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Kommentar: Krebs ist keine Frage der Schuld

Gesundheit

Kommentar: Krebs ist keine Frage der Schuld

Wer an Krebs erkrankt, hat in erster Linie einfach Pech, schreibt Redaktorin Sarah Lau. Also Schluss mit den Vorwürfen!

Es habe da doch eine Studie gegeben, hiess es neulich in der Mittagspause. Frauen, die ihre Brüste lieben, würden seltener an Brustkrebs erkranken. Und schnell war man sich einig: Mache schon Sinn, ein gutes Körpergefühl, eine positive Einstellung und so weiter. Es stimmt, dass Viren Swami von der Anglia-Ruskin-Universität in Cambridge einen Zusammenhang nachweisen konnte, dass Frauen mit einer geringen Wahrnehmung der eigenen Brüste diese seltener abtasteten und entsprechend später Knoten feststellten. Dass dies Auswirkungen auf die Überlebensrate hat, leuchtet durchaus ein.

Haltet euch zurück!

Erzählen Nichtexpert:innen von solchen Studienergebnissen, passiert es jedoch oft, dass wir nicht nur verkürzen, sondern obendrein unbedacht einen Vorwurf implizieren. In diesem Fall: Wer an Brustkrebs stirbt, hat seinen Busen nicht genug geliebt. Googelt man das Thema Brustkrebs, tauchen erschreckend viele Treffer auf, die die Angst der Erkrankten offenbaren, etwas falsch gemacht zu haben.

Wurden meine Brüste zu sehr gequetscht? Habe ich zu viel gestillt? Zu wenig gestillt? Überall dringt sie durch, die bange Frage nach der Schuld. Frauen, die sich selbst infrage stellen. Weil sie es gewohnt sind, von der Gesellschaft oft infrage gestellt zu werden?

Auch meine Mutter ist schwer an Brustkrebs erkrankt. Der Hang zur Dramatik ist ihr fremd: Wenn sie über den Krebs spricht, dann voller Abscheu, aber gefasst. Richtig angegriffen jedoch fühlt sie sich bis heute durch Mutmassungen, die ihre Freund:innen zum «Warum» anstellen. «Hättest du nur nicht immer all deine Sorgen in dich reingefressen», sagte jemand, nicht ohne aufrichtiges Mitleid in der Stimme. «Der Krebs war eben das Ventil. Die Brust, so nah über dem vor Sorgen geplagten Herzen – logisch.» Sehr geehrte Vertreter:innen der Selbstliebepolizei: Haltet euch zurück!

Man kann nicht «gewinnen» oder «verlieren»

Krebs ist in erster Linie ein ganz grosses Pech. Weder will ich die Wechselwirkungen von Psyche und Körper leugnen, noch Risikofaktoren wie Zigaretten und Alkohol vom Tisch fegen. Und wenn jemand seine Erkrankung als Anlass nimmt, um über Stress und Lebenswandel nachzudenken, ist das wunderbar.

Aber Menschen, die sich eh schon in der erschütternden Lage befinden, Krebs bekommen zu haben, mehr oder weniger verklausuliert zu sagen, dass sie selbst auch noch die Verantwortung dafür tragen, ist echt übel. Ebenso sollten wir von der Terminologie abrücken, gegen den Krebs zu «gewinnen» oder zu «verlieren». Denn auch hier versteckt sich die Annahme, es habe sich gegebenenfalls jemand zu wenig angestrengt, um den Sieg zu verdienen.

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«Universell bleibt, dass Krebs die Krankheit ist, die alle treffen kann.»

Das Wer-Wie-Was-und-Warum ist höchst individuell. Universell bleibt, dass Krebs die Krankheit ist, die alle treffen kann. Und ja, es wird immer wieder Widersprüche geben, die nur schwer zu verstehen sind und Angst machen. Vegane Nichtraucher:innen, die jung an Lungenkrebs sterben, genauso wie Partykönig:innen, die hundert werden, zeigen eben einmal mehr: Es gibt keine Sicherheit. Da wäre es doch zumindest schön, sich als Erkrankte:r darauf verlassen zu können, nicht auch noch in den Selbstzweifeln befeuert zu werden. Das gilt übrigens für gesunde wie kranke Tage im Leben.

Die App «Dear Mamma» soll weltweit Leben retten

Die Statistiken sind düster: Gemäss der Krebsliga Schweiz erkranken hierzulande jährlich 6300 Frauen (und 50 Männer) neu an Brustkrebs, 1400 (plus 10 Männer) sterben daran – das sind nach wie vor viel zu viele. Die Rate der Todesfälle, darüber sind sich Expert:innen einig, könnte gesenkt werden, wenn die Erkrankung vermehrt frühzeitig entdeckt würde. Denn je eher Brustkrebs erkannt wird, desto besser sind die Heilungschancen.

An diesem Punkt setzt die App «Dear Mamma» an: Dieser digitale Selbstcheck-Coach will Frauen eine zusätzliche Vorsorgemöglichkeit zu den gynäkologischen Routineuntersuchungen und Mammografie-Screenings bieten. Mittels Grafiken und Videos wird erklärt, wie man die Brust selbst abtasten kann und auf welche Veränderungen zu achten ist. Die App ist in elf Sprachen erhältlich, ausser auf Deutsch etwa auch auf Englisch, Arabisch, Hebräisch und Chinesisch.

«Dear Mamma» ist das Herzstück der gleichnamigen Präventionskampagne und ein Projekt der Schweizer Stiftung The Dear Foundation. Die App wurde 2018 lanciert, um Brustkrebs in Ländern jenseits der Industrienationen zu enttabuisieren. Derzeit ist «Dear Mamma» unter anderem in Burkina Faso, Israel und Palästina tätig. Nun richtet die Kampagne den Fokus verstärkt auch auf die Schweiz. Denn noch immer wird hierzulande der Gedanke an Krebs oft ganz einfach verdrängt.

Die App «Dear Mamma» lässt sich bei Google Play und im App Store kostenlos herunterladen; dearmamma.org

Und hier gibt es Unterstützung für Krebserkrankte und Angehörige:

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