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Interview mit Alexandra Haas: Sex als Gefallen – wie dramatisch ist das?

Liebe & Sex 

Interview mit Alexandra Haas: Sex als Gefallen – wie dramatisch ist das?

Knapp drei Viertel aller Deutschschweizerinnen hatten laut unserer Studie «annajetzt» schon einmal Sex, um jemandem einen Gefallen zu tun. Sind sexuelle Gefälligkeiten okay? Ein Interview mit Alexandra Haas, Gründerin des Erotikladens Special Moments.

annabelle: Alexandra Haas, sexuelle Selbstbestimmung steht über allem. Heute hat frau Sex, um sich selbst einen Gefallen zu tun, aber doch nicht jemand anderem. Trotzdem geben 73 Prozent der in der «annajetzt»-Studie befragten Frauen an, genau das schon einmal getan zu haben. Sollte uns die hohe Rate an sexuellen Gefälligkeiten in emanzipatorische Düsternis versetzen?
Alexandra Haas: 73 Prozent – das hört sich nach viel an, aber wir wissen nicht, was genau die Frauen als Gefallen bezeichnen. Oder anders gefragt: Wo fängt «Sex» an? Das ist nämlich höchst individuell. Für die einen kann schon ein intensiver Flirt eine Form von Sexualität sein, für andere beginnt Sex beim Küssen, für wiederum andere fängt der Sex erst an, wenn Genitalien im Spiel sind. Ist es also schon ein Gefallen, wenn ich zum Beispiel jemanden mit der Hand befriedige? Oder wenn ich ihm oder ihr beim Masturbieren zuschaue?

Gute Frage, das lässt die Studie eben offen. Ich gehe davon aus, dass es sich beim «Gefallen» um penetrativen Sex handelt. Penetrativer Sex als Gefallen – wie dramatisch ist das?
Für mich gilt als oberste Maxime beim Sex: Er soll mir guttun und Spass machen. Denn wenn ich mit jemandem Sex geniesse, lasse ich ihn ins Innerste meines Körpers herein, in meinen Tempel, in dem meine Seele wohnt. Ich sehe nicht ein, weshalb ich bei so etwas Wichtigem jemandem einen Gefallen tun sollte – es sei denn, ich bin mit dieser Person in einer innigen Beziehung.

Das heisst also, Sie können sich vorstellen, jemandem einen sexuellen Gefallen zu tun, vorausgesetzt, Sie sind mit dieser Person liiert.
Ja, die Person muss mir viel bedeuten. Selbst in einer sehr innigen Beziehung ist man früher oder später damit konfrontiert, dass nie beide Partner gleich viel Lust auf Sex haben. Wie viel Sex man hat, ist immer Verhandlungssache – wobei derjenige, der sich verweigert, stets in der stärkeren Position ist. Und das ist schwierig. Das Bedürfnis der anderen Person nach Sex ist nämlich genauso gerechtfertigt. Deshalb ist es kein Problem, wenn man seinen Partner oder seine Partnerin auch mal dann verwöhnt, wenn man in diesem Moment selber nicht wahnsinnig Lust hat auf Sex.

Aber ist das nun nicht ein Widerspruch?
Sex soll ja Spass machen – klar. Aber Sex hat ja noch eine ganz andere Komponente: Es geht beim Sex nicht nur um Lustgewinn, sondern auch darum, jemandem so nah zu sein wie nur möglich. Für viele Menschen ist Sex ein Akt der Verbundenheit; oft empfinden Frauen wie Männer den Moment, wenn der Penis von der Vagina empfangen und aufgenommen wird, als eine Art Heimkommen. Diese Empfindung vermittelt einem das Gefühl, ganz zu sein.

Sex zu haben, um Nähe zu generieren – kann das wiederum Lust verursachen?
Ja, denn oft kommt der Appetit tatsächlich beim Essen. Wichtig ist aber, dass ich als selbstbewusste Frau bei diesem Akt mit meinem ganzen Wesen dabei sein und meinem Gegenüber sagen kann: «Ich mache dir ein Geschenk.» Und solang der oder die andere das Geschenk achtsam annimmt und zu schätzen weiss, ist das völlig okay.

Was aber, wenn das Geschenk zur Pflicht wird?
Dann ist es problematisch. Wenn Frauen im Bett nur noch hinhalten, den Sex mechanisch abarbeiten, dann bringt das gar nichts. Wird Sexualität zur Routine, ist dies oft symptomatisch für die ganze Beziehung. Da sollte man genauer hinsehen und sich dabei nicht bloss auf den Sex konzentrieren.

Nun kommt es aber nichtdestotrotz vor, dass Frauen mit jemandem Sex haben, um ihm einen Gefallen zu tun, so quasi aus Mitleid oder aus Angst, ihn vor den Kopf zu stossen.
Und das tut nicht gut. Denn reiner «Charity-Sex» ist leerer Sex. Da hat man ja selber kaum etwas davon, das ist Zeitverschwendung. Noch schlimmer aber ist es, nicht zu wagen, einen Mann abzuweisen, nur weil man sich bis zu einem gewissen Grad auf ihn eingelassen hat – aus Angst, ihn zu verletzen. Viele Frauen sagen sich dann: «Ich bin nun schon so weit gegangen, jetzt kann ich doch nicht mehr zurück. Dann schlaf ich halt mit ihm.» Oder ich weiss von jungen Frauen, die mit einem Mann Sex haben, weil sie fürchten, dass er sonst herumerzählt, sie sei frigid, oder dass sie allen Jungs schöne Augen mache und sich dann im letzten Moment zurückziehe. Das ist für viele junge Frauen eine ganz schwierige Situation. Gerade auch deshalb, weil Frauen noch immer so sozialisiert werden, dass sie nett sein sollen und in jeder Lage auch nett zu bleiben haben.

Dieses weibliche Nettsein kann genau in solchen Situationen zum Bumerang werden.
Leider, ja. Wir Frauen müssen lernen, sehr viel weniger nett zu sein, wenn wir uns in einer Situation wiederfinden, die problematisch ist – oder wenn sich jemand uns gegenüber nicht angemessen benimmt. In dieser Hinsicht haben wir grossen Nachholbedarf. Beim Sex gilt immer: Man ist nie jemandem etwas schuldig. Man kann jederzeit aufstehen und sagen: «Danke, das wars. Es stimmt für mich nicht mehr.» Das ist kein Drama, sondern ein ganz normaler Prozess.

«annajetzt – Frauen in der Schweiz» ist die grosse Frauenbefragung von annabelle und Sotomo. Über 6200 Frauen zwischen 16 und 89 Jahren haben an der repräsentativen Umfrage teilgenommen

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Edgar Ruetz

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