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«Feministiken»: Endlich ein Buch, das Sexismus mit Zahlen belegt

Politik

«Feministiken»: Endlich ein Buch, das Sexismus mit Zahlen belegt

Unsere Gesellschaft hat viel Nachholbedarf in Sachen Geschlechtergerechtigkeit, das wissen wir. Und können Missstände in Diskussionen dank dem neuen Buch «Feministiken» endlich auch mit Zahlen untermauern.

Wie viele Songs werden eigentlich ausschliesslich von Frauen geschrieben? Gibt es auch auf Instagram einen Gender Pay Gap? Und wie oft werden in den News Frauen als Expertinnen hinzugezogen? Diese und zahlreiche weitere Fragen aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen beantwortet das neue Buch «Feministiken» mit oft überraschenden Fakten.

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10 spannende Zahlen aus dem Bereich «Medien und Kultur»:

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Der Gender Pay Gap für Influencer:innen auf Instagram beträgt bei Posts sieben Prozent, bei Stories 27 Prozent. Wenn die Kombination aus Instagram-Post und -Story gebucht wird, sogar ganze 49 Prozent.

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Hinzugezogene Expert:innen in Nachrichtenbeiträgen sind in 83 Prozent der Fälle Männer und in nur 17 Prozent der Fälle Frauen.

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Beiträge über Frauen machen nur einen Viertel der Berichterstattung in Zeitungen aus.

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In nur 5 Prozent der 2019 erschienenen Computerspiele ist die Hauptperson weiblich.

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Bei den Oscars steht das Verhältnis bei über 10 000 Nominierungen seit 1929 bei 14 Prozent weibliche versus 86 Prozent männliche Nominierungen. Das gilt für Kategorien, in denen beide Geschlechter nominiert werden können.

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40 Prozent von fast 10 000 getesteten Filmen bestehen den Bechdel-Test nicht. Sprich sie erfüllen die minimale Anforderung nicht, dass zwei namentlich genannte Frauen miteinander über ein anderes Thema als Männer sprechen.

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An den 900 meistgesehenen Filmen zwischen 2012 und 2020 arbeiteten nur 2 Prozent Komponistinnen, 4 Prozent Regisseurinnen, 13 Prozent Autorinnen und 21 Prozent Produzentinnen.

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Entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung müssten 50,8 Prozent der Rollen in Filmen mit Frauen besetzt sein, es sind aber nur 31,4 Prozent. Bei Menschen mit Behinderung beträgt das Ungleichgewicht sogar 18,2 Prozent zu nur 2,7 Prozent.

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Nur 1 Prozent der 900 erfolgreichsten Songs von 2012 bis 2020 wurde ausschliesslich von Frauen geschrieben – hingegen 57 Prozent ausschliesslich von Männern. Das Verhältnis bei Songwriter:innen ist eine Frau versus sieben Männer. Bei Musikproduzent:innen beträgt das Verhältnis sogar 1 zu 38, wobei nur 1 Prozent der Produzentinnen Women of Color sind.

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13 Prozent der Grammy-Nominierungen zwischen 2013 und 2021 gingen an Frauen. In der Kategorie «Producer of the Year» waren 2 Prozent Frauen nominiert, für «Record of the Year» 10 Prozent und für «Song of the Year» 28 Prozent.

Woher die Zahlen stammen, was frustrierende Diskussionen mit der Entstehung des Buchs zu tun haben und warum wir Fakten mehr vertrauen als subjektiven Erlebnissen – darüber haben wir mit Mathematikerin und Co-Autorin Inga Blundell gesprochen.

annabelle: Beeinflussen Ihr Mathematikstudium und Ihr Job als Softwareentwicklerin Ihren Feminismus?
Inga Blundell: Ja, ich war schon im Mathestudium als Frau in der Unterzahl und spätestens als ich in der IT promovierte, gab es gar keine Frauen mehr neben mir – dasselbe galt für meinen letzten Job. Und in der Freizeit rudere ich, in der Regel auch mit Männern. Dabei würde ich mir mehr Frauen wünschen. In diesen männerdominierten Umfeldern erlebe ich leider häufig noch Diskriminierung.

Wie äussert sich diese?
Meine Forderungen werden nicht ernst genommen, sei es in Bezug auf mein Gehalt oder auf gewünschte Aufgabenbereiche. Ich habe das Gefühl, überhaupt zuerst als Frau oder sogar als Mutter gesehen zu werden. Da wird erwartet, dass ich in Teilzeit arbeiten will, keine wichtigen Aufgaben übernehmen möchte und nicht aufs Geld angewiesen bin – Geld könne ja mein Partner verdienen. Gleichzeitig ist uns bewusst, dass meine Co-Autorin Yvonne Hissel und ich zwar als Frauen immer wieder mit Diskriminierung zu kämpfen haben, aber in vielerlei Hinsicht auch sehr privilegiert sind. Unser Augenmerk im Buch liegt auf Frauen unterschiedlichster Hintergründe.

Wie kam es zum Buchprojekt «Feministiken»?
Gleichstellung liegt mir schon seit meiner frühen Kindheit am Herzen. Im Studium habe ich in einer Frauengruppe meine Co-Autorin Yvonne Hissel kennengelernt. Damals haben wir beide bemerkt, dass uns als Feministinnen Gespräche über Gleichberechtigung frustrieren, denn Meinungen zu diesem Thema basieren oft auf falschen Annahmen. Da wünschten wir uns, etwas zur Hand zu haben, um Fakten entgegenzusetzen.

Wann begann die Arbeit am Buch?
Angedacht haben wir das Buch schon vor acht Jahren und begannen schon damals mit der Recherche. In den letzten zwei Jahren haben wir die Recherchearbeit intensiviert und alle Zahlen nochmal aktualisiert.

Woher stammen diese?
Viele haben wir bei den Bundesministerien angefragt, teilweise haben wir auch auf vertrauenswürdige Studien zurückgegriffen. Die Zahlen spiegeln alle möglichen Lebensrealitäten wider – das geht von Medien über Nachhaltigkeit bis zu Politik.

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«Natürlich kann eine einzelne Frau im Job gleich viel verdienen wie ihre Kollegen. Das ändert aber nichts daran, dass es ein politisches Problem gibt, und das können Zahlen eben gut darstellen»

Woran liegt es, dass es jahrelange Recherche brauchte, um diese Zahlen einsehen zu können?
Viele Zahlen sind eigentlich da. Diese aber zu finden, zusammenzutragen und vor allem ansprechend aufzuarbeiten, war das Anstrengende. Ich glaube, es gibt eine Furcht vor Zahlen und Statistiken in der Gesellschaft. Ich interessiere mich auch mehr für Feminismus als für Zahlen, habe aber keine Angst vor ihnen und bin es gewohnt, mit ihnen zu hantieren und sicherzustellen, dass die aufbereiteten Grafiken und Vergleiche korrekt sind.

Warum braucht es unbedingt Zahlen, um zu belegen, was weiblich gelesene Personen tagtäglich am eigenen Leib erleben?
Weil sie diese Erlebnisse einordnen. Natürlich kann eine einzelne Frau im Job gleich viel verdienen wie ihre Kollegen und es gibt Frauen, die keine sexualisierte Gewalt erleben. Das ändert aber nichts daran, dass es ein politisches Problem gibt, und das können Zahlen eben gut darstellen. Doch auch Zahlen brauchen manchmal Erklärungen.

Inwiefern?
Teils können Zahlen Stereotype noch verstärken. Man könnte beispielsweise aus unserem Buch lesen: «Frauen kochen halt so gern. Seht euch das an, die kochen ja viel mehr als Männer.» In Kontext gesetzt, zeigen wir aber anhand solcher Beispiele auf, wie Frauen immer noch einen Grossteil der unbezahlten Care-Arbeit übernehmen. Die Zahlen sollen Objektivität und eine Diskussionsgrundlage bieten.

«Es gehen andauernd relevante Fakten vergessen oder werden übersehen, weil keine Frauen anwesend sind»

Würde der Fokus der gesellschaftlichen Debatte mehr auf den von euch aufgezeigten Fakten liegen, wenn mehr Frauen in Ämtern arbeiten und Zahlen aufbereiten würden?
Das denke ich schon, ja. In allen Bereichen sind zu wenig Frauen präsent. So werden andauernd relevante Fakten vergessen oder werden übersehen, weil keine Frauen anwesend sind.

Gibt es Themen, die Ihnen persönlich im Buch fehlen?
Wir haben versucht, auch Fakten über mehrfachdiskriminierte Personen zu integrieren, aber oftmals waren zu wenige Zahlen verfügbar. Wir sind uns bewusst, dass unser Buch sehr binär ist. Klar: So lässt sich die Geschlechterungleichheit auch gut verdeutlichen. Aber ich hoffe, dass unser Buch andere Menschen inspiriert, aus ihrer Perspektive weiterzuforschen.

Inga Blundell, Yvonne Hissel: «Feministiken». Die Wahrheit über Gleichberechtigung. Das Buch erschien im dtv Verlag – überall im Buchhandel oder online erhältlich, ca. 27 Fr. «Feministiken» vereint Fakten über Geschlechterungleichheit aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

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