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Autorin Sara Weber: «Unternehmen können es sich nicht leisten, nicht inklusiv zu sein»

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Autorin Sara Weber: «Unternehmen können es sich nicht leisten, nicht inklusiv zu sein»

Wie können und wollen wir arbeiten? Sara Weber hat darüber ein Buch geschrieben. Es geht um Pausen, Organisation und Faulheit, die es eigentlich gar nicht gibt.

Die Krisen stapeln sich übereinander und der (Arbeits-)Alltag geht trotzdem weiter. Die deutsch-amerikanische Autorin Sara Weber fasst das so in ihrem smarten Buchtitel zusammen: «Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?» Wie dieses «Trotzdem» gehen kann, erklärt sie in ihrem Sachbuch.

Der rote Faden ist ihre eigene Geschichte. Nach fünf Jahren als Redaktionsleitung beim Jobportal LinkedIn zog sie die Notbremse, kündigte und machte erstmal eine Pause. Um darüber nachzudenken, wie wir alle eigentlich arbeiten können und wollen. Und darüber, was wir dafür verändern müssen.

annabelle: Sara Weber, was ist eigentlich Arbeit?
Sara Weber: Oh, das ist die schwierigste Frage, die mir bisher in Interviews gestellt wurde. So, wie wir über Arbeit sprechen, ist es oft der Job. Das, was wir machen, um Geld zu verdienen. Aber eigentlich ist Arbeit sehr viel mehr – eigentlich alles, wo wir etwas von uns geben. Wie Care-Arbeit, wenn wir uns um andere Menschen kümmern; oder das Ehrenamt, für das wir nicht bezahlt werden. Aber für die meisten Menschen ist Arbeit das, was man beruflich macht, um Geld zu verdienen für die Miete und das Leben.

Wann ist dieser Arbeitsfetisch entstanden, der dazu führt, dass wir uns so krass über Arbeit definieren, dass zum Beispiel auf Partys oft eine der ersten Fragen ist: Was machst du so? – und damit der Job gemeint ist?
Ich glaube, dass wir uns das aus den USA abgeschaut haben. Diese Workaholic-Kultur und dass alles immer produktiv sein muss. Unsere Büros haben wir gebaut wie im Silicon Valley mit Sofa und Tischtennisplatte. Und auch, wie wir uns über Arbeit und Produktivität definieren, haben wir uns dort abgeschaut. Jetzt merken wir aber, dass das nicht wirklich smart war.

Sie haben bei LinkedIn gekündigt, auch weil Sie eine Pause brauchten. In dieser Pause haben Sie nun aber dieses Buch geschrieben. Sind Sie damit ein gutes Vorbild?
Das Buch habe ich nach der Pause geschrieben.

Ah, sehr gut. Wie lang war denn die Pause?
Ein halbes Jahr.

Ist Ihnen das lang vorgekommen?
Erstmal: Es war ein krasses Privileg, dass ich das machen konnte. Es hat bei mir trotzdem Panik ausgelöst. Manchmal habe ich mich gefragt: Oh mein Gott, was mache ich hier eigentlich? Deshalb habe ich mit Blick auf mein Konto nach einem halben Jahr wieder angefangen. Ich hatte aber auch wieder Lust, was zu machen. In dem halben Jahr habe ich wirklich Pause gemacht. Wenn ich angefragt wurde, habe ich abgesagt. Danach habe ich dann langsam wieder angefangen und mich umstrukturiert.

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«Wir spielen quasi Arbeit, damit andere uns für beschäftigt und produktiv halten»

Wie arbeiten Sie jetzt? Wie haben Sie das Buch geschrieben?
Ich bin morgens aufgestanden, habe mich an den Schreibtisch gesetzt und zwei bis drei Stunden geschrieben. Wenn ich dann einen Aspekt fertig hatte, habe ich aufgehört und eine Pause gemacht. Nachmittags habe ich Interviews geführt oder gelesen und meine Zeit mit Studien und Recherchen verbracht. Ich habe insgesamt weniger Zeit mit Arbeit verbracht, war aber dafür fokussierter. Manchmal habe ich mich auch ins Café oder auf den Balkon gesetzt, mir also schöne Arbeitsorte gesucht. Und ich nehme an viel weniger Meetings teil. Da habe ich mir eine klare Grenze gesetzt von maximal drei am Tag.

Was schon viel ist, oder?
Ja, auch nicht jeden Tag. Und wenn sie länger dauern als eine halbe Stunde, dann nur zwei. Natürlich gibt es auch Ausnahmen, aber das ist mein Ideal. Genau so mache ich es auch mit E-Mails. Ich habe meine Kommunikation stark zurückgefahren. Das geht natürlich einfacher alleine als in einem grossen Unternehmen. Ich habe überlegt: Was sind die Sachen, die viel Zeit kosten und mir viel Energie rauben? Das waren bei mir Meetings und digitale Kommunikation. Ich habe gemerkt, wie sehr beides meine Tage strukturiert hat und wie viel es weggenommen hat von den Aufgaben, die eigentlich der Kern des Jobs sind.

Manchmal kommen mir E-Mails vor, als seien sie ein Beweis dafür, dass man gerade arbeitet. So nach dem Motto: Schaut mal, ich arbeite gerade!
Genau, es gibt sogar so einen Begriff dafür. LARPing your job. LARP steht für Live Action Role Play oder Live-Rollenspiel: Wir spielen quasi Arbeit und versuchen, möglichst produktiv auszusehen, damit andere uns für beschäftigt halten. Gerade in der Wissensarbeit passiert das häufig. Oh, da ist ein Mail. Oder oh, da ist ein Meeting. Und zwischendurch arbeite ich noch kurz was.

Gerade digitale Meetings sind ein ziemlicher Zeitfresser, oder?
Ja – und wir lassen uns unseren Tagesablauf diktieren von Kalendern. Wir haben Meetings, die 30 oder 60 Minuten dauern, weil unser Kalender uns das vorgibt. Ansonsten hätten wir viel mehr 10-Minuten-Meetings. Die digitale Kommunikation hält uns oft von der eigentlichen Arbeit ab. Viele Unternehmen merken das langsam, aber oft fehlt das Verständnis noch.

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«Faulheit gibt es gar nicht»

Ein fehlendes Verständnis gibt es oft auch im Bereich Inklusion. In vielen Unternehmen wird für Vielfalt zu wenig bis nichts getan.
Das stimmt und es ist wichtig, dass sich in diesem Bereich viel mehr viel schneller ändert. Ich bin da optimistisch, denn Unternehmen suchen immer mehr Fachkräfte. Sie können es sich nicht leisten, nicht inklusiv zu sein. Wenn Arbeitgeber:innen nicht flexibel sind, wird die Gruppe an Menschen, die für sie arbeiten können und wollen, immer kleiner. Es geht deshalb langfristig nicht darum, ob die Menschen an der Spitze von Unternehmen Inklusion gut finden oder nicht. Sondern darum, ob sie es sich leisten können, nicht inklusiv zu sein.

Was sich viele Arbeitnehmer:innen nicht leisten können, ist Faulheit. Bei Pippi Langstrumpf heisst es noch: Faulsein ist wunderschön. Aber Erwachsene dürfen die Beine während der Arbeitszeit nicht mehr hochlegen.
Ja, alle müssen immer produktiv sein. Leute, die gern stricken, machen dann einen Etsy-Shop, sodass sie sogar in ihrem Hobby produktiv sind. Das ist ein kulturelles Problem. Sobald wir nicht produktiv sind, sind wir nicht genug wert. Weil wir gerade nichts beitragen. Was aber so nicht stimmt. Wenn wir ein Buch lesen oder im Wald spazieren gehen, tun wir ja auch was. Für die eigene Gesundheit, für das eigene Wohlbefinden. Faulheit zum Beispiel gibt es gar nicht. Devon Price nennt das Laziness Lie, also die Lüge der Faulheit. Als Kind habe ich Tagebuch geführt und an Tagen, an denen ich nichts gemacht habe, habe ich gross geschrieben: «faul». Das müsste man viel öfter in den Kalender schreiben.

Können Sie das noch so gut wie als Kind?
Ich kann es nicht mehr so gut, aber ich kann es wieder besser. Das kam mit der Auszeit zurück. Es ist total okay, einen Tag auf dem Balkon zu verbringen, ein bisschen zu lesen und ein bisschen Wordle zu spielen. Am Ende fragt man sich: Was habe ich eigentlich gemacht? Die Antwort lautet: Nichts, und es war sehr schön.

Hätten wir jetzt diese Arbeitswelt, die Sie sich wünschen, woran würden wir das merken?
Wir hätten den Kopf wieder frei für die wirklich wichtigen Themen, abseits unserer Arbeit. Wir leben mitten in der Klimakrise, es gibt so viel zu tun und doch sind wir oft in unserem Alltag gefangen. Es wäre ein kollektives Aufatmen und wir würden uns um grössere, wichtige Dinge kümmern.

«Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?»

240 Seiten, KiWi Verlag, ca. 30 Fr.

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