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Armer weisser Mann: Dürfen sich nun ernsthaft die Männer beschweren?

Leben

Armer weisser Mann: Dürfen sich nun ernsthaft die Männer beschweren?

Dass sich Männer heute ernsthaft darüber beschweren, Frauen gegenüber benachteiligt zu werden, findet unsere Chefredaktorin Jacqueline Krause-Blouin erstaunlich. Und trotzdem hält sie es für wichtig, dem vermeintlich gecancelten Geschlecht Gehör zu schenken.

«Ich möchte was über den gekränkten Mann schreiben.» Meine erste Reaktion, als mir mein über alles geschätzter Kollege Sven Broder diesen Themenvorschlag entgegenschmettert: «Oh, Sven, müssen wir jetzt ernsthaft Mitleid mit den gebrochenen Herzchen der alten, weissen Männer haben? Ist es schon soweit?» Der Zonk! Sechs, setzen! Ab in den Führungskurs mit mir!

Denn natürlich war meine Reaktion alles andere als offen oder am Dialog interessiert. Und in ihrer Arroganz absolut antifeministisch. Gerade für eine wie mich, die immer predigt, dass Gleichberechtigung nur im Dialog mit allen Geschlechtern funktionieren kann.

Der weisse Mann ist das Feindbild Nummer eins

Der weisse Mann ist derzeit das Feindbild Nummer eins. Wenn man sich die ungefähr 5000 letzten Jahre der Menschheitsgeschichte so anschaut, auch zu Recht. Aber: Erstens ist nicht jeder weisse Mann Putin oder Weinstein und zweitens gab es mir schon zu denken, als ausgerechnet Sven Broder – vor gar nicht langer Zeit für seine feministischen Ansichten und überhaupt für seinen Job bei annabelle als «lila Pudel» belacht – sich offenbar abgehängt, ja gar gekränkt, zumindest aber infrage gestellt fühlt. Als Mann und als Mensch. Und folglich droht, sich von feministischen Idealen abzuwenden?

Der Feminismus ist ihnen zu angestrengt, zu woke geworden

Das habe ich in letzter Zeit, gerade bei Männern jenseits der vierzig, öfter beobachtet. Männer, die sich in ihren Dreissigern eingesetzt haben für neue Familienmodelle oder Lohngleichheit beenden heute ihre Sätze mit «das wird man ja wohl noch sagen dürfen». Sie schimpfen darüber, dass ihnen der Feminismus zu angestrengt, zu woke, ja, auch zu humorlos und dogmatisch geworden ist.

Erst kürzlich sendete die SRF Rundschau eine Reportage über «leidende Männer», die sich im Wald die Seele aus dem Leib schreien oder sich in Männlichkeits-Seminaren auf die Suche nach ihrer verlorenen Identität machen. Diese Männer klagen, dass es sich wie eine kollektive Erbsünde anfühlt, ein Mann zu sein und dass sie nichts dafür können, wie ihre Urahnen drauf waren. Es muss sich so anfühlen, als ob man als heterosexueller, weisser cis-Mann nur noch verlieren kann. Und das ist bestimmt ziemlich beschissen, wenn man immer ein Gewinner war.

Konstante Empörung über alles und jeden

Obwohl ich sehr oft «what the fuck» schreien möchte, wenn wieder einer behauptet, dass Männer «benachteiligt» werden – Zahlen lügen schliesslich nicht – gibt es einen kleinen Teil von mir, der diese Männer verstehen kann (oder zumindest verstehen will). Die Cancel Culture nervt auch mich, diese konstante Empörung über alles und jeden, als wären wir der Papst persönlich (Wobei: Der Papst ist auch gecancelt!).

Ist diese Resignation der Männer, die eigentlich von Herzen an Gleichberechtigung interessiert sind, also eine Trotzreaktion? Oder sind ihnen die Frauen womöglich zu mächtig geworden? Konnten sie das «schwache Geschlecht» aus ihrer sicheren Machtposition grosstuerisch unterstützen, solang sie noch klar überlegen waren? Wie eine Praktikantin, die man nur solang fördert, bis sie am eigenen Stuhl sägt?

Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen. Dass sich viele Männer übergangen, in Frage gestellt oder gar diskriminiert fühlen, ist für mich – gelinde gesagt – erstaunlich. Ihnen aber zu entgegnen, dass uns komplett egal sei, wenn sie sich in unserer Gesellschaft nicht mehr verstanden fühlen, ist aber garantiert nicht zielführend. Wir müssen dringend reden. Und zuhören. Nicht, um die gekränkten Egos der Männer zu verarzten, sondern um gemeinsam zu definieren, wie wir gleichberechtigt leben wollen.

Den Text «Es ist unfair, pauschal auf uns Männer einzuprügeln» unseres Reportage-Chefs Sven Broder lest ihr hier.

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Tabea

„Es muss sich so anfühlen, als ob man als heterosexueller, weisser cis-Mann nur noch verlieren kann. Und das ist bestimmt ziemlich beschissen, wenn man immer ein Gewinner war.“

Sie haben, glaube ich, keine Ahnung. Wer sagt denn, dass Männer immer die Gewinner waren? Und die Gewinner wovon? Rein aus dem Gesichtspunkt der Gleichberechtigungsdebatte betrachtet mag das vielleicht zutreffen. Aber es gibt ja auch weitere Faktoren. Und da blenden Sie einiges aus, so zB dass auch Männer – genauso wie Frauen – an Ungerechtigkeiten aller Couleur leiden und nicht pauschal zu den Gewinnern gehören, nur weil sie es so sehen wollen.
Ihr Kommentar soll versöhnend wirken: (ja, ja, man soll den Männern, diesen Klöngeistern, auch ab und an zuhören), wirkt aber leider total aufgesetzt. Mich dünkt, auch Sie sind gefangen in ihrem binären Weltbild, machen jetzt einen auf weise, schlichtende Chefin und merken nicht, wie fest Sie sich dabei für ihre „Güte“ selbst loben und am Thema vorbeireden. Sorry!

stonefree

“Dürfen sich nun ernsthaft die Männer beschweren?”
Die Eingangsfrage in der Überschrift ist rhetorisch. Männer dürfen sich selbstverständlich nicht beschweren. Mitreden dürfen oder sollen sie bitte auch nicht. Wozu auch? Die Frauen wissen ja schon alles.

Die Verfasserin gibt sich keine große Mühe, ihr holzschnittartiges Männerbild zu verbergen, es kommen die immergleichen Versatzstücke. So geht das seit vierzig Jahren, wie es davor lief, weiß ich nicht.

Erstaunlich finde ich noch das Statement, daß “Gleichberechtigung nur im Dialog mit allen Geschlechtern funktionieren” könne. Ich befürchte, sie glaubt tatsächlich, daß sie diese Regel beherzigt.

Dominik

“…wie wir gleichberechtigt leben wollen.” Gute Frage, was sind Ihre Vorschläge?

Meine Beobachtung ist, dass Positionen die zuviel Macht, Geld oder Prestige inne haben, patriarchalische/unterdrückerische Strukturen sehr stark fördern. Unter dem Kampf um diese Positionen leidet der Großteil der Menschheit und dennoch gelten diese Positionen als erstrebenswert. Hier wäre meines Erachtens nach ein guter Ansatzpunkt, klare Macht-, Geld- & Prestige-Grenzen setzen. Der Aufwand andere zu unterdrücken darf sich nicht lohnen.

Ich bin auf Kritik und weitere Vorschläge gespannt.