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Michael Schindhelm über seine Ausstellung:

Michael Schindhelm über seine Ausstellung: "Bis 2070 könnten wir ein subtropisches Klima haben"

Autor und Filmemacher Michael Schindhelm zeigt in seiner Ausstellung "After the Deluge" den Untergang. Aber auch die Wiederauferstehung. Ein (durchaus auch hoffnungsvolles) Gespräch über die Zukunft.

Apokalypse oder Aufbruch – was kommt nach dem Klimakollaps auf uns zu? Michael Schindhelm hat darauf keine einfache Antwort – aber eine Einladung zum gemeinsamen Denken. In seiner neuen Ausstellung «After the Deluge» (Nach der Sintflut) schickt der Künstler und Physiker Besucher:innen zunächst durch eine gigantische Flutwelle, die die Stadt Basel verschlingt. Und erfragt: Welche Welt bauen wir danach? Welche Werte, welche Pflanzen, welche Geschichten nehmen wir mit in die Zukunft?

annabelle: «After the deluge» startet in einem ehemaligen Industriegebäude von Nestlé, wo Sie Basel in einer riesigen, digitalen Flutwelle untergehen lassen. Ein Warnbild dafür, dass es nach dem Klimakollaps selbst im Wohlstandsparadies Schweiz keine sicheren Zonen mehr gibt?
Michael Schindhelm: Ja. Das Schweizer Narrativ ist seit jeher stark naturbezogen, die Menschen hier sind mit dem Stolz auf Berge, Wälder und Seen aufgewachsen und auch dem Wissen um die menschliche Ohnmacht angesichts der Zerstörungskraft der Natur. Dass diese auch angreifbar ist, wird trotzdem oft ausgeblendet. Dass auch bei uns im Tessin Waldbrände wüten, wird rasch verdrängt, lieber verweisen wir auf die südlichen Nachbarländer. Auch deswegen zeigen wir ganz konkret Basel – erkennbar, und machen klar, dass die Folgen des Klimawandels uns alle betreffen.

Verscheuchen Sie mit einem solch grausigen Auftakt nicht die Besucher:innen?
Ähnlich wie in der Genesis der Bibel beginnen wir mit einem Untergang, der aber etwas Neues hervorbringt. Uns geht es darum, nüchtern festzustellen: Die heutigen Extremwetterlagen sind nur ein Vorgeschmack dessen, was nicht mehr abwendbar ist – die Katastrophe wird kommen. Wir laden ein, zu überlegen, wie die Welt danach aussehen könnte.

Unter anderem mit einer von den Besucher:innen mit gestalteten Arche Noah. Warum?
In der Bibel baut Noah eine Arche, rettet Tiere und Familie – und Gott schliesst danach einen Bund mit den Menschen, um die Gesellschaft neu zu ordnen.

Heute scheinen Tech-Milliardäre die neuen Götter zu sein, die weniger am Gemeinwohl als an Superökonomien orientiert sind. Werden sie entscheiden, wer auf die Arche darf?
Mir widerstrebt die Vorstellung, dass eine Handvoll Götter im Silicon Valley alles bestimmt. Solche Entscheidungen können nur kollektiv getroffen werden – nach losen Regeln, aber mit Prinzipien wie Gleichberechtigung. In unserer Ausstellung bringen Besucher:innen Pflanzen, Erinnerungsstücke oder auch immaterielle Dinge wie Gedichte mit. So entsteht eine kollektive Sammlung von Dingen, die sich nicht aus Einzelinteressen, sondern aus einer geteilten Vision für die Zukunft zusammensetzt.

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"Wer Geld hat, steht vorn und geniesst, der Rest zahlt trotzdem"

Was, wenn die Mitbringsel oder Beiträge der Besuchenden gegen Ihren Wertekatalog verstossen?
Ist genau das nicht unser aller Alltag? Entscheidend ist, dass es einen Diskurs gibt – nur so kann man die eigene Position einbringen und Haltung zeigen. Gerade jetzt, wo oft im Interesse weniger verhandelt wird, während ein wachsender Gesellschaftsteil in der Debatte kaum noch vorkommt.

Sie spielen auf die wachsende Zweiteilung der Gesellschaft an?
Ich sehe eher eine Marginalisierung. Nehmen wir die Disney-Parks: Die Mittelklasse in den USA kann sich einen Besuch im Vergnügungspark kaum noch leisten. Wer mehr zahlt, darf die Fast Lane nehmen, wer nur ein normales Ticket kauft, muss warten und sieht fast nichts. Für mich ein Sinnbild: Wer Geld hat, steht vorn und geniesst, der Rest zahlt trotzdem – und zusammengezählt sogar mehr.

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Superreiche bauen sich Bunker, planen, auf anderen Planeten weiterzuleben, weil sie nicht mehr an die Erde glauben. Sie begegnen dem in Ihrer Ausstellung mit Visionen. Woher nehmen Sie die Energie?
Der Befreiungsschlag ist die Hoffnung – und die Spekulation. Ich  arbeite mich nicht an Details wie 1,5-Grad-Zielen ab, dafür haben wir im Rahmen der Diskussionspanels in der Ausstellung Forscher:innen eingeladen. Meine Aufgabe als Künstler sehe ich darin, den Sprung über die Katastrophe hinaus zu wagen. Das nenne ich «apokalyptischen Optimismus»: Wir müssen weiterdenken, in die Welt danach.

"Wir Menschen müssen lernen, uns wieder in die natürlichen Systeme zu integrieren"

Warum lehnen Sie Ihre Ausstellung an die biblische Allmacht Gottes an?
Ich wurde in Eisenach geboren, wo Luther die Bibel ins Deutsche übersetzte, und wuchs in einer protestantischen Familie auf. Dass ich Agnostiker wurde, lag auch daran, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass einer allein entscheidet. Ich erkannte, dass sich selbst in der Bibel Gott nach der Schöpfung zurückzieht – die Welt ist dann sich selbst und ihrem Ökosystem überlassen. Die eigentliche Botschaft, die mir sehr wichtig ist, lautet: Wir Menschen müssen lernen, uns wieder in die natürlichen Systeme zu integrieren. Ein einziger Baum ist Lebensraum für unzählige Mikroorganismen. Die Menschheit der Zukunft wird diese Komplexität reflektieren – und erkennen, dass wir nur durch Reintegration in natürliche Systeme überleben können.

Sie sprechen von einer Verschmelzung von Mensch und Natur. Gehen wir davon aus, dass nach einer Apokalypse die Welt sozusagen bei Null anfängt, weder Geld noch technische Unsterblichkeit zählen – worauf wird es dann ankommen?
Wir kehren nicht in den Busch zurück, sondern bleiben fortschrittsorientiert, nutzen Technologien weiter. Aber mit dem Ziel, Bildung, Wirtschaft und Gesellschaft ins Gesamtsystem Erde einzubetten. In der Ökologie spricht man vom Symbiocene – einer möglichen Welt, in der Menschen und Ökosysteme wieder in Einklang leben.

Partizipation ist Ihnen wichtig. Muss Kunst aktivistisch sein, um Gehör zu finden?
Ich sehe mich nicht als Aktivist. Man kann politisch sein, ohne aktivistisch zu sein. Mich interessiert vor allem, wie man Formate erfindet, um Ideen in die Gesellschaft zu tragen und Debatten auszulösen. Leonard Bernstein warb im berühmten TV-Programm Young People’s Concerts zwischen 1958 und 1972 für klassische Musik und erreichte damit Millionen Menschen – effektiver, als es jede Universität es damals vermocht hätte. Heute denke ich populärer als noch vor 25 Jahren im Theater. Mir geht es darum, über den Kunstkuchen hinaus Menschen zu erreichen, die beim Wort «Kunst» zurückschrecken. Das war ein Grund, warum ich mich einst aus der Hochkulturszene verabschiedet habe. Kunst muss raus aus ihrer elitären Blase, wenn sie gesellschaftlich wirksam werden will.

In der Ausstellung wird es – neben der Möglichkeit, Dinge auf die Arche mitzubringen – einen Statement Room geben, wo Besucher:innen ihre eigenen immateriellen Beiträge einbringen dürfen – Texte, Lieder, Performances. Solche offenen Formate können Begegnung schaffen, bergen aber auch die Gefahr, dass ein Haufen narzisstischer Selbstdarsteller:innen die Bühne mit ihrem Ego verstopfen. 
Beides wird passieren. Entscheidend ist, dass Partizipation echte Begegnung ermöglicht. Museen werden oft solo durchwandert – man «konsumiert» Objekte. Wir versuchen das aufzubrechen: Wer performt, tut es vor anderen; es entsteht unmittelbarer Austausch. So wird aus der Ego-Geste ein Gespräch. Genau dafür ist das Programm unserer Ausstellung mit Forscher:innen, Künstler:innen und Gäst:innen angelegt.

"Auch ich trage zum Fussabdruck bei. Deshalb verweigere ich den moralischen Hammer"

Hatten Sie in der Vorbereitung der Ausstellung ein Aha-Erlebnis?
Ein Team von der ETH unter der Leitung von Philipp Urech und Matthias Vollmer hat sich die Zukunft in heimischen Städten angeschaut. Die Schweiz gerät Schritt für Schritt unter subtropischen Einfluss – ich wohne im Tessin, da ist das bereits spürbar. Bis 2070 könnte auch Zürich ein subtropisches Klima haben: mehr Regenextreme, längere Hitzephasen, veränderte Vegetation. Die Studierenden der ETH zeigen in einer Point-Cloud-Simulation heutige Zürcher Strassenzüge neben möglichen Ansichten von 2070 und ich war überrascht, wie hedonistisch gedacht wurde, gar nicht so düster, wie ich es erwartet hatte. Die Stadt tropisch-grün, wenig Verkehrslärm, teils wassernahe, lagunenartige Stimmung. Mir ist klar: Das Klima bringt vielerorts drastische Zerstörungen. Aber die Studierenden wollten auch den Gedanken der Resilienz und der Anpassungsfreude sichtbar machen.

Sie arbeiten international. Wie vereinbaren Sie Vielfliegerei mit Nachhaltigkeit?
Das Dilemma benenne ich offen. Ich fliege heute seltener und bleibe länger an einem Ort. In Europa kaum noch. Trotzdem: Auch ich trage zum Fussabdruck bei. Deshalb verweigere ich den moralischen Hammer. Der deutsche Gesellschaftstheoretiker Niklas Luhmann hat mich gelehrt: Wir sind Teil des Systems, das wir kritisieren. Ehrlichkeit über die eigene Verstrickung ist wichtiger als moralische Reinheit. Und auch im Umgang mit neuen Technologien zeigt sich, wie schwer es ist, konsequent zu bleiben.

Sie sprechen KI an. Sie binden sie ebenfalls  in die Ausstellung mit ein – etwa mit einem animierten Kurzfilm über eine post-apokalyptische Gesellschaft. Wie denken Sie Technik und Natur zusammen?
Es gibt zwei Haltungen: Technik um ihrer selbst willen oder Technik als Werkzeug für menschliche Ziele. Ich stehe klar bei Letzterem. Ablehnung aus Prinzip ist in Europa verbreitet, anderswo überwiegt Optimismus. Gerade deshalb sollten wir hier produktive, kritische Anwendungen zeigen: Technologie für uns, nicht anstelle von uns. Auch KI ist weder Heilsbringer noch Feindbild, sondern Teil einer Symbiose, die wir gestalten müssen.

Es ist sehr menschenfreundlich, dass Sie die Menschen überhaupt in der nächsten Dimension sehen.
Ich kann nicht anders. Der Mensch bleibt für mich immer im Zentrum. Genau darin liegt die Hoffnung – sonst würde ja niemand mehr mitmachen.

Die Ausstellung «After the Deluge» ist Teil des interdisziplinären Basler Festivals «Interfinity», welches Wissenschaft, Musik und Kunst verbindet und sich in einer Sonderausgabe den Themen Biodiversität, Stadtökologie und Klimawandel widmet. Läuft vom 14. Oktober bis 4. November 2025.

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