Werbung
Wie Pamela Anderson mir meine eigene Misogynie aufzeigte

Popkultur

Wie Pamela Anderson mir meine eigene Misogynie aufzeigte

Auch Redaktorin Sandra Brun bleibt nicht davor verschont, frauenfeindlich zu denken. Was das mit Pamela Anderson zu tun hat – und was wir alle vom Ex-Playmate lernen können.

Da sass ich nun am Ende von Pamela Andersons grossartiger Doku und war sprachlos. Darüber, wie unaufgeregt, lustig und reflektiert Pamela Anderson ist – aber dazu später. Vor allem jedoch darüber, wie viel internalisierte Frauenfeindlichkeit noch immer in mir schlummert.

Ich bezeichne mich klar als Feministin. Ich feiere Frauen, die ihre Stimme erheben. Frauen, die laut sind. Frauen, die ohne Pardon sich selbst sind. Ich bin klar dafür, dass jede:r ein Recht darauf hat, so zu leben, wie er:sie will.

Neid? Missgunst? Nein, Misogynie

Und doch ertappe ich mich regelmässig dabei, über Frauen zu urteilen. Bewusst und unbewusst. Beispielsweise vergöttere ich Lizzo für ihr Selbstbewusstsein, ihre Empathie, ihre Power – und finde beim Scrollen durch ihren Insta-Account: «Twerk as much as you want, dear.» Und trotzdem ists mir dann teilweise doch etwas – wie soll ich sagen? – too much.

Ich höre Miley Cyrus’ Selbstliebe-Hymne «Flowers» gerade in Dauerschleife, unterschreibe jedes Wort, das sie singt. Und bemerke dann doch, dass ich für mich denke: «Das Lied liebe ich. Aber sie als Person ist mir echt too much.» Oder ich schaue mir Taylor Swifts neustes Musikvideo an, in dem sie – Schönheit in Person – sich mit anderen Schönheiten räkelt. Und auch wenn ich innerlich mitsinge, nervt sie mich, urteile ich. Auch hier: irgendwie too much.

Aber too much wovon? Nacktheit? Selbstbewusstsein? Selbstliebe? Ist das Neid, tief in mir drin? Ist das Missgunst? Nein, ich bin davon überzeugt: Hier geht es verflucht noch mal um Misogynie. Sprich: meine eigene, verinnerlichte Frauenfeindlichkeit. Über Jahre (unfreiwillig) gelernt durch mein Aufwachsen und Frausein in dieser patriarchalischen Gesellschaft.

Ich ergriff keine Partei

Und es ist ein ähnliches Gefühl, das ich früher auch Pamela Anderson gegenüber empfand – und ehrlicherweise heute noch manchmal empfinde. Ich sah mir letztes Jahr die ersten Folgen der Serie «Pam & Tommy» an und fand das erneute Aufkochen des Sex-Skandals klar nicht okay.

Werbung

«Ich machte dieselben schlechten Witze über Pamela Anderson wie alle anderen – oder lachte zumindest mit»

Doch ich muss ich mir heute eingestehen, dass ich früher genauso vernichtend urteilte über Pamela. Ich machte dieselben schlechten Witze über ihre Silikonbrüste, knappe Badeanzüge und Nacktheit wie alle anderen – oder lachte zumindest mit. Nicht ein einziges Mal wäre es mir damals in den Sinn gekommen, für sie Partei zu ergreifen. Obwohl ich schon damals einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hatte.

(K)eine vielschichtige Person

Ich nahm Pamela Anderson schlicht nicht als vielschichtige Person wahr. Und nahm sie nicht ernst. Auch ich sah mehr Playboy-Bunny als Kämpferin in ihr. Und dass sich das noch nicht komplett geändert hatte, wurde mir beim Schauen der Doku klar: Erst jetzt, als sie so klar ihre eigene Geschichte zurückerobert, mache ich mir die Mühe und höre hin. Höre ihr zu. Sehe sie. Nicht das Sexsymbol Pamela, sondern die Frau dahinter.

Dass sie sich so stark zur Wehr setzt, ihre Sicht der Dinge aufzeigt, braucht es offenbar, damit ich eine Frau, die mit ihrer Nacktheit berühmt wurde, ernst nehme. Sie wertschätze. Und endlich realisiere, dass genau diese selbstgewählte Nacktheit für sie ermächtigend war. Dass sie sich mit den Playboy-Fotoshootings die Macht über ihre eigene Sexualität zurückholte und sich dies wie ein Befreiungsschlag anfühlte nachdem sie als Kind sexualisierte Gewalt erleben musste, wie sie in der Doku erklärt. Was ich nie so gesehen habe. Auch ich fand es eher billig, sich auszuziehen, als bewundernswert.

Werbung

«Ich urteile über Frauen, die anders handeln, leben, sprechen, als ich es als feministisch verstehe»

Und das löst gerade einen ziemlichen Lernprozess bei mir aus: Ich bin nicht verschont davon, immer noch und immer wieder frauenfeindlich zu denken. Zu urteilen über Frauen, die für mein Empfinden nicht feministisch handeln, sprechen, leben. Die sich Gedanken über ihren Körper machen, exzessiv Sport treiben, skinny sein möchten, sich nackt zeigen, kokettieren, ihre Schönheit feiern, sich ganz selbstverständlich sexy zeigen.

Verstecken statt zeigen

Die Sache ist komplex. Ich komme wieder auf meine, unsere Sozialisierung zurück. Von klein auf lernen wir, Frauen abzuwerten. Über Frauen zu lästern. Über die, die zu schön sind. Über die, die nicht schön genug sind. Über die, die zu offenherzig sind und zugleich über die, die zu prüde sind. Und erleben wohl alle an irgendeinem Punkt in unserem Leben selbst: Jemand lästert über unser Outfit, unser Make-up, unseren Körper. Es scheint eine unausgesprochene Regel zu geben, was akzeptiert und was verachtet wird. Und es kippt wahnsinnig schnell von classy zu bitchy.

«Wird die gesellschaftliche Grenze der Akzeptanz überschritten, scheint das eine Einladung zu sein für Beschimpfungen, Berührungen, Bemitleidungen»

Das manifestiert sich beispielsweise in der Länge unserer Röcke, dem Glanz unserer Lippen, der Grösse unserer Brüste. Wird in einem Punkt die gesellschaftliche Grenze der Akzeptanz überschritten, scheint das eine Einladung zu sein für Beschimpfungen, Berührungen, Bemitleidungen. Ist ein Gesicht zu stark geschminkt, wird darüber geschimpft. Ist ein Rock zu kurz, wird darunter gefasst. Ist ein Bauch zu rund, wird darüber gelacht.

Eine bitternötige Lektion

Genau da spielt auch die gesellschaftliche Wahrnehmung von Pamela Anderson mit rein. Indem sie sich selbstgewählt nackt zeigte, wurde ihr automatisch die Hoheit über ihren Körper abgesprochen. Sie zeigte ihren Körper im Playboy, also sprach man ihr die Wahlfreiheit darüber ab, ob es für sie auch in Ordnung ist, wenn ihr die ganze Welt beim Sex zuschaut. Heute realisiere ich, wie falsch das ist. Wie mutig es von ihr war und ist, sich dem zur Wehr zu setzen. Wie sehr es ihr Recht ist, selbst zu bestimmen, was sie zeigen will und was eben nicht.

Auch ich machte wohl Pamelas Wert unbewusst an ihrer Freizügigkeit fest. Doch wie viel oder wenig Stoff jemand trägt, wie viel oder wenig Schminke jemand aufträgt, wie viel oder wenig jemand wiegt – das darf keinen Einfluss darauf haben, wie ich über eine andere Person denke. Frauen müssen sich nicht mit akademischen Leistungen, humanitärem Engagement, mit Aktivismus meinen Respekt verdienen.

Sie verdienen diesen eben unabhängig davon, was sie tun. Und daran hat mich Pam erinnert. In dem Sinn: Hier und heute feiere ich dich, Pamela Anderson. Und ich danke dir für diese bitternötige Lektion.

Subscribe
Notify of
guest
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments