Körper pathologisiert wird?  
Ich will den weiblichen Körper keineswegs pathologisieren – aber man muss die Dinge doch so sehen und beim Namen nennen, wie sie sind. Mein Ziel ist es, Frauen durch Aufklärung aus ihrer Opferrolle zu helfen, und aufzuzeigen, wie es ihnen mit relativ wenig Aufwand deutlich besser gehen kann. Ausserdem: Etliche Betroffene fehlen aufgrund ihrer Menstruations-, Endometriose- oder Wechseljahresbeschwerden regelmässig im Job. Das hat erhebliche ökonomische Folgen – wo wir dann wieder bei der politischen Relevanz wären.

«Raus aus dem Hormonkarussell: Die besten Hormon-Hacks für Frauen ab 35» von Dr. med. Judith Bildau ist 2024 erschienen und kostet ca. 30 Franken.

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