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Autorin Eva Biringer: «Alkohol wird uns Frauen als Me-Time verkauft»

Zeitgeist

Autorin Eva Biringer: «Alkohol wird uns Frauen als Me-Time verkauft»

Gebildete, gutsituierte Frauen ab 30 trinken mehr Alkohol denn je. Die Autorin Eva Biringer war eine davon – und zog die Reissleine. Weshalb? Und was hat der weibliche Rausch mit Feminismus zu tun?

annabelle: Eva Biringer, soeben erschien Ihr Buch:  «Unabhängig: Vom Trinken und Loslassen». Darin schreiben Sie von der «Doppelmoral des weiblichen Trinkens». Was meinen Sie damit?
Eva Biringer: Die Schauspielerin und Lifestyle-Unternehmerin Gwyneth Paltrow ist ein sehr gutes Beispiel. Sie ist ja so etwas wie der Inbegriff der perfekten Frau, die jeden Tag Selleriesaft trinkt, Sport macht, meditiert. Gleichzeitig hat sie aber in einem Interview erzählt, dass es für sie nichts Tolleres gibt, als in der Badewanne zu liegen und Whiskey zu trinken. Ich bin fast vom Stuhl gefallen, als ich das las.

Wieso das?
Weil es nicht zusammenpasst! Alkohol ist ein Zellgift. Er stört den Schlaf, macht schlechte Haut und schwächt das Immunsystem. Mittlerweile weiss man, dass jeder einzelne Schluck ungesund ist – ganz abgesehen vom Risiko, abhängig zu werden. Da ist es doch irritierend, dass jemand wie Gwyneth Paltrow den Alkohol so unkritisch abfeiert. Und auch auf der Website ihres Unternehmens Goop, wo es ständig um Detox und Mindfulness geht, findet man Naturwein- und Anti-Hangover-Tipps.

Nun, Selleriesaft und Naturwein müssen sich ja nicht ausschliessen.
Das stimmt. Mir geht es auch nicht darum, allen den Alkohol mieszumachen. Aber ich habe ein Problem damit, wenn Gwyneth Paltrow ihren vielen Leser:innen den Schnaps in der Badewanne als Me-Time verkauft, als Zeit, in der man sich etwas Gutes tut; die kleine Insel im Alltagswahnsinn. Das erinnert mich an «Frauengold» – den Likör mit knapp 18 Volumenprozent Alkohol aus den 1950er-Jahren.

Was hatte es damit auf sich?
Er wurde als eine Art Medizin für Hausfrauen verkauft. Im Sinne von: «Dir gehts schlecht? Der Wäscheberg ist hoch? Mann und Kinder nerven? Ach, dann gönn dir doch ein paar Schlückchen!» Wenn Frauen mit Alkohol ruhiggestellt werden, ist das Risiko natürlich kleiner, dass sie die herrschenden Verhältnisse infrage stellen und aufbegehren. Sehr praktisch, wenn das System so bleiben soll, wie es ist.

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«Es verwundert nicht, dass Mütter auf dem Spielplatz regelmässig einen Prosecco köpfen»

Im Buch zitieren Sie eine Studie, die besagt: Frauen trinken weniger, wenn die Vereinbarkeit zwischen Kindern und Erwerbsarbeit besser ist. 
Ja, weil ich glaube, dass zufriedene Frauen weniger Gründe haben, zu trinken. Das ist ja die grosse Illusion, in der wir Frauen heute leben: Wir sind emanzipiert, wir können Mütter sein und wir können tolle Jobs haben. Gleichzeitig aber bleibt die Care-Arbeit weiter an uns hängen und wir sind chronisch erschöpft. Es ist längst nicht alles so cool, wie viele uns weismachen wollen. Bezeichnenderweise geht der Alkoholkonsum in Deutschland seit Jahren zurück, doch bei einer Gruppe steigt er an: bei jener der gebildeten, gutsituierten Frau ab 30. In der Schweiz ist diese Entwicklung ähnlich.

Ein Aperol Spritz hilft eben, um den ganzen Stress kurz zu vergessen und mal abzuschalten. 
Alkohol wirkt ja in der Tat beruhigend und packt alles in Watte – ausserdem ist er überall verfügbar und wird fleissig beworben. Die Alkohol-Lobby ist wahnsinnig stark. Da verwundert es nicht, wenn Mütter während der «Playdates» mit ihren Kids auf dem Spielplatz regelmässig einen Prosecco köpfen. Jüngst hat eine US-Studie ergeben, dass die Zahl der problematisch trinkenden Mütter in der Corona-Krise um über 300 Prozent angestiegen ist.

Trinken Frauen heutzutage auch deshalb mehr, weil es früher den Männern vorbehalten war? 
Zumindest zeigt sich: Je emanzipierter ein Land, desto mehr trinken die Frauen. Und es wird ja auch von uns erwartet – wir sollen natürlich keine Alkoholikerinnen sein, aber wenn wir gar nicht mittrinken, gelten wir schnell als Spassbremsen.

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«Der Alkohol hat meine innere Kritikerin stummgeschaltet»

Warum war der Alkohol für Sie so verlockend? 
Ich wurde mit ein paar Gläsern intus so, wie ich sein wollte: selbstbewusst und schlagfertig. Ich war nicht mehr die nervöse, unsichere Eva, sondern die souveräne Frau, die hinsteht und ihr Ding macht. Der Alkohol hat meine eigene innere Kritikerin stummgeschaltet – das macht ihn für viele Frauen reizvoll. Wir haben ja fast alle das Gefühl, nicht zu genügen.

Nach einer Weile kippte das aber ins Gegenteil: Ihre Selbstzweifel wurden grösser denn je. 
Ja. Irgendwann war ich in einer Spirale aus Selbsthass gefangen: Ich wollte weniger trinken – und bin jeden Tag aufs Neue an meinen Vorsätzen gescheitert. Eigentlich bin ich eine Optimistin, aber ich wurde über die Jahre durch den Alkohol zu einem richtig miesepetrigen, launischen Menschen. Es ist auch wissenschaftlich belegt, dass Alkohol Depressionen und Angstzustände verstärkt – bei Frauen noch viel massiver als bei Männern.

Wann haben Sie gemerkt, dass Sie zu viel trinken? 
Schon mit 19 sass ich beim Unipsychologen und habe ihn gefragt, ob es ein Problem ist, dass ich jeden Tag zwei Gläser Wein trinke. Wer so eine Frage stellt, ahnt, dass da irgendwas aus dem Ruder gelaufen ist. Trotzdem hat es noch einmal weit über zehn Jahre gedauert, bis ich aufgehört habe – obwohl ich zwischendurch hunderte Male realisiert habe, dass der Alkohol mich und mein Leben kaputt macht. Aber es musste erst viel passieren.

Sie berichten in Ihrem Buch sehr offen von Ihren schwierigen Beziehungen mit Männern. Auch da spielte der Alkohol eine grosse Rolle. 
Weil ich mir oft Männer ausgesucht habe, die selber zu viel tranken – darunter einige, die ich nicht einmal richtig mochte. Ich habe mich mit Alkohol auf eine ganz komische Art gefügig gemacht und so vieles getan, was ich nüchtern nie tun würde. Gerade als Frau ist das natürlich auch extrem gefährlich.

«Dating ohne Alkohol ist anders, aber gut»

Wie fühlt sich Dating ohne Alkohol an? 
Anders, aber gut! Ich hatte in letzter Zeit einige Dates, bei denen ich schnell gemerkt habe, dass es gar nicht passt. Und ich weiss genau: Früher wäre ich wahrscheinlich trotzdem mit den meisten Männern im Bett gelandet. Vielleicht hätte ich sie sogar wieder- und wiedergesehen, immer betrunken, und schwupps, wäre man irgendwann ein Paar gewesen.

Ist das Leben ohne Alkohol langweiliger? 
Das war immer meine Angst: Wenn ich nicht mehr trinke, dann ist alles fad. Aber ich habe andere Dinge entdeckt, um mich auszutoben und an Grenzen zu gehen – Marathonlaufen zum Beispiel. Oder Wandern. Dieses Jahr will ich zu Fuss die Alpen überqueren. Seit ich nicht mehr trinke, ist die eine oder andere aufregende Nacht wohl nicht zustande gekommen. Aber man muss sich auch fragen: Wie wertvoll ist so eine Nacht, wenn man sich am Tag danach furchtbar fühlt?

«Ich bin jetzt viel ausgeglichener»

Haben Sie versucht, weniger zu trinken, bevor Sie ganz aufgehört haben? 
Ja, aber es hat nicht geklappt. Ich habe alles durchprobiert: Trinken nur am Wochenende, Trinken nicht vor Donnerstag, nur Wein oder nur zwei Gläser. Jedes Mal fiel das System in sich zusammen. Zudem fand ich diese ganzen Regeln viel anstrengender als die Entscheidung, komplett aufzuhören. Meine damalige Therapeutin meinte: Man kann nur so lange abhängig sein, solange man konsumiert. Diesen Gedanken fand ich sehr befreiend.

Und wie geht es Ihnen heute? 
Tausend Mal besser. Früher hatte ich Schlafstörungen und jeden Morgen das Gefühl, ich werde krank – Tag für Tag. Heute schlafe ich neun Stunden durch und wache fit auf. Ausserdem bin ich ausgeglichener. Ich merke, wie ich mit Schwierigkeiten viel besser umgehen kann. Ich habe heute ein grosses Grundvertrauen in mich selbst – das ist für mich etwas Neues.

 

Dieser Artikel ist erstmalig im Mai 2022 erschienen.

Eva Biringer (32) ist Journalistin und lebt in Wien und Berlin. Ihr Buch «Unabhängig: Vom Trinken und Loslassen» kostet ca. 29 Franken.

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Berta

“Früher wäre ich wahrscheinlich trotzdem mit den meisten Männern im Bett gelandet. Vielleicht hätte ich sie sogar wieder- und wiedergesehen, immer betrunken, und schwupps, wäre man irgendwann ein Paar gewesen.”

Franz Pfister

Warum soll das Beschriebene nicht genauso bei Männern zutreffen?