
Das neue Heft ist da: Barbara Loop über Inklusion
Ab heute liegt die neue annabelle am Kiosk. Lest hier das Editorial von Chefredaktorin Barbara Loop.
- Von: Barbara Loop
- Bild: Sara Merz / Collage: annabelle
Einfach in den Tag hineinleben und Neues entdecken. Die Seele baumeln und den Körper ruhen lassen; ausgestreckt auf dem Rücken liegend definieren die Zehen den Horizont. Noch ist es ein paar Wochen hin, doch die Vorfreude auf diese Tage ist gross: Ich habe schöne Dinge gefunden, die in meinen Koffer müssen (die zeige ich euch im neuen Heft). Ich kuratiere eine Liste mit Büchern, die ich am Strand lesen möchte – und eine mit Spielen, die meine Töchter derweil beschäftigen werden.
Und während ich mir Gedanken darüber mache, wie die Kinder möglichst selbstständig die Ferientage verbringen, wird meinem Mann und mir klar, dass sich die verbleibenden Urlaube zu viert schon bald an einer Hand abzählen lassen.
Anders geht es meinen Eltern. Sie fahren auch dieses Jahr mit ihrem Sohn in die Sommerferien, der längst erwachsen, aber bedürftig wie ein Kind geblieben ist. Mein Bruder ist seit Geburt geistig behindert, er braucht rund um die Uhr Betreuung, mit den Jahren wurden auch seine körperlichen Probleme einschneidender.
Während meine Familienferien mit jedem Jahr einfacher werden, werden die meiner Eltern komplizierter.
"Behindert werden Menschen von ihren Genen und Limitationen, aber auch durch ihre Mitmenschen und deren Denkmuster, durch unsere Regeln und Systeme"
In der neuen Ausgabe hat unsere Autorin Marah Rikli eine Wohngemeinschaft besucht, in der Menschen mit und solche ohne Behinderungen zusammenleben. Sie sucht nach einem Lebensmodell für ihre heranwachsende Tochter Ronja, die mit einer seltenen genetischen Erkrankung zur Welt gekommen ist.
Möglichst selbstbestimmt soll Ronja leben können, schreibt die Mutter. Und zeigt auf, dass der Grad dieser Selbstbestimmung nicht allein von Ronjas Verfassung abhängt, sondern auch von der Gesellschaft und der Politik. Behindert werden Menschen von ihren Genen und Limitationen, aber auch durch ihre Mitmenschen und deren Denkmuster, durch unsere Regeln und Systeme.
Meine Eltern haben es sich, wie wohl die meisten Angehörigen von Kindern mit Behinderungen, nicht einfach gemacht, als sie für ihren Sohn einen Ort suchten, an dem er sicher und zufrieden leben kann. Dieser Ort sollte Raum für seine Persönlichkeit bieten, ihm gar ein selbstständigeres Leben ermöglichen, als sie es können.
Mein Bruder ist immer unterwegs, obwohl er kaum gehen und nicht sprechen kann. Von meinen Eltern verlangt das Gelassenheit und Vertrauen in die Mitmenschen. Darauf, dass sie Menschen wie meinem Bruder angemessen, offen und interessiert begegnen. Ein bisschen so, als wären sie auf Reisen in einem Land, das ihnen noch fremd ist. Ich wünsche euch allen schöne Ferien!