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Autorin Yvonne Eisenring: «Mit Missgunst kann ich schlecht umgehen»

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Autorin Yvonne Eisenring: «Mit Missgunst kann ich schlecht umgehen»

Mit «Life Rebel» erscheint heute ein neues Buch der Zürcherin Yvonne Eisenring. Wir fragen: Wie verträgt sich Erfolg mit Rebellion? Und: Wie kann die Autorin sich das Leben leisten, von dem so viele träumen?

annabelle: Yvonne Eisenring, der Podcast «Zivadiliring», den Sie mit Gülsha Adilji und Maja Zivadinovic machen, gehört zu den beliebtesten der Schweiz. An Ihren Lesungen werden Sie gefeiert wie ein Popstar. Wie erklären Sie sich das?
Yvonne Eisenring: Also, ich finde das verrückt. Unsere Liveshow im Volkshaus Zürich war innert drei Stunden ausverkauft. Die ganze Tour war surreal, es gab Zuschauerinnen, die uns nach den Shows mit Tränen in den Augen umarmten. Auch die Vernissage meines Romans «Nino» war schnell ausverkauft. Ich erkläre mir diesen Erfolg damit, dass ich etwas mache, das bei vielen Menschen einen Nerv trifft.

Sie leben und arbeiten in Zürich, Paris, Berlin und New York, sind viel unterwegs. Davon handelt Ihr neuestes Buch «Life Rebel». Sie leben vor, wovon gerade viele junge Frauen träumen, sagen aber, dass Sie vor zehn Jahren kaum dieselbe Resonanz gehabt hätten. Weshalb stimmt das Timing jetzt?
Ich denke, dass heute vor allem Frauen Anfang dreissig erkennen, dass sie etwas anderes wollen, als die Gesellschaft von ihnen erwartet. Die Norm für junge Frauen in der Schweiz ist es, Karriere zu machen, einen Partner und dazu noch Kinder zu haben. Viele fragen sich nun: «Ist es wirklich das, was mich glücklich macht?» Und ich lebe diese Fragestellung öffentlich aus.

Sie pfeifen also auf Konventionen?
Nein, denn Konventionen sind ja nicht per se schlecht. Ich hinterfrage sie eher: Welchen Konventionen will ich folgen? Welche passen nicht zu meinem Lebensmodell?

Wie gehen Sie mit der gefürchteten Kinderfrage um?
Die stelle ich mir aktuell nicht, aber sie wird mir oft gestellt, was wiederum viel über unsere Gesellschaft aussagt. Ich bin 36, habe also noch etwas Zeit.

Was war der Auslöser für Ihren Aufbruch? Bis Mitte zwanzig waren Sie ganz konform unterwegs, arbeiteten beim Fernsehen, schrieben Kolumnen, lebten mit Ihrem Freund zusammen.
Ja – ich führte ein klassisches, konventionelles Leben und hätte rein theoretisch auch früh Mutter werden können. Aber dann, mit dreissig, habe ich mich von meinem damaligen Freund getrennt, ich lebte zu diesem Zeitpunkt bei meiner Schwester und hatte keinen festen Job. Ich erfüllte plötzlich keine gesellschaftlichen Erwartungen mehr und musste mich neu orientieren. Um Abstand zu gewinnen, zog ich nach Paris und hielt mich eine Weile als Werbetexterin über Wasser. Das war eine schwierige Zeit, aber auch eine wichtige, weil ich in dieser Zeit begann, mein Leben neu aufzugleisen.

Sie haben dann Ihre Arbeitsweise neu definiert. Wie sind Sie vorgegangen?
Ich sass am Boden meines WG-Zimmers – damals war ich in Berlin – und schrieb auf, was ich wirklich gern mache und was nicht. Das ist eine schwierige Frage, denn manchmal findet man etwas nur toll, weil man es gut kann und dafür gelobt wird oder viel Geld dafür bekommt. Werbetexte zu schreiben, wird sehr gut bezahlt und es fällt mir leicht. Ich merkte aber, dass es mich nicht interessiert, also habe ich mir vorgenommen, nur noch als Texterin zu arbeiten, wenn ich mit Projekten, die mir am Herzen liegen, finanziell nicht durchkomme.

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«Der frühe Tod meines Vaters hat dazu geführt, dass Zeit eine neue Bedeutung für mich erlangt hat»

Was unterscheidet Sie von vielen anderen in Ihrem Alter?
Eine grosse Rolle spielt wohl meine Erziehung. Ich habe zum Beispiel nie den Satz gehört, ich müsse was Rechtes lernen, ein Studium machen. Zudem hat der frühe Tod meines Vaters dazu geführt, dass Zeit eine neue Bedeutung für mich erlangt hat. Ich war 14, als er ganz plötzlich starb. Das hat mich geprägt. Das Wissen um unsere Sterblichkeit ist mir sehr präsent. Ich weiss, dass ich als Yvonne dieses eine Leben habe und dieses Leben innert Sekunden vorbei sein kann. Folglich versuche ich, das Leben so zu leben, wie es mich glücklich macht – solange ich anderen Menschen nicht schade. Ich wäge nicht ewig lange ab, renne einfach mal los und notfalls ändere ich die Richtung. Viele in meinem Alter machen das anders, sie sagen sich: «Ich warte, bis ich dies oder jenes erledigt habe oder bis ich so oder so viel Geld verdiene, dann mache ich es.»

Das ist doch aber nachvollziehbar. Man kann ja nicht alles tun, was man will. Zudem setzt einen diese «Life is now»-Haltung oft auch unter Druck.
Realistisch zu sein, ist wichtig. Aber wir neigen in der Schweiz dazu, pessimistisch zu sein, es jedoch realistisch zu nennen. Es ist ein schmaler Grat zwischen völligem Überspulen, weil man das Gefühl hat, die Zeit renne einem davon, und der Haltung «Ich verschiebs auf irgendwann, wenn es besser passt». Irgendwo dazwischen ist der Sweet Spot, den man tüpfen muss. Das heisst, mal wartet man ab, weil man keine Energie oder zu viele Sorgen hat, das andere Mal aber sagt man sich: «Ich will das Projekt machen und ich machs jetzt!»

Was wollen Sie auf dem Sterbebett auf keinen Fall bedauern?
Dass ich keine Zeit hatte für die Menschen, die ich gern habe.

Machen Sie ab und zu einen Selfcheck, um zu überprüfen, wo Sie stehen?
Am Ende des Jahres setze ich mich jeweils hin und überlege mir, in was ich im kommenden Jahr Zeit investieren will, was mir wichtig ist und was meine Träume sind. Davon lasse ich mich dann im Alltag leiten. Neulich zum Beispiel bekam ich eine Anfrage für die Moderation eines Podcasts. Die wäre super bezahlt gewesen, aber es war nichts, wofür ich meine Zeit investieren wollte. Also sagte ich ab. In dieser Hinsicht bin ich heute sehr strikt. Viele lassen sich dazu verleiten, ja zu sagen, wenn ein Auftrag gut bezahlt wird. Nein sagen zu Geld ist in der Schweiz ein No-Go, es wird schnell als undankbar aufgefasst.

Sie fordern damit wieder eine Konvention heraus.
In Bezug auf Geld, ja. Da bin ich total unschweizerisch. Ich habe mich dafür entschieden, nicht so viel Geld wie möglich zu verdienen, sondern nur so viel, dass es mir gut geht.

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«Ich habe von meinen Eltern das Grundvertrauen geerbt, dass es schon gut kommt»

Legen Sie Geld auf die Seite?
Nein. Ich habe mir auch nie einen Finanzplan aufgestellt. Wenn nicht genug reinkommt, schränke ich mich ein.

Haben Sie eine dritte Säule?
Habe ich nicht. Ich habe von meinen Eltern das Grundvertrauen geerbt, dass es schon gut kommt.

Wie können Sie sich das Leben leisten, von dem so viele träumen?
Das war jetzt eine gutschweizerische Frage (lacht). Darauf gibt es eine Antwort: Mir bedeutet Luxus nichts, Designersachen schon gar nicht. Ich habe zudem in der Schweiz tiefe Fixkosten und das Glück, dass ich in Paris und New York oft bei Freund:innen wohnen kann. Ausserdem reise ich meist ausserhalb der Ferienzeiten, dann sind die Zugtickets und Flüge billiger.

Wie vereinen Sie die vielen Flugreisen mit einem nachhaltigen Lebensstil – dem Gebot der Stunde?
Innerhalb Europas nehme ich den Zug. Aber ja, das mit dem vielen Fliegen stimmt: Ich habe einen grossen ökologischen Fussabdruck und bezahle aus diesem Grund jeden Monat einen hohen Betrag für Klima-Kompensationen. Ich jette aber nie bloss für ein Wochenende nach New York, sondern bin oft monatelang an einem Ort.

«Ich habe hart daran gearbeitet, nach Absagen nicht zu denken, dass ich schlecht bin»

Wie oft haben Sie Niederlagen einstecken müssen?
Es gab Phasen, da erhielt ich nur Absagen. Eine Kollegin sagte mir damals, mein Leben bestehe aus Absagen und Abwarten – und sie hatte absolut recht. Mein Theaterstück «Wolke 97», das in Stans und nächstes Jahr in Bern und Buenos Aires aufgeführt wird, wurde erst überall abgelehnt. Es hiess, «gerade keine Zeit», «nicht so passend», «nicht, was wir suchen». Viele meiner Projekte kamen zuerst nicht durch. Ich habe hart daran arbeiten müssen, nicht zu denken, dass ich schlecht bin, nichts kann, dass die Absagen ein Zeichen sind und ich es sein lassen sollte. Ich habe es einfach immer wieder probiert und gelernt, dranzubleiben. Das ist wie ein Muskel, den man trainieren muss.

Im Prinzip eine alte Weisheit: Dranbleiben ist Teil des Erfolgs.
Absolut! Und mutig sein ebenfalls. Als ich gefragt wurde, ob ich ein Theaterstück oder ein Drehbuch schreiben will, habe ich ja gesagt, obwohl ich nicht sicher war, ob ich das kann.

Mit anderen Worten: Sie treten selbstbewusster auf, als Sie es sind.
Zum Teil, ja. Als ich den Podcast «Zivadiliring» gepitcht habe, war mir klar: Wenn ich beim SRF vorbeigehe und sage, «ich weiss nicht, ob ich einen Podcast moderieren kann, aber ich würde es gerne tun», dann wird’s schwierig. Wenn ich aber hingehe und sage: «Ich bin ganz sicher, dass es der absolute Hit wird», sind meine Chancen besser. Ich musste dann aber doch noch zwei Jahre kämpfen, bis wir die erste Folge aufgenommen haben.

Wie schaffen Sie es, sich nicht entmutigen zu lassen?
Indem ich Freundschaften und Familie priorisiere und nicht meine beruflichen Projekte. So erhalten die Projekte weniger Gewicht. Würde mir eine Freundin sagen: «Yvonne, du hörst mir nicht mehr richtig zu», wäre ich verunsichert. Sagt jemand hingegen: «Wir finden dein Stück nicht gut» – so what.

Das ist jetzt schwer zu glauben. Es muss doch schrecklich weh tun, wenn das Stück, an dem Sie monatelang gearbeitet haben, abgelehnt wird.
Natürlich tut es weh. Ich wollte mal ein Buch machen, aber kein Verlag wollte es. Das war bitter. Doch würde ich Niederlagen zu viel Gewicht geben, würde mich das ausbremsen. Bei meinem neuesten Filmprojekt zum Beispiel ist vor kurzem jemand abgesprungen. Das hat mich wahnsinnig getroffen, ich habe den ganzen Morgen geweint. Aber dann habe ich jemand Neues für diese Position gesucht. Ich finde, gerade wir Frauen tendieren dazu, uns durch Rückschläge entmutigen zu lassen. Ich will das Augenmerk vielmehr auf Erfolge legen – auch auf die Erfolge anderer. Wenn eine Freundin etwas auf die Beine stellt, stehe ich applaudierend in der ersten Reihe und feuere sie an. Ich wünschte, wir würden Erfolge mehr zelebrieren. Das wird in der Schweiz zu wenig gemacht.

«In der Schweiz ist man sehr hart und streng zu sich selbst»

Wie gehen Sie mit Neid und Missgunst um?
Nun, es ist ein Unterschied, ob jemand denkt: «Ah, das will ich auch.» Oder ob es einfach Missgunst ist. Damit kann ich schlecht umgehen. Ich bin ein grosszügiger Mensch und mag allen alles gönnen. Dann verletzt es mich, wenn mir jemand etwas nicht gönnt. Ich sage ja offen, wie ich es gemacht habe, und wünsche, alle könnten so leben, wie sie leben wollen. Umso mehr freue ich mich, wenn ich jemanden inspirieren kann. Es kommt immer wieder vor, dass mir Leute schreiben, sie hätten sich ein Beispiel an mir genommen und ihr Arbeitspensum reduziert oder ihren ersten Solotrip gewagt.

Sie leben die Hälfte des Jahres im Ausland. Wie blicken Sie auf die Schweiz?
In erster Linie mit grosser Dankbarkeit. Denn nur dank des Privilegs, hier geboren zu sein, kann ich das Leben führen, das ich führe. Das ist mir völlig bewusst. Zudem sind mir Werte wie Zuverlässigkeit und Verbindlichkeit sehr wichtig. Wenn ich sage, ich komme vorbei, dann komme ich vorbei. Hingegen finde ich, dass man hierzulande sehr hart und streng zu sich selbst ist. Gerade die Leute in der Kulturszene könnten ruhig ein bisschen selbstbewusster auftreten und mehr auffallen. In den USA tut man das nonstop, das könnten wir uns abschauen.

Können Sie sich vorstellen, sesshaft zu werden?
Im Moment – nein. Mal sehen. Vielleicht ändert sich das mal.

Yvonne Eisenring

Yvonne Eisenring: Life Rebel. Piper Verlag, München, 208 Seiten, ca. 30 Franken

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Patrick

Lesenswert. Das Buch und der Artikel.