
Bitte liebt mich! Ein Selbstversuch auf der Stand-up-Comedy-Bühne in L.A.
Selbstzweifel, Panik und ein astreiner Filmriss: Unsere Autorin traut sich und gibt ihr Debüt als Stand-up Comedian. Applaus!
- Von: Jacqueline Krause-Blouin
- Bild: Michelle Groskopf
Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals so nervös gewesen zu sein. Ich sitze auf einem ranzigen Sofa im Backstagebereich und starre auf einen alten Spielautomaten. Eilig wollte ich ein paar Notizen auf ein Blatt Papier kritzeln, aber mein Kopf ist leer, mein Mund ist trocken – ich habe alles vergessen.
Von draussen höre ich dumpf eine männliche Stimme und Menschen, die lachen. Meine Hände zittern und ich bin seltsam melancholisch. Nein, traurig. Ich glaube, in diesem Moment begriffen zu haben, dass ich nicht lustig bin. Dass ich niemanden zum Lachen bringen werde. Blöd nur, dass ich hier in einem Comedyclub bin.
Erinnert ihr euch an die Netflix- Serie über den unlustigen Comedian, «Baby Reindeer»? Ich bin Baby Reindeer. Und dann reisst mich die Mikrofonstimme aus meinen Gedanken: «Und hier ist sie für euch, eure Komikerin Jacqueline!» Wie bin ich nur hierhergekommen?
"Hilfe, ich bin Baby Reindeer!"
Ich bin sieben und meine Mutter fährt mich zum Geigenunterricht. Wie so oft läuft eine CD von Udo Jürgens und Mama singt laut mit: «Lachen kann von Mensch zu Mensch so leicht/eine gold’ne Brücke bau’n/Wer hat das so oft wie du erreicht/Wie du mein Freund, der Clown.» Wir sprechen über Clowns und sie denkt laut darüber nach, wie schwer es wohl sein muss, auch lustig zu sein, wenn man gerade traurig ist. Ich stelle mir vor, wie die rote Clownsnase einfach alle Traurigkeit schluckt, sobald man sie aufsetzt.
Dass meine Mutter vielleicht gar nicht über den Clown gesprochen hat, sondern über sich, fällt mir erst jetzt auf, dreissig Jahre später, als ich das Lied wieder höre. Udo Jürgens ist längst tot. «Einer der im Pech noch lauter lacht (...) der aus Grossen wieder Kinder macht (...) Wir seh’n zwar sein Gesicht/doch das wahre nicht, hinter seinem Lachen (...) Dass die ganze Welt ein Zirkus ist/kann wohl nur ein Narr durchschau’n.» Heute bin ich selbst Mutter von zwei Töchtern, weiss genau, wie es ist, wenn man immer funktionieren muss, ganz gleich, wie es einem gerade geht. Mir kommen die Tränen.
Ich wollte als Kind Clown werden. Warum? Das habe ich mich bis heute nie gefragt, es wurde irgendwann zur lustigen Anekdote. Ich weiss nur, dass ich immer meine Familie zum Lachen bringen wollte, wenn meine Eltern gestritten haben und ich mich ohnmächtig fühlte. Ich war der Witzbold.
Heute beobachte ich manchmal eine ähnliche Reaktion bei meiner Tochter, wenn ich mit meinem Mann streite, und fühle eine andere Form der Ohnmacht. Die Sehnsucht dahinter ist aber dieselbe wie jene, die meine Tochter hat: Wenn wir alle in Gelächter ausbrechen könnten, würde vielleicht alles sofort wieder gut.
In unserem Haus wurde zwar gestritten, aber auch viel gelacht. Und niemand lacht so laut wie meine Mutter. Einmal hat sie im Flugzeug einen Lachflash bekommen, weil Mr. Bean lief; ja, damals lief auf 10 000 Höhenmetern noch auf allen Bildschirmen der gleiche Film.
Sie hat so laut geprustet, dass am Ende das ganze Flugzeug in kollektives Gelächter ausgebrochen ist – nicht über Mr. Bean, sondern über meine Mutter. Wenn ich so darüber nachdenke, wollte ich wohl Clown werden, weil nichts mich mehr erfüllt hat, als meine Mutter zum Lachen zu bringen. Es war das schönste Kompliment.
"Die USA sind ein grausamer Zirkus, bei dem das erlösende Lachen einfach nicht kommt"
Dass die ganze Welt ein Zirkus ist – sang Udo Jürgens 1969. Heute fühlt sich das ähnlich an. Ich lebe seit etwas mehr als zwei Jahren in den USA, wo nun wieder der Oberclown regiert. Es ist ein Zirkus, aber ein grausamer, bei dem das erlösende Lachen einfach nicht kommt.
Täglich wird man mit furchtbaren Nachrichten konfrontiert, eingewanderte Familien, die auseinandergerissen werden, Gelder für Entwicklungshilfe, die von einem Tag auf den anderen gestrichen werden; ich kann nicht auf hören, den Kopf zu schütteln, weiss nicht mehr, wohin mit meiner Ohnmacht. Bei den meisten Bekannten beobachte ich eine gefährliche Politikmüdigkeit, ein Auschecken aus der Realität. Viele hören auf, News zu konsumieren, weil sie sie nicht aushalten.
Und ich? Ich möchte wieder lachen. Zusammen lachen. Ich möchte mich lebendig fühlen und vielleicht auch leichter. Und weil ich mir all das von diesem Schritt erhoffe, schreibe ich mich eines Nachts für einen Kurs in Stand-up-Comedy am Westside Comedy Theater in Santa Monica ein.
Ich bin lustig. Mit Freund:innen, wenn man mich kennt, wenn ich mich wohlfühle. Hier in den USA wird mein Humor oft nicht verstanden – zu trocken sei er, sagt mein Mann, der Amerikaner. Man müsse hier seine Stimme verstellen, oder eine Grimasse ziehen, damit man auch ja alle vorwarnt, dass gleich ein Witz kommt. Achtung: Ironiegehalt nicht ausgeschlossen! Das funktioniert bei mir so semi-gut. Ständig werde ich gefragt : «War das gerade sarkastisch?» Und wir alle wissen: Witze erklären ist so ungefähr das Unlustigste überhaupt.
"Hier sind schon Dave Chappelle und Adam Sandler aufgetreten. Und bald: ich"
Im Westside Comedy Theater sind schon Grössen wie Dave Chappelle, Adam Sandler, Chris Rock oder Ali Wong aufgetreten. Und bald: ich. Ich buche einen Kurs, an dessen Ende ein Auftritt auf der Theaterbühne steht. Schon bei der Anmeldung wird mir heiss und kalt.
Ich kann mir kaum etwas Schlimmeres vorstellen, als mich vor wildfremden Menschen zum Affen zu machen. Was habe ich mir bloss dabei gedacht? Was ist noch peinlicher, als ausgelacht zu werden? Wenn man andere zum Lachen bringen will – und in ihrem grausamen Schweigen ertrinkt. Und das unter dem grellen, gnadenlosen Licht einer bekannten Comedybühne in L. A.
Am Abend der ersten Lektion bin ich eine halbe Stunde vor Unterrichtsbeginn da. Ich sehe mir das Theater an und fühle förmlich, wie mein Blutdruck steigt. Ich rufe meine Schwester an und erzähle, was gleich passieren wird. Sie leidet mit, sie lacht.
Als ich den langen Flur der Schule entlanggehe und in Raum 219 trete, stehe ich mitten in einer Gruppe von sechs weissen Männern mittleren Alters. Oh Gott. Ich bin bestimmt die einzige Frau! Doch dann merke ich: falscher Raum. Meine Klasse ist in 209. Dort warten Emily, Nina, Lorraine und Hunter. Und unser Lehrer Chris. Dass er attraktiv ist – und ich sofort merke, dass ich ihm gefallen will –, macht die Sache auch nicht gerade leichter.
«Warum seid ihr hier?», will Chris wissen. «Ich weiss noch nicht genau, warum ich hier bin», sage ich schmallippig. Das finden alle lustig. Emily, eine Paartherapeutin, erzählt, dass sie gerade eine schwere Scheidung hinter sich habe – Comedy sei für sie die Alternative zu miserablen Dates. Nina, Harvard-Absolventin, berichtet von ihrer Krebserkrankung, die sie entgegen allen ärztlichen Prognosen überlebt hat.
Heute tue sie nur noch, worauf sie wirklich Lust habe, und Comedy sei schon immer ihr Traum gewesen. Lorraine ist hier, weil ihr Bruder im Gefängnis sitzt – sie möchte eine witzige TV-Show über Schwarze hinter Gittern schreiben. Und Hunter? Der ist vor seiner republikanischen Familie aus den Südstaaten geflohen, und hilft in L. A. bei den Aufräumarbeiten nach den furchtbaren Bränden im Januar dieses Jahres. Er arbeitet jeweils 16 Tage am Stück und hat dann 2 Tage frei. Viel zu lachen habe er nicht – darum sei er hier, sagt er. Er hat eine samtene Stimme und Haare wie Jesus. Zwischendurch fallen ihm kurz die Augen zu. «Comedy kann heilsam sein», sagt Chris. «Aber sie ist keine Therapie.»
Dann erklärt Chris uns die Regeln – und eine davon überrascht mich besonders: Man darf keine Witze über Menschengruppen machen, denen man nicht selbst angehört. Damit wäre etwa 98 Prozent der Comedy der letzten fünfzig Jahre hinfällig, über- lege ich mir. «Punching down» gilt in der Comedy als schlechter Stil – gemeint ist damit, sich über Menschen oder Gruppen lustig zu machen, die gesellschaftlich weniger Macht oder Einfluss haben. Das sei nicht witzig, sondern einfach nur herablassend, meint Chris. Und: keine Witze über Abtreibung, Tod, Suizid und dergleichen.
«Dafür seid ihr noch nicht professionell genug.» Er trägt sein Baseballcap tief ins Gesicht gezogen, trinkt kalten Kaffee und kaut eine Nikotintablette nach der anderen. «Stand-up funktioniert am besten, wenn es eine bestehende Machtstruktur herausfordert», sagt er. Als wir unsere Comedyvorbilder nennen sollen, fühle ich mich, als würde ich ein Musikstudium beginnen und hätte noch nie von den Beatles gehört. Die Namen sagen mir alle nichts – abgesehen von Chris Rock und Amy Schumer vielleicht. Mir fallen nur die deutschen TV-Komiker Joko und Klaas ein.
Chris rät mir, ab sofort jeden Abend Comedy zu schauen – im Fernsehen oder live im Theater. Habe ich erwähnt, dass hier fast alle single sind und keine Kinder haben? Was habe ich eigentlich früher mit meinen Abenden gemacht, bevor sie von Schlaflieder-Singen und Gutenachtgeschichten-Vorlesen geprägt waren?
Ich fühle mich trotz allem euphorisch, muss die ganze Zeit grinsen. Darüber, dass ich hier bin, in diesem kleinen Raum mit dem staubigen Perserteppich, zwischen den Fremden, die ich in der Blase, in der ich lebe, wohl niemals kennengelernt hätte. Zusammen etwas Neues lernen, gemeinsam ins kalte Wasser springen – das ist eine Form von Intimität, die ich lange nicht gespürt habe.
"Es ist, als wäre ich wieder eine unbeschwertere Version meiner selbst"
Jetzt sollen wir auf der Bühne drei Minuten lang eine Geschichte erzählen. Drei Minuten sind erstaunlich lang, wenn man keine Ahnung hat, was man sagen soll. Hunter fängt an, er steckt seine Hände in die grossen Taschen seiner Cargohose und schaut auf den Boden. Als er erzählt, wie er einmal mit seinem Sohn tauchen war und dieser zwischen einem Wrack aus dem Ersten und einem Wrack aus dem Zweiten Weltkrieg hindurchschwamm, fängt er an zu weinen.
Ernsthaft? Erste Lektion Comedy- kurs und es wird geweint? Verlegen entschuldigt er sich. Er ist aussergewöhnlich höflich, ein klassischer Südstaatler. Noch während ihm die Tränen übers Gesicht laufen, muss er lachen. Ich muss wieder an den Clown von Udo Jürgens denken. Irgendwie fühle ich mich den anderen jetzt schon verbunden. Nach dem ersten Kursteil bin ich seltsam beschwingt. Es ist, als wäre ich wieder eine jüngere, unbeschwertere Version meiner selbst.
In den nächsten Kurseinheiten arbeiten wir an unserem Material, wir lernen, wie man einen Witz auf baut: Prämisse, Aufbau, Pointe. Je mehr ich über die Struktur von Witzen nachdenke, desto unlustiger finde ich mich. Die Leichtigkeit des Anfangs ist mir abhandengekommen, ich finde keine Idee gut genug, um sie weiterzuverfolgen.
Erst denke ich, dass ich vielleicht über mein Leben als Schweizerin in den USA schreiben könnte und darüber, dass hier immer Switzerland mit Sweden verwechselt wird (jemand sagte, «ich steh auf Schweizer Fleischbällchen». Ich: «Danke – ich richte es Ikea aus!»), oder über meine Beziehung mit einem zwanzig Jahre älteren Partner («Ich liebe 2-für-1-Angebote für Windeln – eine für mein Baby, eine für meinen Mann!»), dann darüber, dass ich mal für Taylor Swift gehalten wurde («Ich bin Taylor Swiss – ich singe Country, aber bei uns haben die Kühe Krankenversicherung!»), aber nichts davon erscheint mir ergiebig genug.
Das Schlimmste ist, dass Lehrer Chris eine Art Jukebox für Witze ist. Wirft man ein Geldstück rein, kommen drei Witze raus. Sie fliegen ihm einfach so zu. In den nächsten Wochen denke ich ständig über Pointen nach, unter der Dusche, beim Einschlafen, beim Autofahren, ich bin besessen davon.
Der Tiefpunkt kommt, als wir drei Minuten Zeit bekommen, um einen Witz zu schreiben. Vorgabe: 101 Bleistifte gehen in eine Bar. Sagt der Barkeeper/sagen die Bleistifte. Als die Zeit abgelaufen ist, habe ich einen Witz, der so schlecht ist, dass ich nicht auf die Bühne will. Aber Chris lässt mich nicht vom Haken.
Die Pointe funktioniert nur auf Englisch, wobei funktionieren stark übertrieben ist: «101 Bleistifte gehen in eine Bar und bestellen Champagner, aber er schmeckt nicht. Der Barkeeper sagt, er habe ihn gerade gekauft, er sei gut. Da sagen die Bleistifte: Trust us, we are always write.» Write statt right. Verstehen Sie? Und was habe ich am Anfang dieses Textes übers Witzeerklären gesagt?
Als wäre der Witz nicht schon schlimm genug, verhaue ich auf der Bühne gleich dreimal die Pointe oder vergesse den Mittelteil. Dann bekomme ich einen Lachanfall. Aber niemand sonst lacht. Ich flehe Chris an, dass ich heute damit auf hören und es beim nächsten Mal nochmal versuchen darf.
Doch er bleibt unerbittlich: «Bevor dieser Witz nicht erzählt ist, gehst du nicht von der Bühne.» Ich habe lange nicht mehr so geschwitzt und fühle, wie mein Gesicht vor Scham rot angelaufen ist. Ich kann nicht fassen, dass ich gerade in L. A. auf einer Comedybühne bin, auf der schon Adam Sandler stand, und einen Witz über Bleistifte erzähle. Ich bin komplett untalentiert.
"Wer auf einer Dinnerparty lustig ist, ist noch lange kein Comedian"
In der dritten Stunde bin ich völlig verzweifelt, als hätte ich alles, was einmal lustig an mir war, ausradiert. Es sieht so einfach aus, wenn die Comedians ganz entspannt auf der Bühne stehen und eine witzige Geschichte nach der anderen aus dem Ärmel schütteln, manchmal über neunzig Minuten hinweg. Jeden Abend in einer anderen Stadt. In Wirklichkeit ist es brutal. Alles ist perfekt konstruiert, manche feilen jahrelang an ihren Witzen, sagt Chris.
Ich schäme mich, dass ich dachte, dass ich das einfach so nebenbei machen könnte. Als wäre es kein Beruf, den man unter viel Schweiss und Tränen über Jahre erlernen muss. Wer auf einer Dinnerparty lustig ist, ist noch lange kein Comedian. Doch als ich den ersten Entwurf meines Programms vortrage, lachen alle richtig laut, und zwar kein Höflichkeitslachen, es sind echte Lacher. Aus dem Bauch heraus. Und sofort fühle ich mich wieder fantastisch. Ich merke, wie ich vom Lachen der anderen abhängig werde.
Nach der Stunde gehe ich in den Theatersaal des Comedyclubs, wo gerade eine Show stattfindet. Ich kaufe mir ein Bier und kriege Panik, als ich die Bühne betrachte. Da soll ich mich hinstellen? Im nackten Scheinwerferlicht mit nichts als einem Mikrofon bewaffnet? Heute sind professionelle Comedians auf der Bühne und ich lächle, lache auch, aber mehr innerlich. Bis man richtig laut loslacht, braucht es viel.
Wie soll ich das jemals schaffen? Und wer sind diese Leute, die sich an einem Sonntagabend um zehn von fremden Menschen zum Lachen bringen lassen? Einige Paare (zweites Date, schätze ich), einige, die allein gekommen sind, der kleinwüchsige Techniker des Theaters mit einem Vaporizer, ein junger Mann mit Brille, der eifrig mitschreibt, und eine Frau, die sehr laut lacht und sich selbst dabei filmt. Mehr als einem der Comedians, die an diesem Abend auf der Bühne stehen, würde ich unterstellen, etwas zu viel getrunken zu haben.
In der nächsten Stunde erzähle ich Chris, dass ich am letzten Sonntagabend eine Parkbusse vor dem Comedyclub bekommen habe. Siebzig Dollar! «Aber dein Programm war es wert», sagte er, zwinkert mir zu und ich fühle mich geschmeichelt. Er findet mich also doch lustig!
Ich merke immer deutlicher, wie anstrengend es sein muss, wenn man den Applaus der anderen braucht, um sich selbst zu spüren. Es geht um Liebe. Comedians möchten geliebt werden, denn Lachen ist eine Form von Zuneigung. Darum hält man das aus, geht immer wieder raus ins gnadenlose Scheinwerferlicht, weil es so verdammt heilsam ist, wenn man Zustimmung in Form von Lachen bekommt.
Und darum ist man persönlich getroffen, wenn ein Witz nicht zündet. Kein Lachen, keine Liebe. Comedy ist verdammt persönlich. Man kann sich nicht, wie beim Theater, hinter einer Figur verstecken. Man steht da als man selbst, in all seiner Verletzlichkeit und bettelt mit seinen Witzen um Liebe.
In der nächsten Stunde führt Nina, die den Krebs überwunden hat, ein Set über ihre persische Familie vor. Sie erzählt, wie normal es in ihrer Heimat sei, mit seinen Cousins und Cousinen zu schlafen. Sie ist fantastisch, ich lache laut und ehrlich und ich kann ihr ansehen, dass sich das grossartig anfühlt. Chris stellt jeweils die Stoppuhr, um uns ein Zeitgefühl zu geben, aber er ist so mitgerissen von unseren Witzen und seinen Verbesserungsvorschlägen, dass er sie jedes Mal komplett vergisst.
Mein fünfminütiges Set handelt davon, wie ich eine Affäre mit Chat GPT anfange. Ein bisschen absurd, aber ich habe Spass an meinen eigenen Witzen. Chris klatscht und lobt mich. Er sagt zwar, es sei lustig, aber gelacht hat er nicht. «Es funktioniert gut», sagt er. «So wie eine Schweizer Uhr.» Aber Schweizer Uhren sind nicht lustig.
Ich bewundere seine Leidenschaft, dieser Mann muss ganz schön viele schlechte Witze ertragen. Lorraine erzählt irgendetwas Wirres über ein 2000 Jahre altes Fischsandwich. Obwohl es eindeutig nicht witzig war, lobt Chris sie, was mich wiederum an seinem Lob für mich zweifeln lässt.
Emily berichtet über eine Affäre mit einem Countrystar und Hunter über einen Trip nach Vegas. Hunter stottert, läuft rot an, unterbricht zwischendurch, um sich zu entschuldigen und zu fragen: «Habe ich jemanden verletzt damit?» Dabei erzählt meine sechsjährige Tochter dreckigere Witze als Hunter. Nach dieser Stunde kommt er nicht wieder. Niemand hört mehr von ihm.
Emily, die geschiedene Paartherapeutin, sagt nach der Stunde niedergeschlagen: «Ich werde niemals eine Comedian.» Wir sollen uns selbst nicht zu ernst nehmen, hat Chris gesagt. Shows seien wie Perserteppiche. Es gäbe immer einen kleinen Fehler darin, «denn nur Gott ist perfekt».
"Meine Aufgabe ist klar: Ich soll wildfremde Menschen zum Lachen bringen"
Doch jetzt bleibt keine Zeit mehr für Grübeleien. Ich stehe im Backstagebereich des Westside Comedy Theater in L. A., und meine Aufgabe ist klar: Ich soll wildfremde Menschen zum Lachen bringen. Dabei bin ich selbst den Tränen nah. Es ist kein Klischee – Lachen und Weinen liegen erschreckend nah beieinander.
«Die Bühne gehört dir», sagt Chris und übergibt mir das Mikrofon. Wie ich vom Backstagebereich ins Scheinwerferlicht gekommen bin, weiss ich nicht mehr, ich habe einen Filmriss. «Hi, ich bin Jackie und ich bin sicher, dass Chat GPT ein Mann ist. So ein Besserwisser. Er gibt dir Ratschläge, um die du ihn nicht gebeten hast, und vergisst kurz darauf, was du überhaupt gefragt hast.»
Sie lachen. Wow, ich fühle mich gut. So frei, so leicht, überhaupt nicht mehr nervös. Ich reagiere aufs Publikum, schäkere mit ihm und weiss nicht mehr, wer ich bin. Ich bin der Clown! Ich mache laute Sexgeräusche, grunze, schreie – ich bin vor aller Augen komplett entfesselt und es fühlt sich fantastisch an.
Obwohl ich beim Proben nicht fehlerfrei durch mein siebenminütiges Programm gekommen bin, vergesse ich jetzt nichts. Nur mich selbst, im allerbesten Sinne. «Ich habe drei Ratschläge für euch», hat Chris vor der Show gesagt. «Geduld. Dankbarkeit. Und scheisst aufs Publikum.»
"Das dystopische Amerika und ich sind eins, wir begegnen dem Wahnsinn mit Lachen"
«Ich habe ein Baby, und meine Vorstellung von Romantik ist inzwischen, dass ich meinen Mann bitte, mir seine Ellbogen in den Nacken zu rammen, weil ich so verspannt bin vom ständigen Herumtragen. Ja – der Nacken ist der G-Punkt der frischgebackenen Mutter.»
Die Leute johlen und klatschen und ich kann mein Glück nicht fassen. Ich bin ja doch lustig! Wie perfekt das ist, so ganz im Moment aufzugehen mit all den Fremden im Saal. Ich habe mich selten lebendiger gefühlt, verliere mein Zeit- Gefühl, sieben Minuten fühlen sich an wie ein Wimpernschlag.
Wir sind eins in diesem Moment, ich und das dystopische Amerika, wir begegnen dem Wahnsinn mit Lachen. Vielleicht hatte Chris recht, Comedy kann heilsam sein.
Emily sagt, dass das Gefühl, andere zum Lachen zu bringen, besser sei als Sex. Sie will mehr davon. Ich kann jetzt nachvollziehen, wie man süchtig nach dem erlösenden Lachen werden kann, aber für mich war das eine einmalige Sache. Eines Tages werde ich meinen Enkelkindern davon erzählen.
Ich werde einen Comedyclub nur noch als Zuschauerin betreten. Mit einem Bier in der Hand. Und dann werde ich mir all die Clowns ansehen und wissen, dass sie da oben stehen, weil sie geliebt werden wollen. Genau wie ich.