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Mitten in die Erotik-Industrie: Regisseurin Ninja Thyberg ist fasziniert von Pornos

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Mitten in die Erotik-Industrie: Regisseurin Ninja Thyberg ist fasziniert von Pornos

Für ihr Spielfilm-Debüt «Pleasure» drang die schwedische Regisseurin Ninja Thyberg ins Herz der Porno-Industrie vor – und ihrer Vorurteile.

Vergnügungssteuerpflichtig ist «Pleasure» nicht unbedingt. Das intensive, gut inszenierte Spielfilmdebüt der schwedischen Regisseurin Ninja Thyberg zeigt den Arbeitsalltag in der US-Porno-Industrie recht nüchtern: kein Glas Champagner, das am Set erst einmal ein bisschen Schwung hereinbringt, kein frivoles Gekichere. Stattdessen pragmatische Nacktheit, Begierde auf Befehl. Dazu harte Konkurrenz und jede Menge Druck. Für die Frauen in der Branche, aber nicht nur für sie.

Mit Ausnahme der beeindruckenden Hauptdarstellerin Sofia Kappel stammen die Darsteller:innen in diesem sehr sehenswerten, obschon nicht immer ganz leicht verdaulichen Film aus der Porno-Industrie; oft spielen sie sich selbst. «Pleasure» basiert auf ausführlichen Vor-Ort-Recherchen der Regisseurin. Ihre eigenen Vorurteile über die Branche wurden dabei ziemlich über den Haufen geworfen, erzählt die 37-jährige Thyberg beim Interview in Zürich.

annabelle: Ninja Thyberg, vor sieben Jahren haben Sie schon einmal einen Film über die Porno-Industrie gedreht. Was fasziniert Sie an dem Thema?
Ninja Thyberg: Ich interessiere mich für Pornos seit ich sechzehn war, also seit etwas mehr als zwanzig Jahren. Damals brachte mein Freund einen nachhause mit. Ich war streng anti.

Angewidert?
Das ist zu hart formuliert. Mich regte die Ungleichheit auf: männliche Fantasien, in denen Frauen den Status von Objekten hatten. Die Szenen hatten in meinen Augen für die Frauen oft etwas Erniedrigendes. Ich lehnte diese Bilder ab, fühlte mich aber gleichzeitig auch provoziert und angestachelt. Erst recht, als niemand mit mir darüber reden wollte, allen war es dabei total unwohl. Ich dagegen biss mich fest – und entdeckte nach und nach auch Aspekte, die nicht in mein schlichtes Schwarz-Weiss-Schema passten.

Nämlich?
Dass Objektivierung nicht unbedingt Entwertung oder gar Entmenschlichung bedeuten muss. Das kann auch spielerisch sein, kann Spass machen. Es kann therapeutisch sein, mit Machtverhältnissen zu experimentieren. Ich entdeckte zudem neue Nuancen des Genres, den feministischen Porno, den ethischen. Ich ging schliesslich selbst auf die Filmschule in Stockholm.

Aber nicht in der Absicht, Pornos zu drehen, oder?
Es waren zwar keine Pornos. Aber doch Filme, die sich um all das drehten, was mich bei der Auseinandersetzung mit Porno beschäftigte: sexuelle Identitäten, Geschlechterrollen, Machtdynamiken. Ich schrieb später sogar ein Essay über diese Themen. Ich schaute wirklich sehr viele Pornos, betrieb analytische Studien. Und dann drehte ich den Kurzfilm, den Sie zu Beginn erwähnten.

Auch den haben Sie bereits «Pleasure» genannt.
Er war ein Erfolg, ich wurde nach Cannes und zum Sundance-Festival eingeladen und ich gab viele Interviews. In denen sagte ich immer, meine Absicht sei es gewesen, die wahren Menschen in der Branche zu porträtieren. Ich kam mir dabei wie eine Heuchlerin vor.

Warum?
Weil ich diese Menschen gar nicht getroffen hatte. Mein Wissen stammte bis zu diesem Zeitpunkt ausschliesslich aus Büchern und Dokumentarfilmen. Das zu ändern, war dann der Impuls für den aktuellen Film. Zur Vorbereitung war ich häufig in Los Angeles, habe dort 2016 auch ein halbes Jahr gelebt. In dieser Zeit konnte ich wirklich in das Herz der Porno-Industrie vordringen, mich mit Menschen, die in ihr arbeiten, anfreunden.

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«In der meisten Zeit unterscheidet sich die Porno-Industrie kaum von Hollywood»

Ninja Thyberg

Wie reagierte die Branche auf Sie? Abweisend?
Wenn jemand abweisend war, dann eher ich, die ihre klare Meinung vor sich her trug. Von den Darstellerinnen nahm ich an, dass sie alle ausgebeutet werden. Ich sah sie als Opfer – die nicht einmal eine Ahnung davon hatten, dass sie Opfer waren.

Machen Sie sich über diese Haltung jetzt in einer bestimmten Szene ein bisschen lustig? Da sagt die Hauptdarstellerin nämlich, sie drehe Pornos, weil sie als Kind vom Vater missbraucht worden sei – um dann in schallendes Gelächter auszubrechen.
Genau. Das sind die Klischees, von denen auch ich überzeugt war. Ich habe sie lieber geglaubt als das, was die Leute in der Branche mir erzählten. Ich hatte meine Antwort also bereits – und suchte nur nach einem Satz, der sie bestätigte. Erst als ich damit aufhörte, verschwand die Kluft zwischen mir und den Leuten in der Branche.

Die meisten Ihrer Protagonist:innen stammen selbst aus der Branche, die in «Pleasure» durchaus kritisch beschrieben wird. Gab es bei denen keine Bedenken, mitzumachen?
Einige musste ich ein bisschen überreden. Viele sehen die Probleme aber selbst und schätzen es, wenn sie angesprochen werden.

Wirklich viele?
Ja. Sie tragen das nur selten selbst nach aussen. Porno-Darsteller:innen sind sehr loyal ihrer Branche gegenüber, es herrscht eine Wagenburg-Mentalität, was ja auch kein Wunder ist. Das bedeutet aber keineswegs, dass es keine internen Konflikte gibt: der Wunsch nach besseren Arbeitsbedingungen, nach Gleichberechtigung. Das kommt in «Pleasure» zur Sprache, und viele meiner Darsteller:innen konnten dahinterstehen.

Wie schätzen Sie selbst die Arbeitsbedingungen ein?
Es gibt schon Dreharbeiten, da werden insbesondere ganz junge Mädchen manipuliert: Damit sie dann auch wirklich Sex vor der Kamera haben und nicht zurückschrecken. In den allermeisten Fällen ist das aber überhaupt nicht so. Da geschieht nichts, was nicht einvernehmlich ist, das ist allen sehr wichtig. Das zeige ich ja auch so.

Sie zeigen aber auch eine Szene, in der ihre Hauptdarstellerin sich erniedrigen lassen muss und ihr gedroht wird, sie bekomme kein Honorar, wenn sie aussteigt.
Die kondensiert sozusagen all das Schlechte, das ich bei meinen Recherchen und Interviews gehört habe. Es gibt natürlich schwarze Schafe, es gibt auch Männer, die glauben, bei Dreharbeiten das sexuelle Raubtier in sich rauslassen zu können – und das ist dann wirklich ein Problem. Doch in der meisten Zeit unterscheidet sich die Porno-Industrie kaum von Hollywood. Dort arbeiten nette Menschen, die mit dem, was sie machen, nicht immer glücklich sind.

Auch die männlichen Darsteller nicht?
Es gibt im Film eine Szene, die ich so ähnlich erlebt habe. Ein Darsteller konnte keine Erektion bekommen, der Dreh wurde unterbrochen. Er hat dann nicht etwa Viagra eingeworfen oder sich an einer harten Szene aufgegeilt. Er hat schüchtern eine Darstellerin gefragt, ob er ein bisschen an ihrem Fuss lecken darf. Das war ganz klein, ganz zärtlich. Noch mehr überrascht hat mich, dass auch Regisseure eine starke Distanz zu den Inhalten hatten, die sie produzieren.

Ach ja?
Ich erinnere mich an einen Dreh: Eine junge, mädchenhafte Frau im Schul-Outfit und zwei schwarze Männer. Der Regisseur gab Anweisungen: «Schau ängstlich, da kommen diese beiden riesigen schwarzen Schwänze, die dich gleich missbrauchen. Schau noch ängstlicher!» Es war so sexistisch und rassistisch! Und dann drehte sich der Regisseur zu mir um, verdrehte die Augen und meinte: «Was läuft bloss falsch bei euch Zivilisten?»

Zivilisten?
So nennt die Branche die Konsumenten. Ich war total perplex. Ich sass da und beurteilte den Regisseur und wie pervers das alles ist. Und er sass da und beurteilte mich, sozusagen als Auftraggeberin dieser Perversion. Wobei ich eigentlich die falsche Adressatin war. Frauen zahlen nicht für Porno.

Nein?
Fast alle Pornos, die inzwischen vor allem über das Internet vertrieben werden, werden von Männern gekauft. Und deren Sehnsüchte und Begierden werden eben bedient. Die Porno-Industrie ist Kapitalismus in seiner reinen Gestalt: Es geht nicht um verantwortungsvolle Produktion zu dann eben geringeren Margen, es geht auch nicht um das, was einem selbst Spass macht. Es geht um Profitmaximierung: Der Kunde will es, der Kunde bekommt es.

«Pleasure» ist ab 13. Januar im Kino zu sehen.

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