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Für Grusel-Fans: Gotthelfs «Die Schwarze Spinne» kommt ins Kino

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Für Grusel-Fans: Gotthelfs «Die Schwarze Spinne» kommt ins Kino

Der Schweizer Regisseur Markus Fischer hauchte der «Schwarzen Spinne» neues Leben ein. Dass er seinen Kindheitstraum – einen Ritterfilm drehen – erfüllte, ist nicht das Einzige, was ihm an diesem Film wichtig ist.

Angst vor Spinnen hat Markus Fischer niemals gekannt. «Das sind faszinierende Wesen, die ich ohne Scheu über meine Hände krabbeln liess», erinnert sich der 68-jährige Regisseur an Jugendtage. Dann gerieten die Tiere bei ihm etwas in Vergessenheit – ehe Fischer gut 45 Jahre später in seinem Zürcher Garten ein besonders fettes, tiefschwarzes Exemplar im Sonnenschirm entdeckte. «Und da kam mir plötzlich diese alte Geschichte in den Sinn.»

Mit der alten Geschichte meint er «Die Schwarze Spinne» von Jeremias Gotthelf, mit bürgerlichem Namen Albert Bitzius; Pastor und Volksschriftsteller des 19. Jahrhunderts im Emmental – und bis heute Pflichtstoff in vielen Schulzimmern des Landes. Fischer las die Novelle mit 18 zum ersten Mal. «Weltliteratur!», meint der Regisseur. «Das sage nicht ich, sondern Thomas Mann.»

«Eine der verrücktesten Geschichten der Schweizer Literatur»

Lang vor Thomas Mann adelten bereits die Brüder Grimm ihren Zeitgenossen Gotthelf, lobten seine Sprachgewalt, die ihresgleichen suche. «Es ist zudem eine der verrücktesten Geschichten der Schweizer Literatur», meint Fischer. Die Geschichte erzählt davon, wie grosse, menschengemachte Not den Teufel auf den Plan ruft. Der bietet seine Hilfe an, fordert dafür aber eine unerfüllbare Gegenleistung – und damit beginnt das Verderben.

«Da ist Horror drin, da wird etwas über das Zusammenleben in einer Gesellschaft erzählt», schwärmt der Regisseur. «Es geht auch darum, wie man sich mit dem Bösen arrangiert, das ist also hochaktuell.» Die Spinne ist ein Bild Gotthelfs für dieses Böse. Es ist einfach in der Welt. Gewalt darüber haben Menschen nur insofern, als sie sich entscheiden können, ob sie das Böse in sich selbst herauslassen oder nicht.

Markus Fischer teilt seine Gotthelf-Faszination

Fischer wurde 1953 geboren, just ein Jahr vor dem grossen «Gotthelf-Jahr», das zu Ehren des hundertsten Todestags des Volksschriftstellers stattfand, der am 22. Oktober 1854 in Lützelflüh starb. Damals brach eine regelrechte Gotthelf-Manie aus, die unter anderem die immens populäre Verfilmung «Uli der Knecht» hervorbrachte.

Mit ihr hatte Regisseur Franz Schnyder, ebenfalls ein Emmentaler, seinerzeit sein Thema gefunden: Er nahm sich fortan einen Gotthelf-Roman nach dem anderen vor und verfilmte sie: «Uli der Pächter» (1955), «Die Käserei in der Vehfreude» (1958), «Anne Bäbi Jowäger» (1960) und letztlich «Geld und Geist», mit dem Schnyder zehn Jahre später die Serie schloss.

«Meine Mutter hat mir aus ‹Anne Bäbi› vorgelesen», erzählt Fischer; die Geschichte einer Magd, deren Kind an den Pocken erkrankt. Dass er selbst Gotthelf später eher skeptisch gegenüberstand, will er nicht verhehlen: «Diese übertriebene Frömmigkeit, das ist doch bigott. Das finde ich eigentlich heute noch, gerade mit dem Wissen um den sexuellen Missbrauch, den die Kirchen so lang geschehen liessen.»

«Uns war der alte Schweizer Film zu volkstümelnd, zu verklärend»

Der heranwachsende «Revoluzzer» (Fischer über Fischer) lehnte zudem das alte Schweizer Kino ab, dessen Repräsentant unter anderem Franz Schnyder war. Fischer hielt es eher mit den jungen Regisseuren, die ab Mitte der 1960er-Jahre übernahmen. «Uns war der alte Schweizer Film zu volkstümelnd, zu verklärend, zu sehr geistige Landesverteidigung. Heute denkt man zum Glück schon wieder anders darüber.» Wenn auch nicht alle: Charles Lewinsky, Drehbuchautor und Verfasser eines Gotthelfs-Musicals, spottete erst letztes Jahr genüsslich über die heile «Bluemete-Trögli-Welt» der Gotthelf-Verfilmungen von Schnyder.

Von solchen Welten hat Fischers Film nun gründlich Abstand genommen. Bei ihm starrt das Landvolk förmlich vor Dreck, die Menschen sind ausgezehrt, erschöpft, ihre Kleidung verschlissen. «Elend und Armut waren gross», sagt Fischer, «ich denke schon, dass ich da ein realistisches Bild zeichne.» Religion und Glauben spart er natürlich nicht aus. Aber bei ihm ist das weniger Frömmigkeit, sondern der einzige Anker, der angesichts von so viel Not bleibt.

«Ich war immer sehr an historischen Filmen interessiert»

Fischer hat sich mit Genrefilmen einen Namen gemacht, im TV («Tatort», «Hunkeler»-Krimis) und im Kino («Marmorera»). «Ich war immer sehr an historischen Filmen interessiert», sagt er: «Und hier sah ich eben diesen tollen Stoff aus dem 13. Jahrhundert.» Bei Gotthelf ist er, zusammen mit einer weiteren Erzählung, in eine Rahmenhandlung gefügt – eine komplexe literarische Struktur, die die Novelle noch heute zur Schullektüre macht.

Fischer, der Mainstream mag, hat sich auf die zentrale Binnenhandlung konzentriert. Sie handelt vom Kreuzritter Hans von Stoffeln, Vorsteher des Deutschordens auf Burg Sumiswald im Emmental, die tatsächlich einst im Besitz dieses Ordens war. Von Stoffeln terrorisiert die Landbevölkerung, die er derart gnadenlos zur Fron zwingt, dass alle Landarbeit darüber liegen bleiben muss und dem Dorf der Hungertod droht. Und nun sollen die Bauern dem Deutschorden auch noch eine Allee zur Burg anlegen: hundert ausgewachsene Bäume, die sie im Wald ausgraben und herankarren sollen. Es ist unmöglich, einfach nicht zu schaffen.

Was dann passiert, ist nicht einfach eine Nacherzählung von Gotthelf. «Wir haben seine Geschichte ergänzt, haben unsere heutige Perspektive beigesteuert», sagt Fischer mit Bezug auf seine Drehbuchautorin Barbara Sommer und ihren Kollegen Plinio Bachmann – die bereits das Drama «Der Verdingbub» und die Komödie «Moskau einfach» zusammen geschrieben haben. Drei Jahre investierten sie in die «Spinne». «Ohne die Arbeit der beiden hätte ich den Film, so wie ich ihn mir vorstellte, gar nicht machen können.»

Die Figuren im Film weichen ab – zum Guten

Das Team ging zum Beispiel bei der Gestaltung der Charaktere über Gotthelf hinaus. «Ritter Hans von Stoffeln ist bei ihm eine eindimensionale Figur», findet Fischer, «fast klischeehaft böse. So richtig interessant wird das Böse meiner Meinung nach aber erst, wenn man den Hintergrund kennt. Deswegen hat von Stoffeln bei uns ein Gesicht und eine Geschichte. Und ein Kriegstrauma.» Den Ritter plagen im Film Alpträume vom Krieg gegen die Mongolen, abgeschnittene Köpfe, verstörende Szenen. Dass der Deutschorden im Dienste der Christenheit gegen die Mongolen zu Felde zog, ist geschichtlich belegt, auch in der Novelle blitzt das kurz auf.

«Heute weiss man, was Kriegshandlungen mit Soldaten machen, welche Traumata das bei ihnen auslöst», sagt Fischer. In seiner «Spinne» sind solche Kriegserlebnisse nun Ursache der «posttraumatischen» Unberechenbarkeit des Ritters gegenüber den Dorfbewohnern. Sein brutales Handeln hat zudem Konsequenzen, die einen weiteren, bei Gotthelf nicht vorkommenden Konflikt hinzufügen.

Auch die Hauptfigur der Novelle, die Hebamme Christine, haben Fischer und sein Drehbuchteam etwas abweichend gestaltet. Bei Gotthelf kommt sie, wie der Deutschorden-Ritter, aus dem Ausland, vom Bodensee – und ist allein aus diesem Grund bereits Aussenseiterin. «Uns lag darin zu viel Abneigung gegenüber dem Fremden. Daher ist sie jetzt eine Einheimische, die aufgrund ihrer tragischen persönlichen Geschichte einen schweren Stand in ihrer Gemeinschaft hat.»

Fischer bezeichnet die von Lilith Stangenberg gespielte Christine als «Freigeist»: unverheiratet; eine Frau, die sich um die Normen ihrer Zeit nicht schert, auch nicht um den Glauben. Bei einer besonders schweren Geburt flucht sie einmal laut – was ihr gleich den heiligen Zorn der Wöchnerin einbringt. Anstatt dankbar zu sein, dass ihr Kind am Leben ist, findet die junge, vollkommen entkräftete Mutter die Zeit, sich solch gotteslästerliche Worte entschieden zu verbitten.

Ein teuflischer Pakt

Christine ist auch die Einzige, die vor dem Teufel nicht panisch davonläuft, wenn er – mit maliziöser Bravour gespielt von Anatole Taubmann – wie aus dem Nichts erscheint. Im Gegenteil; sie lässt sich ein auf den Pakt, den der Teufel dann mit einem Kuss auf ihre Wange besiegelt. Für einen Moment ist ihr die Dorfgemeinschaft unglaublich dankbar dafür, weil die Allee jetzt einfach und vollkommen mühelos entsteht. Dann aber fordert der Teufel seinen Lohn, ein ungetauftes Kind, und verdeutlicht diese Forderung durch diabolische Plagen. Der Zorn des Dorfes, auch derjenige der ebenfalls betroffenen Ordensritter, richtet sich – gegen Christine.

Es kommt jetzt zu einem Körper-Horror, den man auch von David Cronenberg nicht besser kennt. Christine, seit dem Kuss vom Teufel besessen, ringt mit sich, weigert sich, zur Erfüllungsgehilfin zu werden – auf ihrer Wange erscheint daraufhin ein teuflisches Mal in Form einer Spinne. Als sie wieder und wieder widersteht, platzt schliesslich eine Spinne aus ihrer Wange heraus und fängt an, im Dorf und unter den Deutschrittern ein paar Schulden zu begleichen.

Ein Bild für die vorschnellen Rufe nach dem Staat

Als Bundesrat Ueli Maurer, Vorsteher des Finanzdepartments, 2016 eine Rede zum Nationalfeiertag hielt, sprach er über «die Schwarze Spinne heute» – und fand in ihr einen Beleg für die Notwendigkeit einer restriktiven Finanz- und Ausgabe-Politik: Der Pakt mit dem Teufel sei ein Bild für die vorschnellen Rufe nach dem Staat, für den Ruf nach «fremder, vermeintlich magischer Hilfe», für die man aber immer einen Preis bezahlen müsse.

Das ignoriert, dass die halb verhungerten Dorfbewohner kaum eine andere Möglichkeit haben, als nach fremder, «magischer» Hilfe zu rufen – ist aber ein gutes Beispiel dafür, warum die Novelle bis heute solch eine Strahlkraft hat. «Nicht umsonst wird sie noch immer landauf, landab an den Theatern gespielt», meint Fischer, «und nicht nur bei uns, auch in Deutschland.» Sie steht vielen unterschiedlichen Interpretationen offen.

Wer die Ungeheuer sind, darf das Publikum selbst entscheiden

Fischer und sein Drehbuchteam haben in ihrer Version der «Spinne» zwar moderne Lesarten für die Figuren gesucht. Eine eindeutige Interpretation für die horrende Situation, die sich auf der Leinwand abspielt, bieten sie jedoch nicht. «In ‹Jenseits von Gut und Böse› von Nietzsche gibt es eine Stelle, die es unserer Meinung nach gut zusammenfasst», sagt Fischer: «‹Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehen, dass er dabei nicht selbst zum Ungeheuer wird.› Das ist der Geist von Gotthelfs Novelle. Und ich finde, ihm sind wir sehr treu geblieben.»

Wer die Ungeheuer – oder das Ungeheure – sind, darf das Publikum selbst entscheiden: «Saddam Hussein», kommt Fischer dazu etwa spontan in den Sinn – ein Menschenschlächter, den zu beseitigen die Konsequenz hatte, dass an seine Stelle die noch grausameren Menschenschlächter des IS traten. Auch eine zweite Interpretationsmöglichkeit fällt Fischer ein: «Denken Sie an die gesellschaftliche Spaltung, die durch den Umgang mit der Corona-Pandemie entsteht.»

Ihm selbst ist darüber hinaus etwas Weiteres wichtig an seinem Film, den er in Ungarn «beinahe unter Hollywoodbedingungen» drehen konnte: «Ich liebte Ritterfilme schon als Kind. Und dass ich jetzt die Gelegenheit zu einem Ritterfilm mit allem Drum und Dran bekam, finde ich fantastisch.»

«Die Schwarze Spinne» von Markus Fischer ist ab 10.3 im Kino zu sehen. Der Film wird in einer berndeutschen und in einer hochdeutschen Fassung gezeigt.

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