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Warum wir unseren Kindern weniger schenken sollten

Familie

Warum wir unseren Kindern weniger schenken sollten

Geschenkberge und Überforderung pur – von allen Seiten. Weihnachten mit Kindern ginge auch anders, schreibt Redaktorin Sandra Brun in ihrem Kommentar.

Vor lauter Geschenken den Christbaum nicht mehr sehen: So in etwa lässt sich wahrscheinlich die Situation in vielen Schweizer Stuben auch diese Weihnachten wieder beschreiben. Ja, das kollektive Ziel sind strahlende Kinderaugen. Sagt uns die Werbung, sagt uns jeder einzelne Weihnachtsfilm, sagt uns verschwommen wohl auch die Erinnerung an die Weihnachtsfeste unserer Kindheit.

Mir scheint, es ist ein absurder Wettbewerb ausgebrochen. Statt es ruhig anzugehen und die glitzernde Weihnachtszeit zu geniessen, will jede:r mit dem bedeutendsten und erinnerungswürdigsten Geschenk unter dem Baum auftrumpfen. Die Zeit ist knapp, alle sind gestresst – eventuell versucht so manche:r, diesen Mangel mit Materiellem wettzumachen.

Weihnachten im Überfluss

Kindern wird schon weit vor Heiligabend ein Weihnachtsprogramm par excellence geboten: Von wegen Lichter bestaunen und gemütlich Guetzli backen – es gibt überdimensionale Spielzeug-Adventskalender, Chlaussäcke voller Spielsachen und ausgedehnte Shoppingausflüge an den Weihnachtsmarkt.

Bis also tatsächlich Weihnachten ist, haben die meisten Kinder hierzulande bereits die Übersicht über die neuen Spielzeuge und Süssigkeiten verloren, die sie in den letzten 24 Tagen erhalten haben.

Ist der Heiligabend dann da und man sitzt vollgefuttert um den Baum, stürzen sich Kinder oft in Windeseile auf sämtliche mit ihrem Namen versehenen Geschenke, rupfen diese auf, schauen kurz rein, schmeissen sie in die Ecke und schnappen sich die nächste Box.

Keine Stunde später ist der Spuk vorbei. Die Grosseltern enttäuscht, weil das Enkelkind ihnen nicht vor Freude um den Hals fällt. Die Göttis und Gottis leicht patzig, weil das Kind keine Luftsprünge macht wegen der Riesengeschenke. Und die Eltern genervt, weil zu Hause eh schon so viel Spielzeug nur rumliegt und sich die Kinder zu wenig bedanken bei den Geschenkgeber:innen.

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«Die Verarbeitung von vielen Geschenken erfordert viel Aufmerksamkeit und Anstrengung für das kindliche Gehirn»

Entwicklungspsychologin Silvia Meyer

Wie auch? So üppig beschenkt zu werden ist pure Überforderung. Das erklärt Silvia Meyer, Fachpsychologin für Kinder- und Jugendpsychologie an der Universität Basel, folgendermassen: «Die Verarbeitung von vielen Geschenken erfordert viel Aufmerksamkeit und Anstrengung für das kindliche Gehirn. Entsprechend schwierig ist es für Kinder, mit einer grossen Geschenkeflut umzugehen, insbesondere wenn viele Geschenke auf einmal kommen.»

Und ich merke bei Kids in meinem Umfeld: Je älter sie sind, desto bewusster wird ihnen zudem, dass da jemand mit Spannung zuschaut beim Aufmachen, ihnen womöglich noch das Handy zum Filmen ins Gesicht streckt und auf Freudentränen wartet.

Zwischenwege finden

Was tun also? Gar nichts mehr schenken? «Es lohnt sich sicherlich, im Vorfeld mit Verwandten über die Vorstellungen zu Geschenken zu sprechen», sagt Silvia Meyer. «Gleichzeitig ist es aber wichtig, den Schenkenden ihren Spielraum für eigene Ideen zu lassen.» Beim Schenken gehe es auch darum, im Geschenk die gemeinsame Beziehung zu widerspiegeln.

Ein Zwischenweg seien etwa gemeinsame Geschenke von mehreren Personen. Statt einem Spielzeug von jeder Person unter dem Baum zu finden, gibt es dann für die Kinder etwas Grösseres, für das beispielsweise Gotti und Götti zusammengelegt haben.

Alternativ kann man ein Geschenk auch in mehrere Teile aufteilen, zum Beispiel kommt das Puppenhaus von einer Person, das Mobiliar von der nächsten und die Puppen nochmals von jemand anderem. Gleiches funktioniert auch super für Sportausrüstungen, Winterklamotten, Spielzeugküchen, Bastelsachen. Ich spreche mit meinen eigenen Kids über grosse Geschenke – so lernen sie, dass man auf grössere Anschaffungen sparen muss oder eben den Betrag aufteilen kann.

Muss es immer Materielles sein?

Und ja, auch die Spielzeugautos der Cousine, die aus dem Alter raus ist, sind hübsch verpackt unter dem Baum ein richtig gutes Geschenk. Dasselbe gilt selbstredend für Secondhandgeschenke aller Art – nebenbei auch ein guter Gesprächsanstoss, um mit Kindern über Materielles ganz allgemein zu sprechen.

Und damit sind wir bei einem weiteren guten Punkt: Immaterielle Geschenke zu machen, wie beispielsweise eine gemeinsame Unternehmung, sei eine gute Möglichkeit, doch etwas schenken zu können und so auch die Beziehung zum Kind zu gestalten, sagt Silvia Meyer. «Für kleinere Kinder ist dies aufgrund des Belohnungsaufschubs noch schwer einzuordnen, das wirkliche Geschenk kommt ja dann erst noch. Da bietet sich beispielsweise die Möglichkeit, einfach etwas Kleines als Symbol für die gemeinsame Unternehmung zu schenken.»

So weit, so gut. Was aber, wenn das Kind jetzt zum ersten Mal nicht 75 Geschenke unter dem Baum findet und deswegen einen Trotzanfall kriegt? «Es ist wichtig, die Gefühle der Kinder ernst zu nehmen und sie nicht direkt herabzusetzen. Eine erste Enttäuschung ist verständlich und es ist wichtig, dem Kind zu vermitteln, dass seine Gefühle gesehen und ernst genommen werden», sagt so Silvia Meyer.

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«Es hilft, mit Kindern darüber zu sprechen, welche Einstellung man selbst zu Geschenken hat»

Entwicklungspsychologin Silvia Meyer

Gleichzeitig könne man dem Kind dann helfen, verschiedene Perspektiven einzunehmen, indem man gemeinsam darüber spricht, warum es weniger Geschenke kriegt. «Manchmal hilft es auch, zusammen mit dem Kind einen Kompromiss für die nächste Schenkanlässe zu finden.» Schliesslich stimmen die Bedürfnisse als Eltern nicht immer mit den Bedürfnissen des Kindes überein. Da sei offene Kommunikation hilfreich. Im Vorfeld darüber sprechen, welche Einstellung man selbst zu Geschenken hat, was Schenken einem bedeutet.

Worum es an Weihnachten wirklich geht

«Kinder lernen Verhalten in erster Linie durch Beobachtung der Erwachsenen um sie herum – auch den Umgang mit Geschenken und deren Bewertung», erklärt Silvia Meyer. Umso wichtiger also, sich auch noch mal kurz Gedanken zu machen, worum es einem selbst an Weihnachten wirklich geht.

Denn – so kitschig das auch klingen mag – wenn ich einen Moment innehalte und mich an meine eigenen Weihnachtserinnerungen denke, kommen mir vor allem die kleinen Dinge in den Sinn. Der Mailänderliteig, den ich heimlich beim guetzle stibitzte, weil meine Mama bis heute der Meinung ist, roher Teig führe zu Bauchschmerzen. Das Schmücken des Christbaums zusammen mit meinem Opa; mit Kugeln und Holzfigürli und Engelshaar. Das Weihnachtsessen, das bis heute dasselbe ist. Die Menschen um mich herum. Und auch mit allergrösster Anstrengung kann ich mich an kaum eins der Geschenke unter dem Baum erinnern.

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Melanie

Genau so machen wir das auch. viel entspannter.