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Psychologin über Panikattacken: «Beruhigen wir unseren Körper, beruhigt sich auch die Angst»

Gesundheit

Psychologin über Panikattacken: «Beruhigen wir unseren Körper, beruhigt sich auch die Angst»

Herzrasen, Atemnot, Schüttelfrost: pure Angst! Was tun bei einer Panikattacke? Wir haben bei Psychologin und Achtsamkeitstrainerin Eva-Maria Boerschlein nachgefragt.

annabelle: Nicht jeder Anflug von Angst ist gleich eine Panikattacke. Wie fühlt sich eine solche an?
Eva-Maria Boerschlein: Typisch für eine Panikattacke sind heftiges Herzklopfen bis zu Herzrasen sowie manchmal Schmerzen im Brustbereich. Weiter können Betroffene Hitzewallungen oder Schüttelfrost verspüren und kommen dementsprechend ins Schwitzen oder Zittern. Es kann einem auch schwindlig werden. Wer eine Panikattacke erlebt, hat oft das Gefühl, zu wenig Luft zu kriegen oder sogar zu ersticken.

Das klingt beängstigend.
Betroffene Personen erleben eine Panikattacke als bedrohlich und leiden darunter. Angst ist aber grundsätzlich etwas ganz Natürliches und Menschliches, ein natürlicher Schutzmechanismus, der uns normalerweise vor Gefahr und Bedrohung warnt. Fakt ist: Eine Panikattacke ist nicht lebensgefährlich. In der Regel klingt sie nach 10 bis 30 Minuten wieder ab. Man kann sich seine Angst zwar nicht einfach wegdenken, aber dieses Wissen nimmt der Panikattacke ein wenig von ihrer Bedrohlichkeit. Generell gilt: Beruhigen wir unseren Körper, beruhigt sich auch die Angst.

Wie gelingt das am besten während einer Panikattacke?
Das Wichtigste ist es, sich wieder zu erden, am besten über Körperempfindungen: Die eigenen Füsse auf dem Boden zu spüren, den Po auf dem Stuhl, die Hände im Schoss. Die Aufmerksamkeit soll bewusst von der Angst weggelenkt werden. Eine Übung, die helfen kann, ist die sogenannte Wandhocke. Für diese geht man, angelehnt an eine Wand, in die Kniebeuge und verbleibt in dieser Position, bis man die Oberschenkelmuskeln spürt. Auch hilfreich ist, die Handflächen auf Nierenhöhe zu legen. Dadurch gehen die Schultern nach hinten, was den Brustraum weitet und ermöglicht, besser zu atmen.

Sie haben die Atemnot bei einer Panikattacke angesprochen. Können Sie eine gute Atemübung nennen?
Ein einfacher Trick ist, immer länger auszuatmen, als man einatmet. Wenn man möchte, kann man zusätzlich beim Einatmen einen Arm heben, sich auf die leichte Körperspannung fokussieren, den Arm dann sanft wieder senken und dabei langsam und lange ausatmen.

Was kann noch helfen?
Ich rate dazu, Objekte in die Hand zu nehmen und bewusst zu ertasten, wie zum Beispiel einen Igelball, Steine oder ein Seidentuch. An Düften wie Lavendel oder Minze zu riechen, kann auch beruhigen. Und geschmackliche Reize wie eine scharfe Chilischote, Wasabi oder Ingwer können auch aus der Panikattacke helfen. Ein weiterer Tipp ist, an einem Eiswürfel zu lutschen: Es hydriert und erdet durch den Kälteschock. Man kann auch verschiedene Reize nacheinander ausprobieren. Wer sich erdet, hat wieder die Kontrolle über sich und lässt sich nicht von der Angst fremdbestimmen.

Wie können Aussenstehende die betroffene Person bei einer Panikattacke unterstützen?
Partner:innen, Freund:innen oder auch die Familie können die erwähnten Übungen anleiten oder sie mit der Person, die die Panikattacke hat, gemeinsam durchführen. Man kann die betroffene Person auch bitten, fünf Objekte einer bestimmten Farbe im Raum zu benennen. So wird sie spielerisch von der Panikattacke abgelenkt. Auch körperliche Berührungen können beruhigen, falls man dem Gegenüber damit nicht zu nahetritt.

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«Ich sehe Achtsamkeit als ein fundiertes Training von Geist und Herz»

Kann die Panikattacke jede:n treffen?
Statistisch gesehen sind Frauen etwas häufiger betroffen. Risikofaktoren für eine Panikattacke können zudem persönlich einschneidende Erlebnisse, Traumata oder Depressionen sein, aber auch Krankheiten wie eine Schilddrüsen-Dysfunktion.

Was spielt sich bei einer Panikattacke eigentlich im Gehirn ab?
Bei bestimmten Botenstoffen wie beispielsweise Serotonin und Noradrenalin herrscht ein Ungleichgewicht. Zudem ist der körpereigene Angsthemmer GABA reduziert. Ausserdem reagiert die Amygdala, eine Kernregion im Mittelhirn, bei starker Angst überempfindlich und schätzt deshalb Situationen bedrohlicher ein, als sie sind. Bei wiederholt auftretenden Attacken empfehle ich eine professionelle psychologische Begleitung. Meiner Erfahrung nach bekommt man Panikattacken auch ohne Medikation gut in den Griff. Parallel dazu kann man seinen Vitaminhaushalt nach genügend Vitamin B und D prüfen.

Wie kann man einer Panikattacke vorbeugen?
Indem man versucht, sich möglichst gesund zu ernähren, regelmässig zu schlafen, wenig Koffein und Alkohol zu sich zu nehmen und auf Drogen zu verzichten. Und natürlich so gut wie möglich Stress zu vermeiden – auch wenn das in Krisenzeiten wie bei einer Pandemie oder all den Kriegsberichten nicht so leicht ist. Im Übrigen bin ich zur Prävention von Panikattacken ein grosser Fan von Sport: Entspannendes Yoga, kraftvolles Schwimmen oder Radfahren können längerfristig helfen. Als stressausgleichende Tätigkeiten eignen sich ausserdem, zum Beispiel Meditation, Massagen, das Pflegen von sozialen Kontakten, das Ausleben der eigenen Kreativität oder einfach mal faulenzen. Die Devise lautet: «Das Leben mit so vielen Sinnen wie möglich geniessen.» Insbesondere im Erwachsenenalter ist es wichtig, nicht über seine Resilienz hinauszugehen und zu wissen, wann ein wenig mehr Fürsorge nötig ist. Dazu kann es helfen, sich in Achtsamkeit zu üben.

Wie definieren Sie Achtsamkeit?
Ich sehe Achtsamkeit als ein fundiertes Training von Geist und Herz. Ein grundlegender Aspekt ist eine freundliche, nicht urteilende Präsenz. Ich lade meine Klient:innen stets zu einem bewussteren Umgang mit ihren Gedanken ein. Wenn wir uns eher an stärkende Gedanken halten, können wir unsere Emotionen und Ressourcen auch während einer Panikattacke besser einschätzen. So müssen wir uns der Angst nicht widersetzen, sondern können uns ihr gleichmütiger stellen.

Was können wir aus einer Panikattacke lernen?
Eine Panikattacke kann auch als ein Weckruf der Seele gesehen werden: Eine Einladung, sich seiner Angst zuzuwenden. Mithilfe des engsten Umfelds oder auch professioneller Unterstützung kann das neue Türen öffnen und ein neues Lebensgefühl ermöglichen.

Eva-Maria Boerschlein (53) ist als Psychologin und Achtsamkeits- und Meditationstrainerin in Zürich tätig.

Hilfsangebote zum Thema findet ihr hier:

  • Auf der Therapeut:innenplattform Wepractice erhält man in wenigen Klicks passende psychologische Unterstützung.
  • Auf Sanasearch, der grössten Therapeut:innenplattform der Schweiz, sind Therapeut:innen gelistet, die von Schweizer Krankenkassen anerkannt sind. Online können direkt Termine gebucht werden.
  • Die Dargebotene Hand (Tel. 143) ist rund um die Uhr für ein unterstützendes Gespräch da.
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