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Respekt, Empathie, Pornos: Was Kinder über Sex lernen sollten

Familie

Respekt, Empathie, Pornos: Was Kinder über Sex lernen sollten

In Zeiten von Youporn & Co. bedarf es neuer Strategien, um Kinder aufzuklären. Die britische Sextech-Unternehmerin Cindy Gallop hat da ein paar Ideen.

annabelle: Cindy Gallop, Sie sagen, dass die erzwungene Nähe und Häuslichkeit durch Lockdown und Homeoffice eine erfrischend enttabuisierende Wirkung hatten. Können Sie das erläutern?
Cindy Gallop: Wenn Familien, WGs, Partner:innen über Monate zusammen eingesperrt sind, führt dies zu einem Wegfall der normalerweise geltenden gesellschaftlichen Schranken von Schuld, Verlegenheit und Scham. Auf einmal mussten Eltern sich zum Beispiel der Tatsache stellen, dass der Teenager-Sohn hinter seiner Zimmertür onaniert. Und statt alles wie gewohnt zu ignorieren, fängt die Familie an, sich mit den Bedürfnissen ihrer Mitglieder auseinanderzusetzen. Es ist zwangsläufig zu einem Mehr an Miteinander gekommen, weil wir uns den anderen und unserer eigenen Menschlichkeit stellen mussten.

Ihr Erotikportal makelovenotporn.tv setzt auf echte Paare, die sich bei echtem Sex zeigen. Auch, weil es Männern angeblich an Vorbildern fehle.
Ja. Bei uns sehen Männer andere Männer, die sich verletzlich zeigen, offen sind, auch mal einer Frau die Führung überlassen, Frauen Freude bereiten und es geniessen. Das ist Sexualerziehung, und die funktioniert nun mal am besten, wenn man hinschaut, statt nur darüber zu lesen oder zuzuhören. Wir wollen es jedem einzelnen Menschen auf der Welt leichter machen, offen und ehrlich über Sex zu sprechen, denn das tun wir derzeit nicht. Der Einfluss, den Internetpornos auf die Psyche und die Sexualität nehmen, beginnt aufgrund des Zugriffs auf mobile Geräte immer früher. Schon Viertklässler:innen sehen Hardcore-Inhalte. Die wenigen Stunden Sexualkunde an den Primarschulen dürften das nicht auffangen können. Was tun? Das, worum mich Eltern und Lehrpersonen seit Jahren bitten: eine «Academy of Sex Education» aufbauen, ein Sex-Portal, das sich speziell an Kinder und Jugendliche richtet, aber auch Informationen für Erwachsene bietet.

Was wäre bei so einer Academy zu finden?
Ich lade Sexualpädagog:innen aus der ganzen Welt ein, Kursmaterialien, Videos, Bücher, Comics und Blog-Posts einzureichen. Wir suchen altersgerechte Hilfsmittel und Inhalte, die anleiten, wie man mit Sechsjährigen über Sex spricht, genauso wie Unterrichtsmaterial für Erwachsene. Einiges davon ist kostenlos, für anderes verlangen wir Gebühren, und sämtliche Inhalte werden wir persönlich kuratieren. Meint zum Beispiel jemand, etwas zu der in den USA ja sehr populären Enthaltsamkeitserziehung einreichen zu müssen, so werden wir das garantiert nicht veröffentlichen.

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«Heutzutage ist es leider so, dass, wenn man mit seinem Kind über Sex spricht, gleichzeitig über Pornos gesprochen werden muss»

Solang die Academy noch nicht am Start ist – was empfehlen Sie Eltern, wenn es um Aufklärung geht?
Es ist einfach, das Richtige zu tun. Wenn Ihr Kind wissen will, woher die Babies kommen oder andere Fragen stellt, wäre es kontraproduktiv, den Raum zu verlassen, das Thema zu wechseln oder peinlich berührt zu reagieren. Antworten Sie ehrlich und geradeheraus. So öffnen Sie den Kommunikationskanal zum Thema Sex und vermitteln, dass Sie immer für Ihr Kind da sein werden, auch wenn es älter wird. Des Weiteren ist es heutzutage leider so, dass, wenn man mit seinem Kind über Sex spricht, gleichzeitig über Pornos gesprochen werden muss.

Was gilt es dabei zu beachten?
Ich glaube, dass sich Eltern diesbezüglich viel zu viele Sorgen machen. Denn es gilt – je nach Altersstufe expliziter oder weniger explizit – im Grunde, nicht mehr zu sagen als: «Also, Schatz, wir haben gerade über Sex gesprochen, und du weisst, dass wir gemeinsam Videos und Zeichentrickfilme an- schauen, in denen Dinge passieren, die nicht real sind. Nun, es gibt auch Filme und Videos über Sex, und die sind auch nicht echt. Und deshalb können sie ziemlich verwirrend sein, weshalb sie für Grosse gemacht sind. Aber wenn dir mal jemand so etwas zeigt oder du darüber stolperst, komm zu mir, ich kann es dir erklären.» Und bitte, bringen Sie ausserdem den Kindern endlich Manieren bei!

Worauf wollen Sie hinaus?
Eltern bringen ihren Kindern gute Tischmanieren bei, Arbeitsmoral, Verantwortungsbewusstsein. Aber niemand erzieht die Kinder dazu, sich gut im Bett zu benehmen. Das sollten sie aber. Empathie, Sensibilität, Grosszügigkeit, Respekt und Ehrlichkeit sind beim Sex Werte, die bewusst gelehrt werden sollten. Das ist übrigens auch der einzige Weg, die Vergewaltigungskultur zu beenden.

Inwiefern?
Egal ob sexuelle Belästigung, Missbrauch oder Gewalt – das alles sind Bereiche, in denen die Täter:innen sich auf unsere Unfähigkeit, über Sex zu reden, verlassen und sich sicher sein können, dass die Opfer niemals öffentlich sprechen werden. Wenn wir also die Gesellschaft dazu bringen, offen über Sex zu sprechen, schaffen wir eine glücklichere Welt.

Das ungekürzte Interview mit Cindy Gallop ist im neuen Sanitas Health Forecast zu lesen: Das neue Du – die Zukunft der Gesundheit. Wörterseh Verlag, Edition 2022, 408 Seiten, ca. 20 Fr.

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