Yvonne Eisenring im Interview: "Ich habe einen Hollywood-Schauspieler gedatet"
Yvonne Eisenrings Film "Love Roulette" erzählt von moderner Liebe, offenen Beziehungen und starken Frauenrollen – ein mutiges Debüt, das die Schweizer Autorin nicht nur schrieb, sondern selbst in der Hauptrolle trägt.
Es ist keine Übertreibung, zu sagen: Bei Yvonne Eisenring läuft es fantastisch. Ihr Bestseller-Buch «Life Rebel», eine ausverkaufte Show mit ihrem Podcast «Zivadiliring» im Hallenstadion und jetzt «Love Roulette». Ihren ersten Film hat sie nicht nur selbst geschrieben, nein, sie spielt darin auch berührend und charmant die Hauptrolle Charlie. Warum? Weil sie es kann. Und das sehr gut. Im Interview spricht Eisenring über offene Beziehungen, schmerzvolle Drehtage und das Frausein in der Schweiz.
annabelle: Yvonne Eisenring, warum haben Sie sich für Ihren ersten Film «Love Roulette» für das Genre der Romcom entschieden?
Yvonne Eisenring: Ich nenne es lieber Liebesfilm.
Was ist der Unterschied?
Eine Romcom ist mehr «Com» (lacht). «Love Roulette» ist schon auch lustig, aber es könnte auch ein Drama sein. Die Leute, die den Film bis jetzt gesehen haben, haben jedenfalls gesagt, sie hätten gelacht, aber auch geweint. Aber man kann den Film eine «Romcom» nennen. Ich mag den Begriff einfach nicht besonders, weil er ein banales und oberflächliches Image hat.
Es gibt aber doch fantastische Romcoms! Gerade im Goldenen Zeitalter der Neunziger – «When Harry Met Sally» oder «Pretty Woman»!
Oder «Before Sunrise»! Das sind alles grossartige Filme, stimmt. Und sie sind teilweise auch tiefgründig und vielschichtig. Dieses Genre lässt sich auch hervorragend nutzen, um Botschaften zu vermitteln. Weil sie eher harmlos wirken. Man kann gut seine Messages darin «verstecken». Mit einem schweren, düsteren Arthouse-Film wäre das vermutlich deutlich schwieriger gewesen.
"Als Mann ist man schnell der Superboyfriend, wenn man nur ein bisschen mitmacht"
In einer Szene in «Love Roulette» wird der männlichen Hauptfigur Tom vorgeworfen, dass er nie die Initiative ergreift und seine Freundin Charlie die ganze Beziehungsarbeit leisten muss. Ist das ein kleiner Hinweis an die Männerwelt?
Ein «kleiner»?! (lacht) Leider ist die Realität in vielen heterosexuellen Beziehungen doch immer noch so, dass die Frau mehr Beziehungsarbeit leistet. Wir Frauen erwarten das auch von uns selbst. Wir sind mit diesen Bildern aufgewachsen und sie werden in vielen Büchern und Filmen reproduziert. Als Mann ist man schnell der Superboyfriend, wenn man nur ein bisschen mitmacht. Als Frau kann man sehr viel mehr falsch machen.
Beim Film wird oft vom Bechdel-Test gesprochen, der zeigt, wie selten Frauen wirklich aktive, sprechende Rollen haben. In «Love Roulette» ist das anders.
Mir war es extrem wichtig, dass die Frau die aktive Rolle übernimmt und nicht nur darauf reagiert, was der Mann tut. In «Love Roulette» treiben die weiblichen Figuren die Handlung an und sie sind facettenreich – auch die Nebenrollen.
Haben Sie internationale Vorbilder?
Ja, Issa Rae, die die fantastische Serie «Insecure» kreiert und darin die Hauptrolle gespielt hat. Oder Phoebe Waller-Bridge, die «Fleabag» gemacht hat. Und natürlich Greta Gerwig.
Sie haben seit 2019 an «Love Roulette» gearbeitet. Wenn man sich für so ein Projekt entscheidet, muss man sehr überzeugt vom Thema sein. Warum gerade das Thema «offene Beziehungen»?
Weil es das Thema unserer Generation ist. In meinem Freundeskreis haben schon viele die Beziehung geöffnet und andere, die es nicht tun wollen, diskutieren stundenlang über das Dilemma zwischen Sicherheit und Freiheit.
"Früher ist man fremdgegangen und heute müssen wir alles ausdiskutieren"
Aber es hat doch etwas Unentschiedenes, dass man beides haben will: eine langjährige Beziehung und das Gefühl, Single zu sein.
Absolut. Aber durch Social Media wird uns das Gefühl gegeben, dass wir nonstop Neues erleben können. Da stellt sich natürlich die Frage, warum man sich mit nur einem Menschen zufriedengeben soll. In Generationen vor uns hat man geschwiegen und ist dann einfach fremdgegangen. Wir wollen es nun besser machen, offen miteinander kommunizieren – und alles labeln.
Hatten Sie selbst auch schon offene Beziehungen?
Ja. Mässig erfolgreich. (lacht) Ich glaube jedoch nicht, dass wir an der Beziehungsform gescheitert sind, sondern uns sowieso irgendwann getrennt hätten. Aber ich empfand es schon als zusätzliche Belastung, ständig über Regeln zu diskutieren. Zum Beispiel, wenn man sich vereinbart, dass Leute, mit denen man befreundet ist, tabu sind: Ab wann gilt jemand als Freund? Wir haben das Bedürfnis, möglichst nicht zu verletzen, aber so ist die Liebe selten – ob offen oder nicht offen. Meine Generation will immer so supercool sein. Aber das kann man in einer guten Beziehung doch nur bedingt.
Wie haben Sie sich auf diese Rolle vorbereitet?
Ich habe zwei Jahre lang einen Hollywood-Schauspieler gedatet! (lacht) Nein, Quatsch!
Also nicht?
Doch! Aber natürlich nicht, um mich auf die Rolle vorzubereiten. Ich habe ihm jedoch schon ein wenig zu verdanken, dass ich im Film mitgespielt habe. Als wir uns kennenlernten, tauchte zum ersten Mal die Idee auf, dass ich ebenfalls beim Casting für die weibliche Hauptrolle mitmachen soll. Ich war unsicher, ob ich das machen wollte. Ich habe ihm von meinen Zweifeln erzählt und er meinte – total ernst, fast wütend, was ganz untypisch für ihn war: «Du musst mir jetzt versprechen, dass du bei diesem Casting mitmachst und verdammt noch mal die Rolle annimmst, wenn du sie bekommst!» Ich habs ihm versprochen.
Haben Sie dann zusammen die Szenen geübt?
Nein. Er spricht kein Deutsch. Und wir haben uns getrennt, bevor die Proben für «Love Roulette» angefangen haben. Es hat einfach nicht mehr gepasst und Fernbeziehungen sind ja sowieso schwierig. Er lebte in New York und Los Angeles und ich musste häufig in der Schweiz sein. Aber ich konnte ihm alle Fragen stellen: Wie genau funktionieren Sexszenen? Wie weint man auf Knopfdruck? Küsst man im Film mit Zunge?
Und?
Kommt auf Szene und Spielpartner an. (lacht) Aber im Ernst: Ich habe mich noch nie so gut auf einen Job vorbereitet wie jetzt. Für die Schauspielerei habe ich viele Schulen und Kurse besucht, ging für Workshops nach New York, München und Berlin und habe private Coachings genommen. Ich habe mich total reingekniet für die Rolle.
Wenn Sie auf das Jahr zurückblicken, wie erschöpft sind Sie?
Aktuell nicht sehr, aber während des Drehs bin ich in der Maske manchmal eingeschlafen. Die Drehtage waren so intensiv, ich glaube, ich habe noch nie so viel gearbeitet wie diesen Sommer.
Dabei plädieren Sie doch immer dafür, das Privatleben als höchste Priorität zu behandeln. Schaffen Sie das noch, jetzt, wo von allen Seiten so tolle Angebote kommen?
Es wird immer schwieriger, aber ich bleibe dabei. Zum Beispiel nehme ich nur ab mittags Termine an. Wenn man Geschichten erzählen will, muss man Zeit zum Leben haben. Wenn ich viel Glück habe, habe ich 90 Jahre auf dieser Welt. Ich möchte die Zeit so gestalten, wie sie mich erfüllt. Mein Glück hängt nicht vom Beruflichen ab. Wenn ich morgen ins Spital komme, kommt mich meine Familie besuchen und nicht irgendein:e Filmkritiker:in.
Aber jetzt, wo es auch beruflich so gut läuft, sind Sie da noch glücklicher?
Nein, ich bin schon sehr lange sehr glücklich.
Das ist vermutlich die grösste Provokation in der Schweiz! Nur so viel arbeiten, wie es einem guttut und dann auch noch die Unverschämtheit zu besitzen, damit zufrieden zu sein!
Ich glaube, die Leute, die sich provoziert fühlen, haben auch oft das Gefühl, dass bei mir immer alles sofort gelingt und von Erfolg gekrönt ist. Aber das ist wirklich total falsch. Gerade läuft es gut, das stimmt. Sogar sehr gut. Aber es gab auch Zeiten, da habe ich eine Absage nach der anderen bekommen. Ich habe auch jahrelang sehr wenig verdient. Kein Theater wollte meine Stücke spielen, kein Medienhaus meine Podcasts produzieren und Verlage haben meine Bücher abgelehnt. Aber ja, als junge Frau erfolgreich und dabei sogar noch glücklich zu sein, ist für einige eine Provokation.
Und Sie betonen immer, dass Sie am Casting mitmachen mussten. Warum müssen Sie sich dazu überhaupt rechtfertigen?
Weil es Leute gibt, die denken, ich hätte mir einfach eine Rolle geschrieben und musste mich gar nicht erst beweisen. Aber das ist Blödsinn, der Film ist ein Riesenprojekt, da kann man keine Risiken eingehen. Wenn der Regisseur Chris Niemeyer und auch die Produktionsfirma nicht geglaubt hätten, dass ich das spielen kann, hätten sie mir die Rolle doch niemals gegeben. Dieser Film ist kein Schulprojekt, bei dem der die Rolle bekommt, der am längsten aufzeigt. Aber manche Menschen in der Schweiz haben wohl leider immer noch ein Problem damit, wenn eine Frau Gas gibt, wenn man gross denkt, sich etwas traut und damit dann auch noch Erfolg hat.
"Wir brauchen gerade mehr denn je Pausen vom Negativrauschen"
Was sollen die Leute von «Love Roulette» mitnehmen?
Gerne die paar «versteckten» feministischen, gesellschaftskritischen Botschaften. Und: gute Unterhaltung! Wir werden den ganzen Tag von negativen News bombardiert, wenn wir dem Publikum für hundert Minuten eine kleine Insel bieten können, auf der sie berührt und gut unterhalten werden, dann ist mein Ziel erreicht. Positive Filme sind genauso wichtig wie Filme, die ein schweres Thema behandeln. Wir brauchen gerade mehr denn je Pausen vom Negativrauschen.
Also gibt es ein Happy End?
Das verrate ich natürlich nicht, vielleicht ist es ja auch ein offenes Ende? Grundsätzlich finde ich jedenfalls, dass es Mut braucht, ein Happy End zu kreieren. Gerade in der Schweiz.
Wie viel Yvonne steckt in Charlie?
Ungefähr 71 Prozent (lacht). Wir haben viel gemeinsam, sie hat auch viel Energie und viele, manchmal gute, manchmal mittelgute Ideen. Aber ich bin viel introvertierter als Charlie, nicht so hibbelig und unüberlegt. Ich habe zwar eine Öffentlichkeitsperson, die ich anknipsen kann, aber ich bin schüchterner und vorsichtiger. Wenn mir jemand gefällt, traue ich mich zum Beispiel oft nicht, diese Person anzusprechen. Charlie ist offensiver.
Es ist gerade sehr en vogue, auf Social Media alles Mögliche zu zeigen, nur nicht, wen man datet. Sie halten Ihr Liebesleben ebenfalls privat, warum?
Weil ich es schützen will. Auch war ich meist mit Männern zusammen, die nicht in der Öffentlichkeit stehen wollten.
Werden Sie oft angesprochen?
Ja, aktuell schon. Dieses Jahr hatte ich so viel Medienpräsenz, das führte dazu, dass ich dauernd erkannt werde. Das ist schön, aber manchmal bin ich auch überfordert, dann fliehe ich nach Paris oder New York.
Wenn Sie auf den Hallenstadion-Event mit Ihren Kolleginnen Gülsha Adilji und Maja Zivadinovic zurückblicken, wie fühlt sich das an?
Es war so unfassbar krass! (lacht) Und mir wird erst jetzt bewusst, dass wir tatsächlich Geschichte geschrieben haben. Wir waren die ersten Schweizer Frauen auf dieser Bühne – das macht mich stolz, aber auch ein bisschen traurig. Es ist 2025!
Wie ehrgeizig sind Sie?
Wenn ich zu einer Sache Ja gesagt habe, setze ich alles daran, dass es klappt. Und ich will auch nicht so tun, als wäre es nicht so, als würde ich mich nicht ins Zeug legen.
Wenn man sich, wie Sie, nicht auf einen Job festlegt und Neues wagt, wird das bei uns auch gerne kritisiert.
Vor allem bei uns Frauen liebt die Schweiz das «Schuster-bleib-bei-deinen-Leisten»-Narrativ. Da bin ich einigen natürlich ein Dorn im Auge, weil ich schon so oft den Job oder sogar die Branche gewechselt habe. Die Schweiz ist im internationalen Vergleich leider ein sehr konservatives Land und hält Frauen – bewusst oder unbewusst – immer noch klein. Aber ich will nicht klagen. Vor 400 Jahren wäre ich mit meinem Lebensstil und meiner Lust, Neues zu machen, bestimmt auf dem Scheiterhaufen gelandet. Heute komme ich damit ins Kino.
Love Roulette von und mit Yvonne Eisenring läuft ab 4. Dezember im Kino