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Cate Blanchett über ihren Film «Tár»: «Mit Macht muss man vorsichtig und sensibel umgehen»

Popkultur

Cate Blanchett über ihren Film «Tár»: «Mit Macht muss man vorsichtig und sensibel umgehen»

In ihrem neuen Film «Tár» gibt Cate Blanchett den Takt an – als erste Dirigentin eines Orchesters von Weltrang. Winkt der dritte Oscar?

Wenn Cate Blanchett den Taktstock schwingt, dann mit so einer Kraft, dass man sich im Kinosaal duckt. Im Frack am Pult ist die 53-Jährige auch an Grazie nicht zu übertreffen. Durch die Tür der Suite im venezianischen Hotel Excelsior tritt Blanchett dann im weissen Smoking und auf Stilettos. Hier, am Filmfestival in Venedig, lief «Tár» im Wettbewerb, und der Schauspielpreis «Coppa Volpi», den sie am Ende gewann, war nur der Auftakt für einen ganzen Preisregen, der seither auf die australische Schauspielerin niederprasselt. Am 13. März könnte der Film Blanchett einen dritten Oscar einbringen. Er wäre völlig verdient: «Tár» ist nicht nur das Porträt einer Dirigentin und jetzt schon einer der spannendsten Filme dieses Jahres, sondern auch eine schillernde Charakter- und Milieustudie zweier mächtiger Musikerinnen in einer Männerdomäne. Und eine Liebesgeschichte.

annabelle: Cate Blanchett, Sie dirigieren, als hätten Sie im Leben nichts Anderes getan. Lässt sich diese Kunst so einfach erlernen?
Cate Blanchett: Es geht ja gar nicht so sehr ums Dirigieren, das ist für Lydia Tár wie atmen. Aber natürlich habe ich viele Dirigent:innen studiert. Ich wurde geradezu besessen von Carlos Kleiber, der seine Arbeit fast als Folter empfand, nach Marin Alsop und Nathalie Stutzmann bin ich jetzt noch verrückt. Auch meine Landsfrau Simone Young hat mich tief beeindruckt, und Sir Simon Rattle brachte mir Herbert von Karajan und Furtwängler nahe. Mein Lieblingsdirigent aber wurde Bernard Haitink.

Ein heftiges Programm – besonders wenn es gar nicht so sehr ums Dirigieren geht, wie Sie sagen. Sondern?
Früher besassen die Dirigent:innen eine geradezu absolute und autokratische Macht über das Orchester. Ihr Wort war Gesetz. Je stärker aber die Demokratien auf der Welt wurden, vor allem nach dem Fall der Berliner Mauer, desto demokratischer wurden auch die Systeme innerhalb der Orchester. Ich habe mich also mit der Historie der grossen Orchester und ihren Werdegängen genauso intensiv beschäftigt wie mit Dirigent:innen.

Sie spielen mit Nina Hoss ein Paar. Könnte man «Tár» auch als reine Liebesgeschichte sehen, von zwei Alpha-Frauen, deren innige Beziehung aus dem Takt gerät?
Der Film ist wie ein Oktopus mit vielen Armen. Bei mir ändert sich das Thema des Films von Tag zu Tag. Heute Morgen habe ich darüber nachgedacht, dass der Film eine Meditation über Macht ist, nicht nur die institutionelle, sondern auch die kreative Macht und natürlich über Machtgefälle innerhalb von Beziehungen. In der Musikwelt ist die Macht ja hierarchisch aufgebaut, wie eine Pyramide. Diese Struktur wurde von Männern so aufgebaut, die wiederum von männlichen Komponisten beliefert wurden. Es waren alles Könige, die sich eine geradezu göttliche Ordnung und totale Machtposition gegeben haben.

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«Sie wollen wissen wie abgefuckt ich bin? Ich bin nicht besser als alle anderen»

War es Ihnen wichtig, dass die Figur kurz vor ihrem fünfzigsten Geburtstag steht?
Sehr wichtig! Denn sie fühlt sich total aus der Zeit gefallen, sie ist der falsche Mensch zur falschen Zeit. Ihr Machtanspruch beisst sich mit ihrer Grosszügigkeit. Sie wird von genau dem System aufgefressen, das sie selbst so lange bewundert hat, als sie sich dem «Meilenstein fünfzig» nähert. In der Film- und Musikbranche und natürlich im Sport weiss man, dass es ab einem gewissen Alter immer schwieriger wird, seine Ziele zu erreichen. Und mit jedem Erfolg, den man feiert, setzt man die Latte höher. Früher oder später kommt unweigerlich der Punkt, an dem es dann nur noch abwärts gehen kann. Meine Figur ist am Ende so einer Lebensphase angekommen und fragt sich, ob es nun an der Zeit ist, alles niederzureissen.

Sie selbst befinden sich, ähnlich wie Lydia Tár, in einer Machtposition. Ob in den Jahren als Intendantin der Sydney Theatre Company oder im Alltag als Megastar und Oscarpreisträgerin, deren Zusage über Sein und Nichtsein von Projekten entscheidet. Wie gehen Sie damit um?
Mit grösstmöglicher Würde! (lacht)

Und wie lautet die lange Version?
Sie wollen wissen, wie abgefuckt ich bin? Ich bin auch nicht besser als alle anderen… Aber ja, ich bin eine weisse Frau, die in finanzieller Sicherheit lebt, eine gute Schulbildung genossen hat, in einer funktionierenden, gesunden Beziehung steckt, genug Arbeit hat und gesund ist. Das ist eine beachtliche Menge Macht. Man muss mit Macht aber immer vorsichtig und sensibel umgehen. Als mein Mann und ich das Nationaltheater in Sydney geleitet haben, wussten wir, dass wir den Kolleg:innen als Teil des Ensembles begegnen mussten, nicht als CEOs des Unternehmens. Es geht immer auch um die Frage, wie man seine Macht einsetzt. Gerade wenn man sie als Frau nicht so offensiv nutzt, wie viele Männer es tun, wirkt man so, als hätte man die Situation nicht im Griff.

Das ist ziemlich perfid.
Ich erlebe das aber immer wieder an Sets. Einer der kreativsten, kraftvollsten Sätze, die man sagen kann, ist: «Ich weiss es nicht.» Gerade in einer Situation, in der alle schnelle Antworten wollen. Wenn ein Mann sagt: «Ich weiss es nicht», dann wird er für einfühlsam, fast schon mysteriös und tiefsinnig gehalten. Wenn eine Frau es sagt, sieht man, wie im Team die Augen verdreht werden und alle denken, «Mist, das wird ein verdammt langer Dreh…»

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Finden Sie, dass es an der Zeit war, mit «Tár» eine Art umgedrehte #MeToo-Geschichte zu zeigen?
Nein. Überhaupt nicht. #MeToo ist immer noch aktuell und relevant. Ich glaube, wir haben da noch viel vor uns, es gibt noch viel versteckten Zorn. Dieser Prozess braucht Zeit. Im Film haben wir diesbezüglich nur Bruchstücke, die den Plot voranbringen sollen, aber sie sollen nicht der zentrale Punkt sein, auf den wir uns konzentrieren.

Es geht im Film auch um die Frage, ob das Privatleben eines Menschen sich auf die Rezeption seiner Arbeit und umgekehrt auswirken sollte.
Wie meinen Sie das?

Sind etwa die Schriften von Schopenhauer Meisterwerke, unabhängig davon, was für ein schwieriger Mensch er war? Ist Michael Jacksons Musik noch himmlisch, sind Woody Allens Filme noch amüsant, verändert sich der Stellenwert von «Corsage», nachdem bei einem Darsteller Kinderpornografie gefunden wurde?
Ich denke, hinter jedem Erfolg, egal ob kreativ, wirtschaftlich oder gesellschaftlich, steht nicht nur ein Mensch, sondern eine ganze Reihe von Personen, die geholfen haben, diesen Erfolg möglich zu machen. Ich bin mir sicher, dass hinter verschlossenen Türen viele Fehltritte, Streitigkeiten und Unhöflichkeiten stattfinden, von denen wir nie erfahren werden. Aber das heisst nicht, dass wir uns nicht damit beschäftigen sollten, wenn es ans Licht kommt.

«Ich interessiere mich mehr für die Fragen, die gestellt werden, als für definitive Antworten»

Aber welche Haltung nimmt man ein, wenn es keine Eindeutigkeit gibt?
Nehmen wir den Fall Picasso: Man kann nur erahnen, was in seinem Studio alles passiert sein mag. Aber wenn man vor seinem «Guernica» steht, muss man anerkennen, dass es zu den grössten Meisterwerken der Menschheit gehört. Ich interessiere mich viel mehr für die Fragen, die gestellt werden, als für definitive Antworten. Deshalb finde ich es schwer, Ihre Frage zu beantworten. Vor allem weil meine Antwort in einem Interview vielleicht erst ins Mandarin übersetzt wird, dann weiter ins Portugiesische, vielleicht dann zurück ins Englische, und am Ende heisst es, «Schopenhauer ist ein Arschloch, dessen Werk man ignorieren muss». So einfach ist es nicht. Auch diesen Dreharbeiten bin ich nicht mit fertigen Antworten entgegengetreten, sondern ich habe mich nur mit Fragen auf den Prozess eingelassen.

Wie sehr haben die kulturellen Grabenkämpfe unserer Zeit mit dem Alter zu tun? Sind jüngere Menschen sensibler – oder vielleicht zu sensibel?
Ganz viel, das Alter spielt eine grosse Rolle. Mit 22 spielte ich am Theater David Mamets «Oleanna». Das Buch hatte mich beim Lesen schon aufgeregt, ich fand es abscheulich. Bei einer Probe brach ich einmal in höhnisches Lachen aus. Der Regisseur nahm mich zur Seite und stauchte mich zusammen, was ich mir einbilde, es ginge nicht um mich, nur um das Stück, und er könnte mich dafür feuern. Ich flennte erst mal, es war mein erstes Engagement und ich dachte, das wars mit der Karriere. Dann sagte er aber: «So, jetzt reiss dich zusammen und spiel weiter!»

Wäre diese Situation heute anders abgelaufen?
Heute könnte ich mich beschweren. Aber damals tat ich, was er von mir verlangte – und es hat meine Arbeit aufs Beste verändert. Weil ich meinen inneren Tumult zur Seite legte, konnte das Stück die volle Wucht auf der Bühne entfalten. Es wurde zur Sensation, provozierte Diskussionen, angeblich gingen noch im Foyer einige Ehen zu Bruch.

Was bedeutet es denn für die Kunst, wenn man zur HR-Abteilung läuft, anstatt «sich zusammenzureissen», wie Sie damals?
Wenn Menschen sich beschweren, dann, weil sie eben nicht wollen, dass der Systemwandel ein Lippenbekenntnis bleibt. Und das System muss gerechter werden, ich verstehe die Wut, wenn es immer noch das rigide, alte System ist. Ich lese übrigens gerade ein Buch über weibliche Wut. Eine der interessanten Fragen darin ist, ob das System, für das man arbeitet, auch loyal zu den Mitarbeiter:innen ist oder ob die Unterdrückung irgendwann so heftig wird, dass man sich dagegen auflehnen muss.

Sie kennen das System von beiden Seiten. Wo sehen Sie Möglichkeiten, besser zu vermitteln?
Am Theater in Sydney wollten wir «blind» besetzen, ohne Kriterien wie Hautfarbe oder Kulturzugehörigkeit. Die Frage ist doch, ob wir Unterschiede nicht zu unseren Gunsten nutzen können.

«Tár» von Todd Field läuft jetzt im Kino

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