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Juristin Zita Küng: «Vom Inselspital-Urteil profitiert jede Frau in der Schweiz»

Politik

Juristin Zita Küng: «Vom Inselspital-Urteil profitiert jede Frau in der Schweiz»

Die Juristin und Gleichstellungsexpertin Zita Küng hat Ärztin Natalie Urwyler am Mittwoch zur Medienkonferenz anlässlich des Inselspital-Urteils begleitet. Ein Gespräch über die Tragweite des Entscheids, das finanzielle Risiko Urwylers – und die Verachtung von Müttern.

Keine Beförderung – und nach der Schwangerschaft die Kündigung: Die Ärztin Natalie Urwyler wirft dem Berner Inselspital geschlechtsspezifische Diskriminierung vor. Nun hat das Berner Regionalgericht am 26. Januar 2024 entschieden: Sie bekommt recht. Derzeit prüft das Inselspital das Urteil; es ist noch nicht rechtskräftig. Wir haben die Juristin und Gleichstellungsexpertin Zita Küng, die am Mittwoch Natalie Urwyler zur Medienkonferenz begleitete, zum Gespräch getroffen.

 

annabelle: Zita Küng, haben Sie damit gerechnet, dass das Berner Regionalgericht Natalie Urwyler recht geben wird? 
Zita Küng: Ich hatte es mir zumindest stark erhofft; die Chancen standen nicht schlecht. Auch wenn das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, kann man doch schon sagen: Dies ist ein historischer Entscheid mit grosser Signalwirkung. Die Insel-Gruppe muss sich warm anziehen – und sich sehr gut überlegen, ob sie das Urteil weiterziehen will.

Welches Signal sendet der Entscheid? 
Seit 1996, also seit fast 30 Jahren, gilt das Gleichstellungsgesetz. Dieses besagt unter anderem, dass bei der Beförderung absolutes Diskriminierungsverbot herrscht. Doch wenn wir die immer noch homöopathische Zahl von Frauen in den oberen Chefetagen betrachten und wissen, wie viele gut ausgebildete Frauen es gibt, ist der logische Schluss, dass sie ausgebremst werden – wie Natalie Urwyler. Der Entscheid sendet nun zum allerersten Mal in der Schweizer Geschichte das Signal: Dieses Gesetz steht nicht einfach nur im Gesetzbuch – es muss auch eingehalten werden. Sonst kann es für Unternehmen sehr, sehr teuer werden.

Wie kann man überhaupt nachweisen, dass geschlechtsspezifische Diskriminierung stattfindet – oder eben nicht? 
Indem man Informationen über männliche Arbeitskollegen vorlegen kann: Wer ist nach welcher Zeit aufgestiegen und mit welchem Lohn? Es braucht den Vergleich. Im Fall von Natalie Urwyler hat das Gericht ein Gutachten über die Verteilung der sogenannten Pool-Gelder angeordnet; sie selbst wäre da gar nicht rangekommen. Bei den Pool-Geldern handelt es sich um einen privatärztlichen Honorarpool, aus dem die Klinik Beiträge an das Personal ausschüttete. Daran konnte man gut ablesen, wer wo im Unternehmen steht.

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«Das finanzielle Risiko für Natalie Urwyler ist massiv»

Welche Rolle spielt die Tatsache, dass Natalie Urwyler eine weisse, gut ausgebildete und gut situierte Frau ist? 
Eine grosse. Und das weiss sie auch. Ihre Einstellung ist: «Wenn ich das jetzt nicht mache, wer denn dann?» Wer klagt und verliert, muss nicht nur die Gerichtskosten tragen, sondern auch die Kosten für die Gegenanwält:innen. Das finanzielle Risiko ist massiv. Natalie Urwyler ist verhältnismässig privilegiert, aber selbst sie geht das Risiko von einem Privatkonkurs ein.

Tatsächlich?
Urwyler klagt auf circa fünf Millionen Schadenersatz – das Risiko orientiert sich jeweils am Streitwert. Und so weit ist der Prozess noch nicht; die Schadenersatzforderung ist zurzeit sistiert.

Für die allermeisten Menschen wäre so ein Gerichtsverfahren also unmöglich. 
Ja, ausser man hat einen reichen Götti – oder eine Rechtsversicherung, welche die Kosten für Streitigkeiten aus dem Arbeitsrecht wenigstens teilweise abdeckt.

Eine Empfehlung von Ihnen? 
Ich denke, das sollte man sich definitiv überlegen. Dann hat man wenigstens ein finanzielles Polster, wenn man vor Gericht zieht. Man muss wissen: Als Arbeitnehmer:in ist man immer in der strukturell schwächeren Position. Gerade grosse Unternehmen wie das Insel-Spital haben sogar eigene Rechtsabteilungen, die solche Verfahren bezahlen und durchführen.

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«Man darf Frauen nicht diskriminieren. Das ist ein Verbot – nicht bloss ein Nice-to-have»

In der Medienkonferenz am Mittwoch sagten Sie, der Entscheid wird eine Wirkung über den konkreten Fall hinaus haben. Auch auf die Leben von weniger privilegierten Frauen? 
Definitiv! Von diesem Urteil profitiert jede Frau in der Schweiz. Jetzt ist es einfach wichtig, dass auch jede davon erfährt.

Warum ist das wichtig? 
Jede soll wissen: Man darf Frauen nicht diskriminieren. Man darf mich nicht diskriminieren. Das ist ein Verbot – nicht bloss ein Nice-to-have. Diese Überzeugung beeinflusst, wie wir Frauen durch die Welt gehen, und wie wir einfordern, was uns zusteht. Zudem können sich Frauen aus allen Branchen, die auf ihrer Arbeit Diskriminierung vermuten, jetzt neu auf dieses Urteil berufen. So ein öffentliches Urteil gibt es ja zum ersten Mal.

Wie wurden Diskriminierungsfälle bisher gehandhabt? 
Wenn jemand auf Beförderungsdiskriminierung klagt, finden meist Gespräche hinter verschlossener Tür statt – und dann wird häufig ein Vergleich und Stillschweigen vereinbart. Heisst: Man einigt sich auf eine Summe, die die Betroffene bekommt, und fertig. Zum Teil kriegen das nicht einmal die Kolleg:innen mit.

«Diese unglaubliche Verachtung von Müttern in der Arbeitswelt ist ein Skandal»

Gesetze, Gerichtsurteile – was braucht es noch, um Diskriminierung am Arbeitsplatz zu bekämpfen? 
In unserer Arbeitskultur braucht es mehr Transparenz. Wir müssen damit anfangen, offen mit unseren Arbeitskolleg:innen zu sprechen – über unseren Lohn, über unsere Situation, über allfällige Vermutungen. Und Führungskräfte und Personen, die im HR-Bereich arbeiten, müssen sich jetzt sputen.

Wie konkret? 
Sie müssen für alle vergleichbare Aufstiegs- und Karriereentwicklungsmöglichkeiten schaffen. HR-Mitarbeitende können es nicht mehr dabei belassen, wenn ein Chef wieder einmal sagt: «Den Job kriegt der Sowieso, Thema beendet». Unternehmen betrachten es oft als private Angelegenheit, wer befördert wird. Aber das ist es nicht: Nach Gesetz müssen Arbeitgeber:innen zu jeder Zeit gut begründen können, warum jemand befördert wurde – und warum nicht. Alle Mitarbeitenden haben ein Recht darauf, das zu erfahren.

Brauchts noch mehr? 
Der Dialog über die Verteilung von Care-Arbeit muss im viel grösseren Stil geführt werden. Denn neben der Erwerbsarbeit gibt es Unmengen an unbezahlter Arbeit, die anfällt – und die wird grösstenteils immer noch von Frauen erledigt. Und noch was: Diese unglaubliche Verachtung von Müttern in der Arbeitswelt ist ein Skandal. Was mir da immer wieder zu Ohren kommt! Frauen, denen 16 Wochen nach der Geburt aus dem Nichts gekündigt wurde – ich kenne grausame Beispiele. Auch Anwältinnen berichten mir regelmässig von solchen Fällen. Ich habe den Eindruck, die Diskriminierung von Müttern hat sogar noch zugenommen.

Ist das Teil des Backlashes, von dem zurzeit so oft die Rede ist? 
Danach sieht es für mich stark aus. Susan Faludi schreibt in ihrem Buch «Backlash», dass es im Patriarchat für Frauen vor allem dann heikel wird, wenn sich wirklich etwas zugunsten von Frauen zu ändern droht.

Heisst?
Wenn Frauen mehr und mehr in wichtige Positionen rücken, bedeutet das für mittelmässige Männer, dass sie nicht mehr wie gehabt automatisch bis nach oben durchspazieren. Sie bekommen echte Konkurrenz von tollen Frauen. Dann schliessen sie die Reihen – und untergraben mit allen Mitteln die Erfolgschancen der Kolleginnen.

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