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Meinung: Warum der Bikini-Protest der Handballerinnen so wichtig ist

Zeitgeist

Meinung: Warum der Bikini-Protest der Handballerinnen so wichtig ist

Weil das norwegische Beachhandball-Team an der EM statt knappen Bikinihöschen Radlerhosen trug, muss es nun eine Busse von 1500 Euro zahlen. Redaktorin Marie Hettich über die Wichtigkeit der Protestaktion.

Es geht mir oft so: Da sitze ich vor dem Fernseher und freue mich, dass Frauen in Action zu sehen sind. Als gewiefte Kriminalkommissarinnen zum Beispiel, als Polit-Moderatorinnen oder Profi-Sportlerinnen. Doch allermeistens kippt meine Stimmung an irgendeinem Punkt wieder. Und ich frage mich: Warum sieht die Kriminalkommissarin im Film eigentlich schon wieder aus wie ein Model? Wieso wird sie plötzlich im BH gezeigt – tut das jetzt was zur Sache?

Warum sind Polit-Moderatorinnen so oft gertenschlank und mindestens gebotoxt – ist das ein Einstellungskriterium? Warum sieht man an ihnen irgendwie nie graue Haare? Und weshalb springen einem sofort Pobacken entgegen, sobald man eine Runde Kunstturnen, Volleyball oder Tennis schaut?

Pobacken als Pflichtprogramm

Ganz absurd wird es, wenn den Frauen dieses Pobacken-Gezeige sogar vertraglich vorgeschrieben wird – wie beispielsweise beim Beachhandball. An der jüngst beendeten Europameisterschaft in Bulgarien weigerte sich das norwegische Team, im Spiel um Platz drei in knappen Bikinihöschen anzutreten und wählte stattdessen Radlerhosen (siehe Bild). Prompt wurden die Spielerinnen von der Disziplinarkommission der Europäischen Handball-Föderation mit 1500 Euro Busse bestraft. Die Begründung: Die Bekleidung sei «unangemessen».

Die internationale Handball-Föderation gibt allen Ernstes vor, dass die Höschen der Spielerinnen eng anliegend und an den Seiten «maximal 10 Zentimeter» breit sein müssen. Maximal 10 Zentimeter – das bedeutet: Maximal so breit wie eine Postkarte. Männliche Beachhandballer hingegen dürfen Shorts tragen, die bis zu 10 Zentimeter über das Knie reichen. Fast könnte man sich über diese Absurdität totlachen, wenn das alles nicht schon wieder so verdammt sexistisch wäre.

«Nackt und beobachtet»

Katinka Haltvik, Spielerin des norwegischen Beachhandball-Teams, sagte über die Kleidervorschrift einmal: «Man beschäftigt sich mehr damit, dass die Höschen nicht verrutschen als mit Handball.» Und Frankreichs Nationaltrainerin Valérie Nicolas erzählte der norwegischen Tageszeitung «Verdens Gang», sie kenne Frauen, die deshalb mit dem Sport aufgehört haben: «Einige Handballspielerinnen haben mir gesagt, dass sie sich unwohl, nackt und beobachtet fühlen. Bei dieser Sportart muss man sich so viel bewegen, da stört ein Bikini nur.»

Im Mai diesen Jahres trat die deutsche Kunstturnerin Sarah Voss zum Auftakt der Europameisterschaften in Basel in einem langen Overall auf – ebenfalls als Protest gegen die Kleiderordnung. Die beim Kunstturnen üblichen Dresses – kaum von Badeanzügen zu unterscheiden – würden ständig verrutschen, erklärte sie. Ausserdem wolle sie ein Vorbild für Turnerinnen sein, die mit den knappen Outfits ebenfalls hadern.

Gespreizte Beine für die Richter

«Ich hätte mir oft gewünscht, mehr anziehen zu können», sagte auch die ehemalige Schweizer Turnerin Ariella Kaeslin in einem Gespräch mit der «Sonntagszeitung». «Turnerinnern sind extrem entblösst: Am Balken stehen die Kampfrichter nahe, und für manche Figuren spreizt du die Beine Vollgas gegen die Richter. Das ist unangenehm. Mich hat das immer gestört.»

Dass immer mehr Sportlerinnen den Mut finden, vermeintliche Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen und zu protestieren, ist fantastisch und verdient unseren grössten Respekt. Jede Einzelne, die ihre Stimme erhebt, trägt zu einer unerlässlichen Debatte bei. Zu einer Debatte darüber, warum Männer immer noch darüber bestimmen können, in welchen Situationen sie sich am entblössten Frauenkörper aufgeilen möchten – und wann er bedeckt werden muss.

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Kathrin Luginbühl-Loher

Meine Bewunderung für ihren Widerstand haben die Norwegischen Beachhandballerinnen. Ich habe mich nur beim Zusehen schon so oft geärgert über diese absurden, entblössenden Kleidervorschriften. Das ist purer Sexismus.

Ella Combé

Im Beachvolleyball ist es nicht anders, da sind die Höschen noch knapper. Ich wünsche mir, dass alle Sportlerinnen, die solchen sexistischen Kleidungsvorschriften unterliegen, den Mut haben, dagegen aufzubegehren. Und die “Strafe” selbstverständlich nicht bezahlen, sondern es auf einen Gang zum Gericht ankommen lassen, wo die Verhältnismässigkeit beurteilt wird. Einmal ganz abgesehen von der Ungleichbehandlung gegenüber den männlichen Sportkollegen. Und warum die Kampfrichter nicht auch einmal im knappen Tenue auftreten lassen, statt in Anzug und Kravatte?

Zeno Dolezal

vollkommen ABSURD und deshalb am 21.07.21 gemailt
An : [email protected]
Cc : [email protected]
Sehr geehrte Damen und Herren,
gestern habe ich in den Medien von den abstrusen und diskriminierenden Kleidervorschriften gelesen und ich bin bereit, die Busse für Ihren Verein zu übernehmen (um ein “Zeichen der Solidarität gegen Sexismus” zu setzen) und mich auch an einer Petition gegen diese Kleidervorschriften zu beteiligen.
Herzliche Grüsse
Zeno Dolezal

Catherine Luke

Und dann kommt eine britische Paralympics-Athletin, Weltmeisterin Olivia Breen, der VON EINER FRAU vorgeworfen wird, unangemessen angezogen zu sein, weil sie ein knappes (und absolut normales) Läuferhöschen trägt!

Gabriele Thébault

Ich habe mich schon oft geärgert, dass gewisse Spielarten den Frauen diskriminierende und sexistische Kleidervorschriften gemacht werden.
Ich habe einmal die Männer beobachtet, die anstatt in die Mittagspause, ein Match der Beachvolleyballerinnen schauen gehen und ständig auf ihre Hinteren schauen.
Diese Kleidervorschriften gehören abgeschafft. Bravo Norwegerinnen für euer Engagement.

Joe Bar

Mal für Unkundige wie mich: Kleidervorschriften, welche den Sportlern keinen Vorteil verschaffen sollen, sind absolut in Ordnung. Bzw. selbst dann, wenn erlaubt, dann gibt das ja einen möglichen Vorteil für alle. Also, wie genau schaffen es Kleidervorschriften in den Sport? Ist mir weiterhin ein Rätsel. Von mir aus können die in Pelzmänteln zum Fussball oder Rudern antreten. Ist nicht die Leistung entscheidend und macht den Erfolg durch Training und Talent aus? Die Kleidung hat hier doch meist statischen Einfluss. Oder ist das reiner Protektionismus von Funktionären, die schliesslich bezahlt werden wollen und deren Funktion nicht notgedrungen mit dem Kern zu tun hat, dafür abstrusen Ideen folgt, die niemand nachvollziehen kann. Mit “Niemand” meine ich zumindest mal mich. Vielleicht wäre mal ein Versuch, z.B. Beachvolleyballerinnen in Männerkleidung spielen zu lassen und umgekehrt!