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So leiden bisexuelle Frauen darunter, dass ihre Sexualität nicht ernst genommen wird

LGBTQIA+

So leiden bisexuelle Frauen darunter, dass ihre Sexualität nicht ernst genommen wird

«Zu queer» für die Hetero-Gesellschaft, «zu hetero» für die LGBTQIA+-Community: Die Ausgrenzung von bisexuellen Frauen ist ein Problem, über das viel zu wenig gesprochen wird. Zeit, das zu ändern.

«Du willst doch nur Aufmerksamkeit», «Das ist nur eine Phase» oder «Du bist doch gar nicht richtig queer»: Das sind Sätze, die bisexuelle Frauen wie die 29-jährige Theresa aus Wien und die 26-jährige Kim aus Berlin nur allzu gut kennen. Denn was klingt wie längst überholte Killerphrasen, sind Botschaften, mit denen sie in unserer heteronormativen Gesellschaft immer wieder konfrontiert werden.

Bisexuelle Frauen stellen einen Teil der LGBTQIA+-Community dar, über den nicht allzu oft gesprochen wird – und das, obwohl bisexuelle Menschen zum Beispiel laut dieser Einschätzung des Meinungsforschungsinstituts Gallup aus dem Jahr 2021 den grössten Anteil der Community in den USA ausmachen.

Existenz von bisexuellen Personen nicht ausreichend anerkannt

In Europa gibt es zur Fragestellung, wie viele Menschen bi sind, nicht allzu viele handfeste Daten, meist bleibt es bei Schätzungen: Laut einer Veröffentlichung des Robert Koch-Instituts aus dem Jahr 2020 wird die Zahl der bisexuellen Frauen in Deutschland in der Altersgruppe zwischen 21 und 25 Jahren auf etwa sechs Prozent der Gesamtbevölkerung geschätzt. Eine andere Erhebung aus Deutschland zeigt ausserdem, dass sich junge Menschen, die der Gen Z angehören, viel häufiger als bisexuell definieren als ältere Menschen – die Dringlichkeit, diese Unsichtbarkeit zu bekämpfen, steigt also.

Dieses Phänomen der Unsichtbarkeit nennt sich «Bisexual Erasure» und beschreibt den Umstand, dass die Existenz von bisexuellen Personen in unserer Gesellschaft nicht ausreichend anerkannt wird. Dabei ist der Leidensdruck für sie besonders gross: Für die heteronormative Gesellschaft «zu queer», für die queere Community «zu hetero». So bewegen sie sich in einer Zwischenwelt, fühlen sich nirgends wirklich zugehörig und in ihrer Sexualität nicht ernst genommen.

«Aufmerksamkeitsgeil» und «verwirrt»

Ein Vorurteil, das sich hartnäckig hält: Man ist nur dann «wirklich bi», wenn sich Männer und Frauen in der eigenen Dating-History die Waage halten, 50/50 quasi. Diese falsche Annahme hat zur Folge, dass Frauen, die nach Jahren des Hetero-Datings entdecken, dass sie auch auf Frauen stehen, im schlimmsten Fall sowohl von Heteros als auch von Teilen der queeren Community als «aufmerksamkeitsgeil» und «verwirrt» abgetan werden. 

Der Punkt «aufmerksamkeitsgeil» ist hier besonders perfide: Weil weibliche Bisexualität in Mainstream-Pornos häufig fetischisiert wird und im Sinne des Male Gaze als etwas gilt, das da ist, um Hetero-Männer anzuturnen, werden bisexuelle Frauen nicht nur unsichtbar gemacht, sondern gleichzeitig objektiviert. Das sieht auch die 26-jährige Kim so.

«Bin ich queer genug?»

Sie ist offen bi: «Ich wage zu behaupten, dass jede bisexuelle Frau die Frage nach einem Dreier kennt. Ich fühle mich manchmal ausserdem wie eine Hochstaplerin. Bin ich queer genug? Hab ich genug queer gedatet, um überhaupt queer zu sein? Gespräche mit bisexuellen Freund:innen helfen mir. Fast alle haben die gleichen Gefühle.»

Dieses Phänomen, von dem Kim spricht, nennt sich Queer Impostor Syndrome: Der Begriff, den wir auch aus der Jobwelt kennen, beschreibt die Tatsache, dass sich bisexuelle Menschen oft selbst nicht trauen, weil sie die Vorurteile der Gesellschaft so stark internalisiert haben. Sie fühlen sich wie Hetero-Hochstapler:innen, die in Wahrheit gar nicht wirklich queer sind, weil es Menschen gibt, die «queerer» sind als sie. Im Sinne von: Was, wenn es wirklich eine Phase ist, wie alle sagen?

«Ich habe erst vor ein paar Jahren gemerkt, dass ich bi bin. Der Gedanke, dass es nur eine Phase sein könnte, hat mir sehr viel Druck gemacht. Aufgrund dieses Vorurteils musste ich oft ‹Check-Ins› mit mir selbst machen: ‹Da ist eine Frau – fühlst du dich zu ihr hingezogen? Wenn ja, bist du bi, wenn nicht, nicht.› Das ist natürlich absoluter Quatsch», erzählt die 29-jährige Theresa von diesen Gedanken.

Bi-Erfahrungen als betrunkener Party-Spass

All diese Narrative spiegeln sich übrigens auch in der Popkultur wider: Wird weibliche Bisexualität thematisiert, dann zum Beispiel in Songs wie Katy Perrys «I kissed a Girl», in denen Bi-Erfahrungen als betrunkener Party-Spass unter albernen Freundinnen abgetan werden.

Die problematische popkulturelle Repräsentation von bisexuellen Frauen ist auch für Kim ein Thema: «In ‹Desperate Housewives› verliebt sich Katherine nach ihrer Trennung von Mike in die wunderschöne Robyn. Alle fragen sich: Ist Katherine jetzt lesbisch? Das Wort oder Konzept Bisexualität existierte lange überhaupt nicht in den Medien. Wie soll man herausfinden, wie man sich fühlt, wenn man keine Vorbilder hat? Aber auch: Wie soll die Gesellschaft etwas ausserhalb von gay und hetero akzeptieren, wenn es nicht in Geschichten stattfindet?»

Erst in den vergangenen Jahren gab es in diesem Bereich mehr Bi-Repräsentation, etwa durch Promis wie US-Schauspielerin Lili Reinhart – und durch TikTok-Content. «Mir hat TikTok extrem dabei geholfen, meine Gefühle einzuordnen, zu benennen und zu akzeptieren», erzählt Kim.

Bi-Erasure nagt an der psychischen Gesundheit

Studien belegen übrigens, dass bisexuelle Menschen im Vergleich zu anderen Mitgliedern der queeren Community besonders unter psychischen Problemen leiden. Sie sind eher anfällig für Symptome von Depressionen oder Ängste als lesbische Frauen oder schwule Männer und geben eher an, ein schwächeres Verbindungsgefühl zur LGBTQIA+-Community zu spüren. Denn all die Vorurteile, Unsichtbarkeit und Ausgrenzung hinterlassen Spuren.

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«Mit queeren Freund:innen, vor allem anderen bisexuellen Menschen zu sprechen, hat mir viele Ängste genommen und mich weniger allein fühlen lassen»

Die eigene gesellschaftliche Position neu verhandeln

Theresa erzählt in diesem Zusammenhang von einer Situation, die sie besonders getroffen hat: «Einmal hat eine FLINTA-Person (Abkürzung für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans und agender Personen, Anm. d. Red.) zu mir gesagt: ‹Du bist nicht queer, bei dir schlägt mein gaydar nicht aus.› Das hat mir sehr wehgetan, weil das eine Zeit war, in der ich sehr mit meiner Sexualität gehadert habe.»

Die Wiener Psychotherapeutin Katharina Henz erlebt in ihrer Praxis immer wieder Fälle, in denen sich die Vorurteile gegenüber bisexuellen Frauen besonders deutlich zeigen: «Eine der schwierigsten Ausgangssituationen ist es, wenn sich eine Frau nach einer heterosexuellen Beziehung – vielleicht auch mit Kindern – in eine Frau verliebt. Da scheint selbst das liberalste Umfeld mit Unverständnis zu reagieren. Die Frau muss dann ihre gesellschaftliche Position neu verhandeln und ‹beweisen›, dass sie immer noch die gleiche Person ist. Dass sie nicht irgendwelchen ‹verrückten Ideen› nachgegeben hat, sondern sich so wie alle anderen auch einfach für ihre Art zu lieben entscheidet.»

Vom Umfeld als Verrat erlebt

Aber auch den umgekehrten Fall hat Henz schon erlebt: «Wenn eine Frau, die sich bis dato als lesbisch definiert hatte und in einem queeren Umfeld verortet war, sich in einen Mann verliebt, kommt es ebenfalls zu Schmerz und Ohnmacht. Das kann vom Umfeld als ‹Verrat› erlebt und mit Distanzierung beantwortet werden. Hier brechen über Nacht viele Gewissheiten zusammen.»

Um sich Gewissheiten im Leben zu schaffen, die solchen Veränderungen standhalten, ist es laut Henz ratsam, sich «Allys», also Verbündete, zu suchen, die hinter einem stehen. Ganz egal, wen man gerade liebt. Und auch Kim findet grosse Stärke in Verbündeten: «Mit queeren Freund:innen, vor allem anderen bisexuellen Menschen zu sprechen, hat mir viele Ängste genommen und mich weniger allein fühlen lassen. Wir sind bisexuell, egal, wen wir gerade daten, und egal, was andere Menschen dazu zu sagen haben.»

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