Werbung
Mein Leben als graue Maus

Leben

Mein Leben als graue Maus

  • Text: Martina Tomaschett; Foto: GettyImages

Betritt sie einen Raum mit vielen Leuten, würde unsere Autorin am liebsten in einem Loch verschwinden. Dabei haben auch Unscheinbare durchaus Interessantes zu erzählen.

Es kommt vor, dass ich nach einem Arbeitstag nachhause gehe und im Büro nicht viel mehr als «Guata Morga», «an Guata» und «Schöna Obig» gesagt habe. Nicht, weil ich unsympathische Arbeitskolleginnen und -kollegen habe – ganz im Gegenteil! Doch bei Menschen, die ich sympathisch und interessant finde und mit denen ich eigentlich gern ins Gespräch kommen würde, schaltet mein Hirn oft ganz einfach ab. Mir fällt dann beim besten Willen nichts Schlaues ein, das ich zum Beispiel in der Mittagspause zur Unterhaltung beitragen könnte. Da oben ist Leere. Durchzug. In solchen Momenten komme ich mir vor wie eine graue, langweilige Maus, die nichts zu erzählen hat und mit der man keine tiefgründigen Gespräche führen kann.

Aber: Ich bin mir sicher, dass dem nicht so ist! Also habe ich mir kürzlich gesagt «Martina, jetz riss di zämma!» und mir überlegt, was ich in der nächsten Kaffeepause Interessantes erzählen könnte. Nach meinem einstudierten Beitrag kam dann aber nur ein wohlwollendes Lächeln zurück – und das Gesprächsthema wechselte sofort wieder. Offenkundig kam das, was ich sagte, nicht so rüber, wie ich es meinte. Aus Angst vor peinlichen Momenten überlege ich mir lieber zweimal, ob und wie ich mich in grosser Runde zu Wort melden soll. Doch bis ich mich jeweils entschieden habe, ist das Gesprächsthema meist schon an einem anderen Punkt.

Bin ich jemandem zu nahegetreten?

Natürlich braucht es immer mindestens zwei für ein gutes Gespräch – und die Wellenlänge muss stimmen. Doch wenn ich auf meiner Wellenlänge nichts sende, ist es schwierig, herauszufinden, ob es dieselbe wäre. Hin und wieder kommt es trotzdem vor, dass ich einfach das sage, was mir als Erstes einfällt. Doch dann plagen mich im Nachhinein die Bedenken: War das vielleicht doch zu privat für ein Pausengespräch? Bin ich jemandem zu nahegetreten? Habe ich schon wieder an irgendetwas herumgenörgelt? Noch viel schlimmer als eine graue ist eine graue, nörgelnde Maus!

Ich habe schon einiges versucht, um kontaktfreudiger und gesprächiger zu werden. Als ich etwa zwölf Jahre alt war, hat mich meine Mama zu einer Art Selbsthilfegruppe angemeldet. Unter psychologischer Leitung sollten wir einen Baum malen, der ein Gefühl darstellt. Irgendein Gefühl. Ich habe einen abgebrannten Baum gezeichnet – und mich insgeheim über die Reaktion und die Deutung der Psychologin amüsiert.

Behüteter als ich kann man kaum aufwachsen

Ich glaube nicht, dass meine Unsicherheit psychische Ursachen hat. Und behüteter als ich kann man kaum aufwachsen. Ich bin zwar ein Einzelkind, meine Eltern haben aber alles unternommen, dass ich so gut wie nie allein war. Sie steckten mich ins Jazztanzen, in Schwimmkurse vom Seepferdchen- bis zum Tintenfischabzeichen, in den Blockflöten- und Gitarrenunterricht, den Kinderchor, ins Tennis und Unihockey. In den Ferien und an Wochenenden machten wir Ausflüge, wo immer auch Cousinen und Cousins, die Nachbarskinder oder meine Freundinnen dabei waren. Meine Eltern veranstalteten jedes Jahr eine Geburtstagsparty, zu der meine ganze Klasse eingeladen war – und auch erschien! Nein, meine Kindheit kann nicht der Grund sein für meine Unsicherheit. 

Im Studium habe ich extra einen Kurs mit dem verheissungsvollen Titel «Selbstmarketing und Networking» belegt. Wir bekamen die Aufgabe, an einem Branchen-Apéro teilzunehmen, uns unter die Leute zu mischen und ein wenig Smalltalk zu betreiben. Networking und Smalltalk – da läuten bei mir sämtliche Alarmglocken! Es gelingt mir schlichtweg nicht, an solchen Anlässen mit jemand anderem ins Gespräch zu kommen als mit der Freundin, die mich begleitet, oder allenfalls noch mit dem Kellner, der die Lachsbrötli serviert. Im Kurs haben wir auch gelernt, «einfach mal zu einer Gesprächsrunde hinzustehen, zuzuhören und bei Gelegenheit einzuhaken». Au fein! Als ich das versuchte, war da wieder dieser Durchzug im Kopf, und man schaute mich nur komisch an, wie ich da stand, schweigend und mich sichtlich unwohl fühlend. Nach ein paar weiteren Lachsbrötli suchte ich unauffällig das Weite.

Das Problem liegt beim Eins-zu-zehn

Bei Geschäftsapéros habe ich das Talent, in die Fänge gesprächiger Menschen zu geraten, deren Monologe ich dann gefühlte Ewigkeiten lächelnd abnicke. Weit entfernt von einer interessanten Unterhaltung auf Augenhöhe schweife ich gedanklich ab und tröste mich damit, dass ich mich nun immerhin nicht noch zu einer anderen Gesprächsrunde dazugesellen muss. Die Herausforderung für mich liegt just in solchen informellen, aber doch irgendwie geschäftlichen Anlässen mit vielen Leuten. Anlässe also, die – wenn man der richtigen Person positiv auffällt – meinen beruflichen Werdegang und Erfolg mitbestimmen könnten.

Treffen hingegen, bei denen die «Spielregeln» klar sind, sind kein besonderes Problem mehr. So bringe ich etwa an Bewerbungsgesprächen auf die obligate Begrüssungsfrage «Händs Sies guat gfunda?» eine mehr oder weniger charmante Antwort zustande. Den weiteren Ablauf kenne ich auch langsam und bin auf Anhieb im Kampfmodus, um mich selbst gut zu verkaufen. Auch bei geschäftlichen Terminen mit ein, zwei Personen stellt der Smalltalk, bevor es ans Eingemachte geht, keine grössere Herausforderung mehr dar. Das Eins-zu-eins beherrsche ich heute, 13 Jahre nach dem abgebrannten Baum, einigermassen. Das Problem liegt beim Eins-zu-zehn.

Ich zerdenke im Vorfeld alles

Ich bewundere Menschen, die in einer Runde ihnen unbekannter Leute eine derartige Präsenz ausstrahlen, dass sie sofort im Mittelpunkt stehen. So geschehen bei einer neuen Arbeitskollegin. Kaum hatte sie den Pausenraum betreten, ging das Gespräch von ihr aus. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie sich nichts zurechtgelegt hatte, denn das Gesprächsthema war nicht besonders hochstehend. Trotzdem war die Stimmung so gut und ihre Art so sympathisch, dass sich nach dieser ersten Begegnung alle ihren Namen gemerkt hatten.

Ich hingegen zerdenke im Vorfeld alles – und liefere dann im entscheidenden Moment bizarre Performances ab. Bestes Beispiel dafür: Ein guter Freund von mir hat sich vor Kurzem bei uns beworben. Ich habe mich sehr gefreut und angeboten, ein gutes Wort für ihn einzulegen. Das wollte er auf keinen Fall. Als er dann zum Vorstellungsgespräch erschien und durchs Büro geführt wurde, hatte ich dieses Mantra verinnerlicht und blieb total unauffällig – auch dann noch, als er ein freundliches «Hallo zämma» in die Runde warf. Ich blieb an meinem etwas versteckten Arbeitsplatz wie versteinert kleben und sagte gar nichts. Doch dann fragte er plötzlich erstaunt, wo denn mein Arbeitsplatz sei. Wie ein aufgescheuchtes Reh schnellte ich sofort von meinem Stuhl hoch und rief: «Do bini!»

Heute kann ich über solche Vorfälle lachen. Und auch die «Guata Morga »/«an Guata »/«Schöna Obig»-Tage sind seltener geworden. Inzwischen habe ich nämlich fast alle meine Arbeitskolleginnen und -kollegen in einem Eins-zu-eins kennen-gelernt. Trotzdem gibt es sie noch, diese Mauselochmomente. Doch das ist okay. Denn diejenigen, die auf meiner Wellenlänge sind und genügend Feingefühl haben, entdecken früher oder später die sanften Farben, die durchs graue Fell schimmern.

Next Read