Werbung

"Sleepy Girls": Seht ihr total fertig aus? Glückwunsch – das ist jetzt Trend

Wer es müde ist, 2025 eine Frau zu sein, darf endlich auch so aussehen: Aufpolierte "Clean Girls" werden von unausgeschlafenen "Sleepy Girls" abgelöst. Unsere Autorin versucht zu verstehen, warum wir schwere Ringe jetzt unter den Augen statt am Finger tragen und Tränensäcke die begehrtesten Bags sind.

Es ist ein Trend, der ganz herrlich in den Dezember passt: So auszusehen nämlich als entlüde sich das letzte Jahr über einem – der Stress in Job und Privatleben, der Weltschmerz, der leidige innere Dialog darüber, ob man Männer noch mögen darf. Zudem blinken diverse Xmas-Apéros wie grelle Weihnachtsbeleuchtung im Kalender auf, man trinkt ständig (bis zu oft) ein Glas zu viel, kommt unangenehm spät ins Bett. Das Hirn ist voll (Wer kriegt welches Geschenk? Bin ich mit meinem Jahr 2025 zufrieden?), der Ballast sinkt direkt ein Stockwerk tiefer: unter den Augen kuschelt er sich ein. Dunkel und gemütlich bauchig. Und ist neuerdings ein Statussymbol.

Die, die ihre Augenringe aktuell stolz mit sich herumtragen, nennen sich «Exhaustion Girls» oder «Sleepy Girls» – wo der Unterschied genau liegt, weiss bei all den Social-Media-Trends wahrscheinlich niemand mehr so genau. Es gab sich in Beige hüllende «Vanilla Girls», man wollte makellos schimmernde «Glass Skin», machte sich spiegelglatte «Soap Nails». Das unermüdliche Gehype ist unterhaltsam und ermüdend zugleich – weshalb dann nicht gleich bei Letzterem bleiben, ermattet aussehen, und sich dem wohl grössten Trend der letzten Jahre entgegensetzen: den «Clean Girls».

Ein kurzer Exkurs: Die «Clean Girls» auf Social Media haben eine absolut fleckenfrei weisse Weste. Sie stehen früh auf, folgen einer rigiden Skincare-Routine, verachten Alkohol, Zigaretten und Kohlenhydrate (kurzum: Spass), formen ihren schmalen Astralkörper in exklusiven Gyms und hüllen ihn idealerweise noch in teure Designerklamotten. Der Lifestyle: minimalistisch, produktiv, perfekt und effektiv. Reduziert aufs Wesentliche eben – gut aussehen. Das Ziel der «Sleepy Girls»? Latent scheisse aussehen. Und dazu sind ihnen alle Mittel recht, vornehmlich aber arbeiten sie mit dem, was man optimalerweise eh hat: Augenringe, Tränensäcke, Schwellungen und fahle Haut.

Flaws als Flex

Aber woher kommt dieser Mut zur Hässlichkeit plötzlich? Wobei: Von hässlich kann natürlich nicht die Rede sein – hot sind die Amazonen dieser Ästhetik ja trotzdem. Ich korrigiere also: Woher kommt dieser Mut zur fehlenden Selbstoptimierung – dem heiligen Gral der strahlenden «Clean Girls»? Die neuen Musen wie die rauchende und feiernde Charli XCX oder Model Gabbriette (siehe Bild ganz oben) scheinen in einer Tour zu verschlafen, weil sie morgens um vier ohne Abschminken ins Bett gefallen sind. Der Eyeliner ist verschmiert und statt crèmig angerührtem Matcha Latte duftet es immer noch nach Bier. 

Hatte da etwa jemand eine richtig gute Nacht? Bildet die Gen Z nach all den kuratierten Inhalten der Millennials nun etwa ganz roh die Realität ab? Und das ganz ohne AI, Filler, Filter oder Concealer? Vielleicht, denn wir sind ja tatsächlich alle richtig müde – die Augenschatten abzudecken ist nur ein weiterer lästiger Punkt auf der ewigen To-do-Liste. Die Welt wirkt momentan wie ein düsterer Höllenschlund – strahlend und energiegeladen auszusehen fühlt sich fast fehl am Platz an.

Ähnliches liess sich auch auf den Runways der Spring/Summer-Shows 2026 erahnen. Bei McQueen etwa sah jedes einzelne Model aus, als hätte es kurz vor der Show hysterisch geheult, so dramatisch war die tiefschwarze Schminke verlaufen. Make-up-Artist Daniel Sällström legte offen, er habe für McQueen kraftvolle Frauen schaffen wollen, die gerade tatsächlich etwas durchmachen. Überraschung: Die gibt es! Ein virales TikTok mahnt zudem seit geraumer Zeit: «Ladies, keep your lower bleph!» Die Influencerin Elise Perry predigt hier, angeschwollene Tränensäcke und die Art, wie sie von einer schlechten oder besonders guten Nacht, Tränen oder existenziellen Krisen erzählen – seien der ultimative French-Girl-Flex.

Et oui, wenn man genauer drüber nachdenkt, waren Französinnen wie Léa Seydoux mit ihrer gottlosen Nonchalance (und dem weichen Unterlid) schon immer auch «Exhaustion Girls». Da ist seit jeher verschmierter Eyeliner, zart zerknutschter, roter Lippenstift, zerzaustes Haar. Die Grundlage: ungeschminkte Haut, unberührt von Foundation, Concealer und Injektionen. Jede feinste Linie, jeder Schatten, jede Falte ist dabei stolz getragenes Souvenir eines intensiv gelebten Lebens. Tränensäcke zu zelebrieren, bedeutet, sich in einer leistungsorientierten und beängstigenden Welt unbändige Freude und exzessiven Genuss zu erlauben – und weniger Zeit damit zu verbringen, zu kaschieren, wer man ist und was man fühlt.

Die ungeschminkte Wahrheit?

Apropos, wer man wirklich ist: Vielleicht ist der Trend auch eine Reaktion auf die weitverbreitete untere Blepharoplastik – ein chirurgischer Eingriff zur Korrektur von Schlupflidern und Tränensäcken zur Straffung der Augenlider. Natürlich soll jede:r mit dem eigenen Gesicht machen, was sich richtig anfühlt. Aber: Tränensäcke sind menschlich.

Und was macht man nun, wenn man schlichtweg weder Augenringe noch Schwellungen hat? Wenn man blutjung, in voller Blüte im Saft steht oder dummerweise von Gott gesegnet wurde? Die kollektive Entkräftung lässt sich selbstverständlich auch aufmalen. Sich dunklen Lidschatten unter die Augen zu stäuben, dürfte ein weiterer Ausdruck der Erschöpfung vom ständigen Abarbeiten optimaler Makellosigkeit sein. Gerade jetzt, wo Perfektion dank kleiner Eingriffe, unsichtbarer Facelifts und der Abnehmspritze Ozempic käuflich ist, wird Authentizität zu einer wahnsinnig knappen Ressource. Sich die Abgeschlagenheit aufzumalen, ist radikal. Auf wohl gepflegter und hochhydrierter Porzellanhaut aber auch wahnsinnig performativ. Und dann auch irgendwie bescheuert. Leute, es ist ermüdend.

Abonniere
Benachrichtigung über
guest
0 Comments
Älteste
Neuste Meistgewählt
Inline Feedbacks
View all comments