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Zeitgeist

Meinung: Warum mich meine digitalen Kommunikationskanäle stressen

Stephanie Hess
Stephanie Hess

Redaktorin

Zwölf Kommunikationskanäle bereiten mehr Frust als Freude. Unsere Autorin Stephanie Hess fühlt sich «Lost in Communication» bei all den Chats und Channels.

Neulich erhielt ich ein Witzbild – oder ein Meme, wie das neuerdings heisst. Darauf zwei Antworten auf ein SMS: eine von einer Mutter, die nach dem Befinden fragt, Freude über das baldige Treffen ausdrückt, Küsse sendet, garniert mit Emojis, Blumensträusschen, Herzen. Daneben die Nachricht des Vaters: «Ja, ok». Auf welchem Weg mich dieses Bild erreicht hat? Keine Ahnung, ich habe längst die Übersicht verloren. Ich verfüge inzwischen über zwölf Kommunikationskanäle. Was nie meine Absicht war. Die Anzahl vergrösserte sich wie von allein: Ein erster GMX-Account, Telefon, iMessage, Whatsapp, Facebook, zweiter GMX-Account, Instagram, Gmail, LinkedIn, Outlook, Tiktok, Signal.

Immense Textmenge

Eine Bekannte wollte mir kürzlich netterweise Schuhe für meine Tochter ausleihen. Sie schrieb mir im Facebook-Messenger. Als ich mich zurückmeldete, hatte sie bereits einen zweiten Versuch über Insta gestartet, wir hatten zeitverzögert aneinander vorbeigeschrieben. Die Telefonnummern hatten wir nicht voneinander. Letztlich schafften wir es nicht, die Übergabe zu organisieren, solange meine Tochter noch die passende Schuhgrösse hatte. Da wurde mir klar: Ich bin «lost in communication». Nicht nur wegen der Vielzahl der Kanäle, sondern auch wegen der immensen Textmenge, die durch sie hindurchströmt und die aufgrund der sozialen Distanz im letzten Jahr noch anschwoll.

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«Jedes Nachrichten-Plingt jagt mir einen Stresspfeil in die Brust»

Stephanie Hess

Stresspfeil statt Freudenschauer

Inzwischen jagt mir das Nachrichten-Pling keine Freudenschauer mehr über den Rücken, sondern einen Stresspfeil in die Brust. Manchmal lasse ich das Smartphone extra ausser Sichtweite, als könnte ich damit etwas ausrichten, als liesse sich so seine Dominanz brechen. Schaue ich später drauf, leuchten überall rote Kreise mit weissen Zahlen. Natürlich könnte ich strikte Handyzeiten einführen, Chats auf stumm schalten oder jene Kanäle löschen, die ich wenig nutze. All die Tipps befolgen, die einem gegeben werden, wenn man über digitale Überschwemmung klagt. Aber die Dauerberieselung ist gar nicht der eigentliche Kern des Problems. Was mich stresst, ist die Menge an unbeantworteten Nachrichten in den Posteingängen und Chats, die noch eine gepflegte Replik erfordern. Daran bin ich ja selbst schuld: Ich schreibe nicht selten so wie die Mutter auf dem Witzbild; lang, ausufernd. Weil man das irgendwie tut unter Frauen. Und um mein schlechtes Gewissen wegen der Verzögerung abzufedern. Denn natürlich finde ich mein Verhalten schrecklich. Herrgott, es sind ja meine Freund:innen und meine Familie, die mir schreiben!

Texten als Stellvertreter-Handlung

Vielleicht ist im letzten Jahr während dieses langen Mangels an Möglichkeiten, sich auf einen Kaffee zu treffen oder einander zum Essen einzuladen, das beständige Texten zu einer zentralen Stellvertreter-Handlung geworden. Nur scheint diese jetzt auf dem besten Weg, Teil des «New Normal» zu werden. Ich glaube, das würde uns allen nicht guttun. Ich plädiere dafür, dass wir uns alle wieder mehr treffen. Für das Vertrauen, dass Freundschaften auch ohne zig SMS bestehen bleiben. Für weniger Text. Für mehr «Ja, ok». Mit dem Zusatz: «Freue mich, dich zu sehen».

 

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