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Stille Kündigung: 8 Fragen zum Arbeitsphänomen «Quiet Quitting»

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Stille Kündigung: 8 Fragen zum Arbeitsphänomen «Quiet Quitting»

Beim «Quiet Quitting» setzen vor allem jüngere Generationen Grenzen in ihrem Job und weigern sich, mehr als das erwartete Minimum zu leisten. Was steckt hinter dem Phänomen? Arbeitspsychologin Leila Gisin hat das «Quiet Quitting» für uns eingeordnet.

«Quiet Quitting», also stilles Kündigen, nennt sich das Arbeitsphänomen, das aktuell in den sozialen Medien diskutiert wird: Es bedeutet, bei der Arbeit gerade mal das erforderte Minimum zu geben. «Das heisst, man verlässt die Arbeit pünktlich, liest und beantwortet E-Mails nicht in der Freizeit und verausgabt sich nicht völlig. Sollte ein Job nicht schon generell so sein?», meint eine TikTok-Userin.

@thelizjane quiet quitting isn’t just a gen-z thing or a new phenomenon - people have worked like this for years #worklifebalanced #worktiktok #worklifebalance #worklifestruggle #taketimeoff ♬ original sound - liz jane | work/life/balance

«Quiet Quitting» bedeute vor allem, nicht mehr Arbeit zu verrichten, als von einem erwartet werde – denn sich immer noch mehr anzustrengen, sei nicht nachhaltig, so der Tenor. «Die Leute haben verstanden, dass sie immer mehr geben, aber von Arbeitgeber:innen im Gegenzug nichts erhalten», erklärt eine weitere Tiktok-Userin. «Quiet Quitting bedeutet nichts anderes, als gesunde Grenzen zu setzen.» Zugeschrieben werde diese Arbeitshaltung vor allem Millennials und Mitgliedern der Gen Z, die dafür teilweise von Kritiker:innen als faul und unmotiviert bezeichnet werden.

Warum hören ausgerechnet jetzt immer mehr Menschen auf, sich in ihrem Job zu überarbeiten? Leila Gisin, Arbeits-, Organisations- und Personalpsychologin an der Hochschule Luzern, erklärt das Phänomen.

annabelle: Woher kommt der Trend «Quiet Quitting»?
Leila Gisin: Der Begriff kommt aus Amerika, wo mit «hire and fire» eine andere Arbeitskultur als bei uns in der Schweiz herrscht. In den USA ist etwa der Konkurrenzdruck grösser, wenn man Karriere machen und aufsteigen will – weshalb sich das Phänomen «Quiet Quitting» dort anders zeigt. Die Amerikaner:innen meinen mit dem «Quiet Quitting», dass Arbeitnehmer:innen nicht mehr als ihre vertraglich vereinbarten acht Stunden arbeiten und sich weigern, in diesem Wettbewerb immer mehr für ihre Karriere zu machen. In den USA findet ein Haltungswandel statt. Und auch in der Schweiz ist der Trend zu beobachten.

Was fällt Ihnen an der Situation in der Schweiz auf?
Wir befinden uns mitten in einem Wandel: Wir wollen bewusster leben und weniger arbeiten und konsumieren. Das bedeutet, dass der Wirtschaftsmotor nicht so weiterlaufen kann wie bisher. Und diese Entwicklung, dass wir bewusster leben, zeigt sich auch bei unseren eigenen Ressourcen: Leute wollen sich nicht in ein Burnout treiben, sondern nachhaltig mit sich selbst und den eigenen Kräften umgehen.

Bei meinen Student:innen beobachte ich schon seit etwa fünf oder sechs Jahren, dass Karriere und Geld nicht mehr an erster Stelle stehen. Vor allem eingesessene Schweizer Student:innen sagen eher, sie hätten kein Bedürfnis, Führungskraft zu werden und um jeden Preis Karriere zu machen. Student:innen mit Migrationshintergrund, die vielleicht aus einer Arbeiter:innen-Familie kommen und deren Eltern teilweise mehrere Jobs hatten, denken oft anders. Sie wurden davon geprägt, ganz traditionell Karriere zu machen und Geld zu verdienen. Grundsätzlich finde ich, dass eine intelligente und engagierte junge Generation auf uns zukommt, die anders arbeiten will.

Was hat das Phänomen mit unserer aktuellen Weltlage zu tun?
«Quiet Quitting» ist grundsätzlich nichts Neues. Den Begriff, der sehr plakativ ist, finde ich fragwürdig, da er nach «innerer Kündigung» und Resignation klingt. Ich verstehe unter der Bewegung aber etwas anderes: Die Arbeitswelt vermischt sich, dank neuer Technologien und durch Homeoffice, mit dem Privatleben. Und entgrenzt sich zunehmend.

Dazu kommt der Fachkräftemangel. Während sich Mitarbeiter:innen früher um die Unternehmen bemühen mussten, ist es heute oft umgekehrt – und das ist ein Wechsel im Machtgefüge. Jetzt geniessen die gefragten Fachkräfte eine Machtposition und können ihre Bedürfnisse kundtun. Das ist eine Entwicklung, durch die Arbeitnehmer:innen plötzlich sagen können, dass ihr Arbeitstag nach acht Stunden auch wirklich zu Ende ist, dass sie abschalten wollen und ein Leben ausserhalb des Büros haben.

Auch die Generationenentwicklung spielt eine Rolle: Jüngere Fachkräfte haben bei älteren Generationen gesehen, wie es ist, durch den Job völlig ausgebrannt zu sein und mit einem Burnout zu enden. Jüngere Arbeitnehmende wuchsen nicht nur in einer volldigitalisierten Welt auf, sondern auch in einer, in der Ressourcen knapp sind. Sie gehen also sehr bewusst mit Ressourcen um, auch mit den eigenen – und das wirkt sich auf die Wirtschaft aus.

Welchen Teil trug die Pandemie zu «Quiet Quitting» bei?
Die Pandemie war eine Art «Fast Forward» in einer Entwicklung, die sich bereits länger abzeichnete. Homeoffice setzte sich erst mit Corona richtig durch. Und: Wir hatten Zeit, zu Hause zu sitzen und uns Gedanken zu machen. Ich, ein Mitglied der Generation X, habe das selbst erlebt: Seit Dezember arbeite ich reduziert, was nicht bedeutet, dass ich unmotiviert bin oder meinen Job nicht liebe. Ich habe gemerkt, dass ich mich verausgabe und nicht mehr das geben kann, was ich möchte. Ich leiste mir lieber Lebenszeit statt Materielles. Und glaube, dass diese Lebenszeit der neue Luxus ist. Mein Pensum konnte ich jedoch nur reduzieren, weil ich gut verdiene. Je nach Job muss man aber hundert Prozent arbeiten, um über die Runden zu kommen. Solche Forderungen zu stellen, Grenzen zu ziehen und eine Work-Life-Balance einzufordern, muss man sich erst leisten können. «Quiet Quitting» ist also auch ein westliches Luxusphänomen.

Was tun, wenn man es sich nicht leisten kann, im Job Grenzen zu setzen?
Das ist sehr schwierig, denn diese Personen haben oft keine Verhandlungsgrundlage. Sie haben Jobs, bei denen schnell wieder Ersatz gefunden wird und geringe Qualifikationen erforderlich sind. Eine Musterlösung gibt es also nicht. Ich würde aber empfehlen, zu überprüfen, welche Arbeit man eventuell noch machen könnte und wie dort die Bedingungen sind – um einen Job zu finden, der besser und gesünder für einen ist.

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«‹Quiet Quitting› ist ein westliches Luxusphänomen»

Arbeitspsychologin Leila Gisin

Kann die Entwicklung unserer Arbeitshaltung auch eine Chance sein?
Ja. Aber dieser Wandel unserer Arbeitskultur passiert nicht von heute auf morgen. Wenn Leute nicht mehr bereit sind, sich zu verausgaben und eine gewisse Arbeitsatmosphäre und Wertschätzung erwarten, Freizeit einfordern und nicht rund um die Uhr nur arbeiten wollen, dann muss sich das Unternehmen überlegen, wie es sich neu aufstellt, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben und die guten Fachkräfte zu halten.

Es ist höchste Zeit, dass wir nachhaltiger werden – mit uns selbst, der Umwelt und mit unserer Lebenszeit, denn das ist das höchste Gut. Es ist ja auch nicht der erste Kulturwandel, den wir durchmachen: Die industrielle Revolution war ein massiver Eingriff in unsere Arbeitskultur, bei der Arbeiter:innen viel Autonomie und Vielfältigkeit respektive Ganzheitlichkeit von Tätigkeiten verloren haben.

Was kann man als «Quiet Quitter» tun? 
Es ist wichtig, die eigenen Bedürfnisse zu kennen. Mit Homeoffice und mobiler Arbeit kann der oder die Arbeitgeber:in nun plötzlich vieles nicht mehr kontrollieren oder beeinflussen. Das heisst, dass Arbeitnehmende zwar mehr Flexibilität haben, aber auch mehr Eigenverantwortung tragen. Und das muss man mit den neuen Möglichkeiten und Technologien heute teilweise wieder lernen.

Wie können Arbeitgeber:innen gegen «Quiet Quitting» vorgehen?
Arbeitgeber:innen sollten diese Entwicklung proaktiv mit ihren Fachkräften thematisieren. Es ist wichtig, im Team zu besprechen, wie man möglichst allen Bedürfnissen gerecht werden kann, was es dafür braucht und wo Kompromisse gefragt sind. Das kann zum Beispiel ein Teamtag pro Woche sein, an dem alle ins Büro kommen. Oder klare Regeln zum Umgang mit E-Mails zu Randzeiten. Unternehmen würde ich also empfehlen, ihre Mitarbeiter:innen darin zu schulen, wieder selbstständig Grenzen setzen zu lernen, und sie dabei indirekt zu unterstützen.

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