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Ich will doch nur wohnen

Leben

Ich will doch nur wohnen

  • Text: Leandra Nef; Foto: GettyImages

Junior-Online-Editor Leandra Nef hat einen festen Freund, zusammenziehen tut sie jetzt aber mit einem anderen Mann. Ganz platonisch, total cool, sagt sie. «Schwierig», finden viele in ihrem Umfeld. 

Ich ziehe mit einem Freund zusammen. Einem, nicht meinem. Meinen Freund, den gibt es zwar auch, der zügelt jedoch zum Studieren nach Chur.

Ein Freund also, wir kennen uns seit der Schule, und zugegeben: Es war eine Schnapsidee, im wahrsten Sinne des Wortes. Sie kam uns bei einem Grillfest, wir waren beschwipst und euphorisch und sinnierten über unsere Pläne für dieses Jahr. Wir wollten nach Zürich ziehen, weg aus dem verschlafenen Nest in der Zentralschweiz, auf ins Abenteuer Grossstadt.

Einige Tage später machten wir aus der Schnapsidee einen nüchternen Plan, nicht weniger begeistert. Ich begann, den Menschen in meinem Umfeld davon zu erzählen, und erntete – zu meiner Verwunderung – mehr hochgezogene Augenbrauen als Beifall.

Zusammenziehen mit einem Mann, der nicht meiner ist? Ein Arbeitskollege fragte nach der Attraktivität des Kollegen und wollte wissen, wie dieser die meine beurteilen würde. Keine Ahnung, spielt das denn eine Rolle? Ja, auf jeden Fall! Er könnte nie mit einer Kollegin zusammenwohnen, viel zu anstrengend, weil viel zu intim. Da müsse man ja ständig aufpassen, dass nichts passiert. Eine Freundin erkundigte sich besorgt, was mein armer Freund von der Idee halte. «Armer Freund», das waren tatsächlich ihre Worte.

Ich fragte mich: ernsthaft? Ihr tut ja gerade so, als mutieren Mann und Frau zu willenlosen Wesen, die übereinander herfallen, sobald sie sich ein Dach oder zumindest eine sanierungsbedürftige Dreizimmerwohnung im Zürcher Kreis drei teilen. Als ob sie die Kontrolle über ihren Sexualtrieb an der Türschwelle deponieren wie die Kaution auf dem Bankkonto des Vermieters. Liebe Freunde, Friends gibts imfall auch ohne Benefits. Sogar dann, wenn die beiden ihre Rechnungen aus demselben Briefkasten fischen.

Und während selbst wissenschaftliche Untersuchungen nahelegen, dass das Nur-befreundet-Sein von Männern und Frauen möglich ist, gehe ich noch einen Schritt weiter: Eine gemischte WG ist nicht nur unproblematisch, das platonische Zusammenleben hat sogar Vorteile.

Ein Bekannter erzählte mir unlängst, dass er endlich, mit 25 Jahren, das Gefühl hat, Frauen zu verstehen – und zwar, seit er mit zwei von ihnen zusammenwohnt und ihre Gespräche ungefiltert mitbekommt. Er kennt jetzt die vielfältigen Nuancen eines «ja-a», weiss, was Frauen in Beziehungen wirklich wichtig ist, was sie von und beim Sex denken und wie der weibliche Zyklus funktioniert. (Nur als Randnotiz: Er benutzt mittlerweile Conditioner, «unglaublich, wie weich der die Haare macht».)

Er sagt, das Zusammenwohnen mit Kolleginnen habe ihn zu einem besseren Mann gemacht. Werde ich also bald zur besseren Frau? Ich hoffe: Ja.

Da mein «armer Freund» im Gegensatz zu vielen meiner Bekannten keine Bedenken hat, wenn ich mit einem Freund zusammenziehe – der übrigens nicht nur meiner, sondern auch seiner ist –, steht unserem Vorhaben nichts mehr im Weg. Und wer weiss: Vielleicht zieht er in Chur mit einer Frau zusammen. Mich jedenfalls würde es nicht stören.

annabelle-Junior-Online-Editor Leandra Nef (25) sucht noch immer nach einer Wohnung in Zürich-Wiedikon. Sachdienliche Hinweise nimmt sie gerne entgegen

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