
Eine Begegnung mit Pamela Anderson: "Der rote Badeanzug hat mich eingeschränkt"
Pamela Anderson dachte, sie würde nur noch saure Gurken aus ihrem Garten einlegen. Stattdessen spielt sie jetzt in Gia Coppolas Drama "The Last Showgirl" die Rolle ihres Lebens. Wir trafen die Ikone in Zürich – eine Begegnung mit dem bodenständigsten Star Hollywoods.
- Von: Vanja Kadic
- Bild: Dukas
Alle wollten mit ihr sprechen: Pamela Anderson besuchte im vergangenen Herbst das Zurich Film Festival, um ihren Film "The Last Showgirl" vorzustellen und den "Golden Eye Award" entgegenzunehmen. Im Drama von Gia Coppola, Nichte von "Lost in Translation"-Regisseurin Sofia Coppola und Enkelin der Hollywood-Legende Francis Ford Coppola, spielt Anderson die Tänzerin Shelly, deren Show in Las Vegas nach Jahrzehnten eingestellt wird.
Shelly, ein leidenschaftliches Showgirl, verliert damit nicht nur ihren Job, sondern ihre gesamte Identität – und auch die Beziehung zu ihrer entfremdeten Tochter (Billie Lourd) scheint nach wie vor schwierig.
Die Kritiken für den Film, der im September 2024 beim Toronto International Film Festival seine Premiere feierte, sind gemischt: Von den einen gefeiert, von den anderen verrissen – die 57-Jährige sei "eine Offenbarung in dem ergreifenden Drama", schreibt die "BBC", während "The Guardian" ihr Leinwand-Comeback als "grosse Enttäuschung" betitelt und den Film gerade mal mit einem von fünf Sternen bewertet.
Die Rolle ist ein Neuanfang
Für die Neunzigerjahre-Ikone ist der Part der Shelly eine Neuanfang. Seit Anderson 2022 als Roxie Hart im Musical "Chicago" ihr Broadway-Debüt feierte und im Jahr darauf die Netflix-Doku "Pamela, A Love Story" erschien, in der sie sich überraschend verletzlich und authentisch zeigte, löst sie sich nach und nach von ihrem alten Sexsymbol-Image, das so hartnäckig an ihr haftete. Der rote "Baywatch"-Badeanzug und das Bild des offenherzigen Popkultur-Sternchens gehören längst der Vergangenheit an.
Höchste Zeit – denn in Pamela Anderson, das zeigte sie nicht zuletzt in ihren Auftritten der vergangenen Jahre, steckt so viel mehr, als ein gealtertes "Playboy"-Model, das für Schlagzeilen sorgt, weil es öffentlich ohne Make-up auftritt ("Albern", dass dieser Fakt erwähnenswert sei, sagt sie später in Zürich beim Interview-Termin und rümpft lächelnd die Nase).
Im Reinen mit sich
Heute präsentiert sich Anderson, die sich schon seit Jahren mit PETA für Tierrechte einsetzt, als bodenständige Naturfreundin, die in Interviews immer wieder erklärt, wie dankbar sie sei, endlich als Schauspielerin ernst genommen zu werden. Nach "The Last Showgirl" arbeitete Anderson bereits an ihren nächsten Film-Projekten: Zuletzt stand sie für das Drama "Rosebush Pruning" an der Seite von Riley Keough und Elle Fanning vor der Kamera.
Ihr Gesicht leuchtet vor Freude, wenn sie über die Liebe zu ihrem Gemüse- und Rosengarten im kanadischen Vancouver Island spricht oder über ihr veganes Kochbuch, das sie im Herbst 2024 veröffentlichte. Ihres popkulturellen Vermächtnisses ist sich Pamela Anderson bewusst, wie sie später erklärt. Und: Mit ihrer bisherigen Karriere scheint sie im Reinen zu sein. Gleichzeitig betont sie in Interviews, auch in Zürich, immer wieder, dass sie nach vorne, nicht zurück schaue – und die "Baywatch"-Zeit doch nun hinter ihr liege.
"Sich von diesem Image loszulösen, brauchte Zeit"
Pamela Anderson hat viel erlebt, über ihr aufregendes Leben gibt es einiges zu erzählen: Zeitgleich mit ihrer Netflix-Doku erschienen 2023 ihre Memoiren "Love, Pamela". Und alle wollen ein Gespräch mit ihr. Natürlich auch annabelle: Wir treffen Anderson und Gia Coppola, die Regisseurin von "The Last Showgirl", zum Gespräch an einem sogenannten "Roundtable", einem Interview, an dem mehrere Journalist:innen unterschiedlicher Medientitel teilnehmen. Im Foyer des "Garden Salon" im Zürcher Dolder Grand versammelt sich an diesem regnerischen Septembertag die geladene Presse.
Statt wie geplant sechs Journalist:innen sind es plötzlich doppelt so viele Medienvertretende aus ganz Europa, die vor der Tür auf das Gespräch mit Anderson und Coppola warten. Und alle sollen in 25 Minuten ihre Fragen stellen können. Die Tür geht auf und die Uhr läuft. Am runden Tisch sitzen Gia Coppola, die ein schwarzes, ärmelloses Etuikleid trägt, und Pamela Anderson, in weisser Bluse und passender Hose, die Haare offen, der Blick wach.
Pamela Anderson, wie fühlen Sie sich, mit all dem Lob für den Film und Ihre Schauspielkunst? Haben Sie das Gefühl, dass man Sie in der Vergangenheit belächelt hat?
Pamela Anderson: Ich fühlte mich sehr geehrt, Teil der Popkultur gewesen zu sein und den roten Badeanzug getragen zu haben, aber es hat mich auch stark eingeschränkt. Sich von diesem Image loszulösen, war eine Herausforderung und brauchte Zeit. Und jetzt sind wir hier, im Land der Vergebung. (Gelächter) Ich kann nun neue Dinge ausprobieren und ich bin froh, diese Möglichkeit zu haben.
Sie sagten in einem Q&A nach der Premiere des Films am Toronto International Film Festival, dass Sie sich Ihr "ganzes Leben lang" auf diesen Film vorbereitet haben. Was meinen Sie damit?
Ich glaube nicht, dass ich diese Rolle hätte spielen können, wenn ich nicht genau mein Leben gelebt hätte. Ein Leben, von dem ich schöpfen konnte. Es kommt alles zu seiner richtigen Zeit! Ich kann mich auf diversen Ebenen mit der Rolle identifizieren, es gibt viele Parallelen zu mir selbst. Das war ein guter Ausgangspunkt. Ich hatte in der Vergangenheit schon immer das Gefühl, dass ich eigentlich mehr draufhabe. Dieser Film war eine wunderbare Gelegenheit, zu sehen, was in mir steckt. Es war fantastisch, mit Gia zusammenzuarbeiten, die an mich glaubte, wie viele andere Menschen es nicht getan hätten.
Was meinen Sie?
Es reicht nicht, nur zu sagen: "Ich bin eine Schauspielerin": Es braucht auch Leute, die an einen glauben. Vieles muss passen, das Drehbuch, der Schnitt, ein toller Cast – es gibt zahlreiche Faktoren, die eine gute Performance ausmachen.
Hätten Sie sich gewünscht, dass dieser Punkt Ihrer Karriere schon früher gekommen wäre?
Das wäre Zeitverschwendung. Ich bin jetzt hier und habe die Möglichkeit, mich auf die Schauspielerei zu fokussieren. Wenn sich diese Chance früher geboten hätte, wären meine Kinder noch klein gewesen. Und ich steckte in einer turbulenten Beziehung. Da hätte ich nicht den gleichen Fokus gehabt.
Anderson war von 1995 bis 1998 mit dem damaligen Mötley-Crüe-Schlagzeuger Tommy Lee verheiratet, der wegen häuslicher Gewalt ins Gefängnis musste. Mit ihm hat sie die Söhne Brandon Lee, 28, und Dylan Lee, 26., Anm. der Red.
Pamela Anderson: Ich bin jetzt frei und kann alles geben. Ich bin froh, dass ich dieses aufregende Leben führen konnte. Es war ein bunter, unkonventioneller Weg, um Schauspielerin zu werden, und obwohl ich 57 Jahre alt bin, fühle ich mich, als hätte ich erst angefangen.
Sie sind in dieser Hinsicht also anders als Ihre Rolle Shelly: Sie konzentrieren sich mehr auf die Gegenwart als auf die Vergangenheit.
Ja, ich glaube schon.
Was mögen Sie an Shelly?
Sie ist verletzlich und schlau, voller Nostalgie, und sie fühlt sich ihrer Kunstform sehr verbunden. Alle Figuren im Film sind so facettenreich. Kate Gersten, Gias Cousine, schrieb das Drehbuch als Theaterstück. Ich betrachtete den Film auch als solches: Wir hatten nur 18 Tage Zeit, um zu drehen. Eine gute Vorbereitung war also wichtig. Shelly hat als Mutter eine komplizierte Beziehung zu ihrer Tochter und, als Romantikerin, eine komplizierte Beziehung zu Männern – diese Dinge sprechen mich an.
Anderson wirkt geerdet und bei sich, wenn sie von ihren Erfahrungen erzählt. Im Januar 2025 wurde ihre Authentizität mit einer Nominierung für einen Golden Globe als beste Drama-Hauptdarstellerin belohnt – sie trat gegen Schauspielerinnen wie Angelina Jolie, Nicole Kidman oder Tilda Swinton an.
Der Film hat Sie zurück zum Make-up gebracht. Zumindest für ein paar Tage.
Das Showgirl-Make-up musste so stark sein, damit man mich im Publikum von der Bühne aus auch in der letzten Reihe sehen kann. Es hat Spass gemacht, aber vor allem für die Figur. Ich bin nicht gegen Make-up, ich finde auch nicht, dass ich ohne schlechter aussehe. Ich sehe einfach mehr wie ich selbst aus.
Die Tatsache, dass Sie Make-up tragen oder nicht, hat in letzter Zeit für erstaunlich viele Headlines gesorgt ...
(lacht leicht irritiert auf) Es ist schon lustig … Ich mache das ja nicht für Aufmerksamkeit, sondern für mich. Es hat bei vielen Frauen Anklang gefunden, ich wollte einfach aufhören, bei diesem Wahnsinn mitzumachen, und dachte: Ich bin jetzt in diesem Alter, und das ist okay, es ist toll. Ich werde der Jugend nicht hinterherrennen, denn man kann dabei nur verlieren.
Haben Sie für den Film auch Ihr Aussehen verändert?
Ich war bereit, alles zu tun, was nötig war. Ich habe meine Haare geschnitten und sie etwas kupferfarben gefärbt. Wir haben uns mit den Tänzer:innen, die im Film zu sehen sind, in meinem Haus getroffen und uns ausgetauscht. Ich ging in Las Vegas in Nail Salons und schaute zu, wie sich Frauen dort die Nägel machen lassen. Es war aufregend, in das Tagesgeschehen dieser Stadt einzutauchen.
Wie war es, mit Jamie Lee Curtis zusammenzuarbeiten? (Curtis verkörpert Annette, eine Kellnerin in einem Casino, Anm. d. Red.)
Ich hatte Angst, Jamie Lee Curtis zu treffen! Sie ist eine Wucht und hatte gerade einen Oscar (für "Everything Everywhere All at Once", Anm. d. Red.) gewonnen. Ich hatte das Gefühl, wir kennen uns schon mein ganzes Leben lang. Sie schliesst einen in ihre Arme, schaut einem in die Augen und sagt: Okay, wir machen das jetzt. Sie war unglaublich unterstützend und brachte mich oft zum Weinen, wenn sie von ihren Performances erzählte. Sie war sehr aufrichtig. Das Set war wirklich ein Werk der Liebe und der Schwesternschaft, auch wenn wir nur 18 Tage lang drehten. Wir blieben auch danach in Kontakt und waren sehr stolz aufeinander.
Sie sind sehr offen und transparent, wenn Sie über Ihr Leben und Ihre Karriere sprechen. Was haben Sie mit der Rolle der Shelly Neues über sich selbst gelernt?
Dass ich eine Schauspielerin bin? (lacht laut) Es war eine unglaubliche Erfahrung, an einem Projekt zu arbeiten, in welches ich so viel Mühe und Handwerk gesteckt habe. Ich hatte diese Möglichkeit in der Vergangenheit nicht. Es war schwierig, die Erwartungen von Menschen zu überwinden, das habe ich in meinem Dokumentarfilm und meiner Biografie thematisiert. Nun will ich es dabei belassen – und eine Schauspielerin sein.
Es gibt die Szene, in der Shelly bei einer Audition gesagt wird, dass sie den Job gekriegt hat, weil sie früher schön und sexy war.
Ich sage immer: "I got away with murder in a bikini!" (alle lachen) Ich war früher ein Kind mit einer grossen Fantasie, mit vielen Träumen. Ich hatte keine Vorstellung davon, wie man Schauspielerin wird. Obwohl ich immer gerne in Buchhandlungen sass, um Theaterstücke zu lesen, und Schauspielunterricht nahm, heiratete ich früh und bin in all das (die Ehe mit Ex-Mann Tommy Lee, Anm. d. Red.) hineingeraten. Mein Gott, Dekaden gingen einfach vorbei wie im Flug! Ich weiss gar nicht, was zwischen "Baywatch" und dem Broadway passiert ist. Ich weiss, dass ich zwei Kinder grossgezogen habe und sie ganz gut geraten sind. Aber der Rest war Wahnsinn und Chaos. Ich freue mich nun zu sehen, wozu ich fähig bin.
Sie sprechen mit viel Leidenschaft und Liebe über Shelly und das Filmprojekt. Man merkt, wie viel Ihnen an der Rolle liegt. Gab es auch Aspekte, die für Sie herausfordernd waren?
Alles war eine Challenge! Viele, die beim Film mitwirkten, machen das schon seit einer Ewigkeit. Während sie alle in der Pause zwischen den Szenen miteinander plauderten, versuchte ich mich zu konzentrieren, weil ich echt viel Text hatte. Ich musste meinen eigenen Weg finden. Und ich trug gigantischen Kopfschmuck, der 9 bis 13 Kilo wog.
"Ich hätte diese Rolle an keinem anderen Punkt in meinem Leben spielen können"
Gibt es etwas, das Sie in Ihrer Karriere bereuen?
Ich bereue, dass ich mich früher nicht auf den Schauspielunterricht konzentriert habe. Abgesehen davon verflog die Zeit einfach. Es gab Momente, in denen es ums Überleben ging, wo ich tat, was ich tun musste, um über die Runden zu kommen. Nachdem gewisse Dinge in meiner Karriere passiert sind, war ich einfach nur noch ... (hält inne). Ich versuchte, meinen Lifestyle in Malibu mit meinen Kindern zu halten. Jetzt sind sie erwachsen und ich darf neu beginnen. Es gab einen Punkt, an dem ich nicht glaubte, dass das noch passieren würde. Ich dachte, ich lege nur noch saure Gurken ein und sitze in meinem Garten, lese und schaue gute Filme – that’s it. Aber das Leben, das ich führte, hat mich vorbereitet für das hier.
Warum denken Sie, ist diese Möglichkeit jetzt gekommen?
Timing. Das ist die Rolle, die ich an diesem Punkt, mit meiner Erfahrung und den Parallelen, die ich zur Figur habe, spielen sollte. Ich hätte sie an keinem anderen Punkt in meinem Leben spielen können. Es fühlte sich sehr nach göttlichem Timing, nach Bestimmung an. Es gab schwierige Szenen und die richtige Vorbereitung war wichtig. Aber ich liebe harte Arbeit und denke immer, dass ich härter arbeite als alle anderen. Ich bin also mehr als bereit für dieses Kapitel meines Lebens.
Anderson erzählt lachend, dass ihre Söhne den Film noch nicht gesehen hätten und sie gerne neckten, als sie sich auf die Rolle vorbereitete. "Sie sagten: ‹Wer glaubst du, wer du bist, Ralph Fiennes?›"
Die Rollen von Shelly und Annette machen die Rollen von Frauen über fünfzig aufregend, wild, interessant und verletzlich. Es ist eine schöne Erfahrung, diesen Figuren im Kino zuzuschauen.
Es sind farbenfrohe Figuren. Wissen Sie, meine Grosstante Auntie Vie war einer meiner liebsten Menschen. Sie trug künstliche Wimpern und Perücken und liebte es, Gurken einzulegen. Sie schrieb sogar ein Buch, "From Pickles to Pearls" – eine faszinierende, bunte Persönlichkeit. Wenn man solche Frauen im Leben hat, hat man viel weniger Angst vor dem Altwerden.
Welchen Rat könnte Shelly jungen Schauspielerinnen geben?
Ich habe keinen Ratschlag, gerade weil ich so einen unkonventionellen Weg gegangen bin. Und so viele Sachen passiert sind, die meine Karriere hätten beenden können. Deshalb bin ich so dankbar für diese zweite Chance! Und ich werde das Beste daraus machen.
"The Last Showgirl" ist ab 20. März 2025 im Kino zu sehen.