Werbung
Wieso

Wieso "Babygirl" weniger revolutionär ist, als erwartet

In Halina Reijns Film "Babygirl" spielt Nicole Kidman eine Frau in einer Führungsrolle, die sich nichts sehnlicher wünscht, als geführt zu werden. Unsere Autorin fragt sich: Ist das so spektakulär, wie alle schreiben – oder altbacken?

Standing Ovations bei den Filmfestspielen in Venedig, eine Nominierung als beste Hauptdarstellerin bei den Golden Globes, dazu jede Menge wohlmeinende Presse: Keine Frage, Nicole Kidman eilte ihr Ruf als herausragende Schauspielerin in dem Film "Babygirl" schon voraus, bevor der hierzulande in den Kinos überhaupt angelaufen war.

Und tatsächlich: Wie die 57-Jährige die im Film überaus erfolgreiche CEO Romy spielt, die sich nach ihrem halb so alten Praktikanten verzehrt, ist bemerkenswert. So viel lässt sich zweifelsohne sagen. Abgesehen davon ist die Sache mit "Babygirl" allerdings kompliziert.

Aber fangen wir von vorne an: Romy ist das, was man im Jahr 2025 eine starke, erfolgreiche Frau nennt, die auf allen Ebenen alles erreicht zu haben scheint. Als CEO und Mutter zweier Teenager-Töchter managt sie ein Robotik-Unternehmen sowie die eigene Familie. Ihre Ehe scheint überdies auch nach 19 Jahren noch intakt; Romys Ehemann Jacob (gespielt von Antonio Banderas) liebt sie nicht nur, er begehrt sie auch noch. Die beiden haben sogar Sex.

Und so stöckelt Romy durch den Alltag, die Stirn stets so knitterfrei wie das Lookbook ihres Hochglanz-Lebens. Diese Frau hat alles im Griff, so suggerieren es die ersten Minuten des Films: ihren Körper, ihre Firma, ihre Familie, ihre Ehe.

Etwas fehlt

Doch etwas scheint Romy zu fehlen. Zu Beginn des Filmes ist noch nicht klar, was. Doch dann taucht Samuel (Harris Dickinson) auf, der neue Praktikant. Er hat sich die Chefin nicht nur als seine Mentorin ausgesucht – sondern auch als seine Spielgefährtin. Samuel ist dreist, frech, fordernd; er übertritt als Praktikant eine Grenze nach der nächsten.

So sagt er der Chefin schon beim ersten offiziellen Treffen zwischen Mentee und Mentorin: "Ich glaube, Sie wollen, dass man Ihnen sagt, was Sie tun sollen." Und mit diesem Satz hat er Romy in der Tasche. Denn die wünscht sich seit langer Zeit etwas, das sie mit jedem weiteren kontrollierten Schritt umso mehr vermisst hat: selbst geführt zu werden. Romy will auf dem Boden kriechen und endlich alle Kontrolle abgeben. Die grosse Frau ganz klein.

Werbung

"Zunächst bleibt offen, wer hier eigentlich wen dominiert"

Was folgt, ist ein Ringen der beiden, ein Tanz, in dem es um Macht geht, Begierde, um Nähe und Distanz – für Romy aber vor allem um Unterwerfung. Dabei spielt der Film selbst mit der Rolle des "Sub", also der devoten Rolle in dieser Konstellation, und des "Dom", der dominierenden Rolle. Denn zunächst bleibt offen, wer hier eigentlich wen dominiert.

Die viel ältere Frau in der Machtposition den viel jüngeren Mann? Oder der blutjunge Lover in der Schönheit seiner Jugend die alternde Frau, die sich in ihrem perfekt funktionierenden Alltag verfranst hat, der ihr nicht wirklich das gibt, was sie will?

Romy lässt sich reinziehen in diese Affäre, durch die sie alles verlieren könnte. Zwar sträubt sie sich; der Kontrollverlust fällt ihr sichtlich schwer. Doch gemäss dem Spruch "protect me from what I want" frisst sie Samuel schon bald aus der Hand, und das im wörtlichen Sinne.

Milch und Bonbons

Wenn der ihr in einer Bar bei einem Treffen mit Kolleg:innen ungefragt ein Glas Milch bestellt, trinkt sie es vor den Augen aller aus. Wenn er bei der ersten Verabredung der beiden in einem schäbigen Hotelzimmer sagt, sie solle auf allen vieren ein Bonbon aus seiner Hand lecken, tut sie es.

Und wenn er bei einem nächsten Treffen einige Zeit später einen Teller Milch vor sie stellt und von ihr verlangt, ihn auszuschlecken, um ihr von oben herabschauend dabei zuzusehen, folgt sie auch dieser Ansage. Es geht dabei um Sex, natürlich. Aber nicht nur.

Werbung

"Sex ist so viel mehr als zwei Körper, die auf- und aneinander herumrutschen"

Sex ist so viel mehr als zwei Körper, die auf- und aneinander herumrutschen. Sex kann die tiefsten Bedürfnisse und Wünsche freilegen, ja sogar das tiefste Selbst. Politisch korrekt ist die Begierde dabei selten gewesen – und soll sie auch gar nicht sein, solange das, was zwei oder egal wie viele Personen miteinander tun, einvernehmlich ist. Denn guter Sex fängt genau an dem Punkt an, wo das Begehren sich keine Moral gefallen lassen muss.

Samuel weiss das. Er erkennt Romy in ihrer Begierde; er sieht sie wirklich. Fast so, als blicke er durch ihre mittels Botox und Eisbäder gestählte Hülle hindurch.

Insofern stellt "Babygirl" durchaus spannende Fragen. Nämlich die nach den eigenen Sehnsüchten, nach dem wirklichen Begehren, auch nach dem, was ein (Frauen)Leben reich macht. Bei mancher Zuschauerin mag der Film deswegen ebenfalls die Sehnsucht nach dem grossen Kontrollverlust anknipsen, nach Rausch, Abenteuer und Risiko.

Vielleicht aber sogar mehr noch die Sehnsucht danach, wirklich von einem Gegenüber so gesehen zu werden, wie Samuel Romy sieht, und das mit all der abseitigen Begierde und all den unliebsamen Charaktereigenschaften, von denen sie sich am liebsten trennen würde.

Rätselhafter Plot

Der Film hat allerdings ein Problem. Er kommt als Erotik-Thriller daher, doch was am Plot von "Babygirl" der Thriller sein soll, bleibt rätselhaft. Denn schon nach dem ersten Kuss ist klar, wohin die Reise gehen wird. Und so folgt genau das, was man als Zuschauerin auch erwartet: Es wird gevögelt, geheult, gestritten und gelitten, es kommt zu Eifersuchtsszenen, einer Schlägerei. Und natürlich sagt Samuel irgendwann im besten Daddy-Sprech zu Romy: "Du bist mein Babygirl."

So weit, so vorhersehbar. Leider. Die Hochglanz-Optik des Films hilft dabei auch nicht. Natürlich ist Harris Dickinson heisser als heiss, auch die Sexszenen sind nicht schlecht, aber am Ende bleibt alles so perfekt ausgeleuchtet, wie man es von einem Hollywood-Film mit Nicole Kidman erwartet. Wirklich dirty wird es nicht; so tief wollten Regisseurin Halina Reijn und die Hauptdarstellerin dann anscheinend doch nicht gehen.

"Dass der Film gefeiert wird als emanzipatorisches Statement, ist das eigentlich Enttäuschende"

Im Grunde ist die Story also schnell berichtet. Man hat sie mit vertauschten Rollen auch schon tausendmal erzählt, à la "Verhängnisvolle Affäre". Wäre Romy in diesem Film ein Mann und Samuel eine Frau, wäre das Ganze nicht weiter der Rede wert. So bleibt die Erregung leider nur kurz – und oberflächlich.

Dass aber so viel über "Babygirl" gesprochen wird, dass er gefeiert wird als emanzipatorisches Statement einer Frau, die spät in ihrem Leben zu ihrer eigenen Sexualität und ihren tiefsten Bedürfnissen stehen kann, ist das eigentlich Enttäuschende an diesem Film, der so viele Klischees bedient, dass es fast schon wehtut. Die erfolgreiche Frau, die sich nichts sehnlicher wünscht, als endlich nicht mehr funktionieren zu müssen? Die dunkle Begierde in ihr, die sich auf eine schwierige Kindheit zurückführen lässt? Der Mann, der sie schlussendlich ausgerechnet durch Dominanz befreit? Puh. Really?

Wir schreiben das Jahr 2025. Mehr als eine Botox-gestählte Nicole Kidman, die dafür gefeiert wird, dass sie trotz eingefrorener Gesichtszüge noch ihre Rolle und ein paar Hetero-Sexszenen spielen kann, hätte man sich eine wirklich andere Erzählung eines "Erotik-Thrillers" gewünscht – mit einer wirklich herausfordernden Frauenfigur. Dafür aber scheint die Fantasie noch immer nicht auszureichen. Wie altbacken.

 

"Babygirl" läuft jetzt im Kino.

Abonniere
Benachrichtigung über
guest
4 Comments
Älteste
Neuste Meistgewählt
Inline Feedbacks
View all comments
Bea

Ich sah den Film letzten Sonntag mit meinem Mann – wir sind seit 42 Jahren gegeneinander verheiratet und es ist nie langweilig – und wir haben uns spätestens nach 25 Minuten beide gelangweilt. Kidman spielt die CEO und Mutter gut, die Sexszenen empfanden wir unisono als unglaubwürdig. Banderas wirkt wie Father-Xmas, selbst im grössten Zorn. Hauptvorwurf: Wo war hier der Plot, die spannende, unerwartete, verblüffende Handlung, die Peripetie? Dass Kidman mit ihrem Mann keinen Orgasmus hat, wurde nach den ersten drei Minuten klar…. und das in einer 19-jährigen Ehe? Wie wäre es denn mit Reden? Kommunikation? Wie gesagt schreiben wir das Jahr 2025!
Eine Reihe von guten Schauspielern, die in einer schwachen Geschichte noch schwächer geführt wurden.

Taurissima

Auf den Punkt.

osi

Gute Rezension. Vielen Dank.

Maria

Danke! Geld gespart 😉
Ich hätte ihn mir nach dem Trailer eher nicht angesehen. Gehofft habe ich, dass der Film es vielleicht doch noch schafft, dass Frauen endlich nicht so dargestellt werden, als wären sie wie Männer, nur weil sie erfolgreich im Job sind. Jetzt haben wir etwas, was wir schon 10000 x gesehen haben, andersrum. Eine erfolgreiche Frau steht soo unter Strom, dass sie nur abschalten kann, wenn ein Mann sie dominiert. Danke für nichts Nicole! Eine flache Story. Plump mit Sexszenen glänzen zu wollen.. oh Gott für solchen Mist haben die in Hollywood gestreikt?
Den jungen Frauen soll der Film gut gefallem? really? wtf!