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Rassismus in der Schweiz: «Früher wollte ich alles, nur nicht Asiatin sein»

Zeitgeist

Rassismus in der Schweiz: «Früher wollte ich alles, nur nicht Asiatin sein»

  • aufgezeichnet von: Marie Hettich
  • Bild: ZVG

Melanie Luu hat uns erzählt, wie antiasiatischer Rassismus ihr Leben prägt, warum sie sich auf dem Wochenmarkt in Zürich unwohl fühlt – und welchen Unterschied Freundschaften machen können.

«An einen Moment aus meiner Kindheit kann ich mich noch ganz genau erinnern: Mein Mami und ich sind mit dem Velo einen schmalen Weg entlanggefahren und zwei junge Typen kamen uns entgegen. Aus dem Nichts wurden sie plötzlich extrem aggressiv und schrien laut rum, wir sollen zurück in unser Land gehen. Ich hatte so Angst. Noch heute werde ich sofort nervös, wenn ich irgendwo Teenagerjungs begegne. Obwohl ich mittlerweile fast dreissig bin und mich verbal easy wehren könnte, steckt das tief in mir drin.

Aus meiner Kindheit habe ich viel verdrängt – ich habe schon sehr früh sehr viele negative Erfahrungen gemacht. Auf Spielplätze bin ich zum Beispiel überhaupt nicht gern gegangen. Wenn mich meine Mutter irgendwo abgeholt und Chinesisch mit mir geredet hat, haben mich die anderen Kinder oft ausgelacht und nachgeäfft. Es ist schon krass: Als ich vor ein paar Jahren «Crazy Rich Asians» im Kino schauen war und ein chinesisches Lied lief, habe ich sofort den Atem angehalten, weil ich dachte, jetzt wird bestimmt gleich jemand loslachen.

Auch über unser Essen haben sich die Kinder oft lustig gemacht. Am allerschlimmsten fand ich, wenn sie mit den Fingern ihre Augen in die Länge gezogen haben – das hat mich jedes Mal extrem mitgenommen. Oft haben sie auch dumme Fragen gestellt, wie zum Beispiel: Wieso sieht deine Nase so aus? Siehst du mit deinen Augen eigentlich genau gleich viel wie wir?

Aber auch Erwachsene benehmen sich oft schlimm. Im Grossraumbüro meines ehemaligen Arbeitsgebers habe ich mal mitgehört, wie ein Typ einen anderen gefragt hat: «Von wem weisst du das – von der Blonden oder von der mit den Schlitzaugen?» Selbst in meinem Freundeskreis erlebe ich unterschwelligen Rassismus. Auch dort ist der Begriff «Schlitzauge» schon gefallen – und ich musste jeweils erklären, dass es ein ganz übles Wort ist und mich extrem verletzt. Ich war wirklich überrascht, dass ihnen das nicht bewusst war. Sie haben sich mega geschämt und entschuldigt.

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«Ich werde so oft auf Englisch angesprochen, dass es mir zum Teil gar nicht mehr auffällt»

Es gibt Orte, auch mitten in Zürich, wo mich ein Gefühl überkommt, dass ich dort einfach nicht richtig hingehöre. Heute Morgen war ich zum Beispiel auf dem Helvetiaplatz-Markt. Das ist so etwas Zürcherisches – etwas, das Weisse machen. Es ist nichts Besonderes vorgefallen, aber ich bin dort meist die Einzige, die anders aussieht, und irgendwie liegt diese Tatsache unausgesprochen in der Luft. Ausserhalb von Zürich ist es dann ganz eindeutig: Vor allem wenn ich mit meiner Family unterwegs bin, werden wir oft angestarrt – und ich spüre, dass es negative Blicke sind.

Die Frage, woher ich komme, habe ich früher nicht als störend empfunden. Mittlerweile bin ich kritischer und versuche herauszuspüren, was die Person damit bezweckt. Mir ist aufgefallen, dass ich seit den «Black Lives Matter»-Protesten die Frage seltener gehört habe – und wenn, dann oftmals vorsichtiger formuliert. Also zum Beispiel: Woher kommen deine Eltern? Oder: Was hast du für Wurzeln? Ich interessiere mich selbst für verschiedene Kulturen und kann die Neugierde gut nachvollziehen. Aber bei manchen Leuten ist es ziemlich offensichtlich, dass es sich eben nicht um Interesse, sondern um Ignoranz handelt – zum Beispiel, wenn jemand total irritiert ist, weil ich gut Schweizerdeutsch spreche.

Apropos Sprache: Auf Hochdeutsch oder vor allem auf Englisch werde ich so oft angesprochen, dass es mir zum Teil gar nicht mehr auffällt. Im Zürcher Kreis 1, wo es viele Touristen gibt, kann ich das irgendwie nachvollziehen – obwohl ich nicht finde, dass ich wie die typische Touristin aussehe. Aber an anderen Orten, mitten im Kreis 4, nervt es mich doch immer wieder. Wenn ich den Leuten dann jeweils demonstrativ auf Züritüütsch antworte, gibt es zwei mögliche Reaktionen: Die einen entschuldigen sich, und dann ist es für mich auch okay. Die anderen ignorieren mein Züritüütsch – und reden einfach auf Englisch weiter. So unglaublich ignorant. Das macht mich extrem hässig.

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«Er fragte: Kann man dich mieten?»

Vor ein paar Jahren hat mich ein älterer Herr bei einem Videodreh, wo ich der Stylistin assistiert habe, aus dem Nichts gefragt: «Kann man dich mieten?» Ich war so schockiert, dass ich kein Wort rausgebracht habe. Asiatische Frauen gelten als unterwürfig, sie haben den Ruf, dem Mann jeden Wunsch zu erfüllen – sie werden sexotisiert. Ich habe schon mehrfach solche Sprüche gehört – ich sei sicher sehr eng oder im Bett besonders gehorsam.

Beim Daten war immer meine schlimmste Horrorvorstellung, dass der Typ mir erzählen wird, seine Exfreundin sei auch Asiatin. Oder noch schlimmer: all seine Exfreundinnen. Da gehen bei mir sofort die Alarmglocken an. Weil das bedeutet: Der steht jetzt auf mich, weil ich Asiatin bin. Und nicht auf mich als Individuum. Für manche Männer sind Asiatinnen wie ein Fetisch, das ist richtig unheimlich.

Zuhause habe ich als Kind nie erzählt, wenn ich mal wieder gehänselt worden bin. Wir haben in der Familie selten über Rassismus geredet. Auch heute passiert das kaum – obwohl ich natürlich weiss, dass meine Eltern konstant damit konfrontiert werden, seit sie in die Schweiz geflohen sind. Erinnern kann ich mich nur daran, dass mein Papa immer wieder erwähnt hat, dass wir Asiaten sind und uns deshalb andere Menschen ausnutzen könnten, weil wir als schwach gelten. Immer wieder hat er zu uns gesagt: Passt auf, dass ihr nicht ausgenutzt werdet.

Seit ein paar Jahren bin ich mit zwei Frauen befreundet, die ebenfalls asiatische Wurzeln haben. Wir treffen uns etwa einmal im Monat – und jedes Mal reden wir darüber, was uns oder unseren Eltern schon wieder passiert ist. Seit ich diese Freundschaften in meinem Leben habe, weiss ich, wie sehr mir dieser intensive Austausch gefehlt hat. Es ist so wichtig, Menschen um sich herum zu haben, die verstehen, wovon man spricht. Durch die Gespräche habe ich begriffen, was gar nicht geht, auch wenn es «doch nur ein Witz war». Heute weiss ich, dass ich die Erfahrungen, die ich schon mein ganzes Leben lang mache und immer ignoriert habe, ernst nehmen muss und darf.

Aber auch über die schönen oder witzigen Dinge unserer Kultur zu sprechen und zu lachen, tut so gut. Zum Beispiel über den Nonsense, dass unsere Mütter das Geschirr von Hand abspülen – und es dann zum Trocknen in die Abwaschmaschine stellen. Nach den Treffen denke ich jedes Mal: Es ist eigentlich mega schön, Asiatin zu sein. Früher war das überhaupt nicht so. Ich wollte alles, nur nicht Asiatin sein. Kein Wunder, so wie asiatische Frauen in Filmen dargestellt werden: nerdy oder hypersexualisiert – und immer in der Nebenrolle.

«Wir Asiaten machen uns selbst klein»

Als Corona aufkam, hatte ich eine Vorahnung: Jetzt wirds richtig unangenehm für uns. Und tatsächlich: Ich habe von verschiedenen Leuten in der Schweiz gehört, dass ihnen auf der Strasse «Corona» hinterhergerufen wurde. Von meinem Papi hat sich eine Frau im Zug demonstrativ weggesetzt – und meine Schwester hat erzählt, dass sie von einem Mann mit Maske, als es noch keine Maskenpflicht gab, eine ganze Fahrt lang so richtig aggressiv angestarrt wurde.

Was gerade auf der Welt passiert, macht mich mega traurig. Die Anfeindungen und die Gewalt gegen Asiaten nehmen zu – nicht nur in den USA, auch in Australien und Europa kam es vermehrt zu Vorfällen. Über amerikanische Newsplattformen habe ich von #stopasianhate mitbekommen – dem Hashtag, der seit dem Amoklauf in Atlanta im Umlauf ist. Dass in den Schweizer Medien nicht oder kaum darüber berichtet wurde, habe ich leider erwartet. Das Thema gilt hier nicht als relevant. Eine Freundin hat mir nach dem Amoklauf tatsächlich geschrieben: «Meli, wie ist das in der Schweiz – erlebst du hier Rassismus?»

Wir Asiatinnen und Asiaten werden dazu erzogen, kein Aufsehen zu erregen. Wir machen uns selbst klein. Mir passiert es immer noch oft, dass ich denke «Das war jetzt mega rassistisch» – und im nächsten Moment: «Nein, komm, das war eh nicht böse gemeint.» Wir silencen uns selbst. Und das macht die ganze Sache sehr kompliziert. Denn wie soll die Welt davon erfahren, was wir tagtäglich erleben, wenn wir alles still und leise über uns ergehen lassen? Zum Glück dämmert es einigen langsam, dass es auch keine Lösung ist, einfach stillzusitzen und darauf zu warten, dass es weggeht.

«Ich hatte immer das Gefühl, ich muss lauter als andere sein, um nicht unterzugehen»

Als ich klein war, hat man mir immer gesagt, dass ich im Vergleich zu westlichen Kindern so still und zurückhaltend bin. Mich beschäftigt es schon mein ganzes Leben, dass ich das Gefühl habe, ich muss lauter sein als alle andere, um nicht zu verlieren, nicht benachteiligt zu werden, nicht unterzugehen. Jetzt, als erwachsene Frau, will ich mich trauen, lauter zu werden – und mit dem Bild der ruhigen, braven Asiatin auch mal zu brechen. Ich will meine Stimme erheben – als Individuum und zusammen mit meiner Community.

Immer, wenn ich in Zürich an einer Asiatin vorbeigehe, denke ich: Sie würde ich gern kennenlernen. Man schaut sich immer an, aber geht doch wortlos aneinander vorbei. Das ist so schade. Denn wenn wir uns zusammenschliessen würden, hätten wir alle viel weniger das Gefühl, mit unserem Struggle allein zu sein.»

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Carmela Natali

Ciao Melanie…finde dein Artikel sehr interessant…bin eine ältere Seconda, Italienerin und kenne Diskriminierung und rassistische Aussagen aus pers. Umfeld..war aber dummerweise der Meinung, dass es eher uns Südländer betrifft Asien gilt doch schliesslich in der CH als Traumreiseland…
Artikel wie deiner sind wichtig und helfen unser Blickfeld auf Wesentliches zu richten…auf den Menschen…egal woher er stammt. Erhebt eure Stimme..und entgegnet den Menschen, die das anders sehen. Alles Gute wünsche ich dir…
Carmi

Eveline

Möchte wissen wieviel „reinrassige“ Schweizer es gibt! Sind doch alles „Füdlibürger“ und sollen vor der eigenen Haustür kehren! Kommentar von einer „reinrassigen“ Schweizerin….

Dan

Hmm das und viel schlimmer passieren mich jeden Tag. Ich arbeite bzw. Mache eine Lehre bei einer prominente Firma in der Schweiz aber auch international. Mitte März hatte man so ein schönes Wetter fast eine Woche lang und ich war in den Ferien. Montag die letzte Woche der Monat bin ich dann zurück zur Arbeit und am Montag hat es geschneit. Was hat mir eine dumme Kuh gesagt ” Wegen dir du africaner hat es jetzt geschneit” das wurde als Scherz gedacht 🙄.
Ich habe Mal auch einen Auftrag erhalten. Den Auftrag war über die Nachhaltigkeit der Firma genauer beschrieben über Abfallreduktion/Trennung zu recherchieren und Optimierungsvorschläge zu schreiben. Was hat einer der Vorgesetzen gesagt ” Du bist kein Schweizer und das geht dir nichts an.” Ich habe den Auftrag nicht gemacht und folglich habe ich 1 gekriegt. Habe das niemandem erzählt und fühle mich Machtlos. Zum Glück bin ich fast fertig mit der Lehre und zwar erfolgreich trotz alle Hürden,Vorurteile und Hindernisse. Es wird mir immer etwas gesagt und einige Mitarbeiter haben mir sogar gesagt, dass ich dagegen auch etwas tun muss. Ich sage aber ” Ich habe Filter vor den Ohren, keine schlechte Worte kommen darein oder nein ich sage nichts dagegen. Ich will nicht auf ihre Niveau runtergehen und mit ihnen argumentieren.

Kerstin Hasse

Hi Dan, es tut uns wirklich sehr leid, dass du solcher Erfahrungen machen musstest.

Olivia

Ich kenne das nur zu gut. Meine Familie ist nun seit über 70 Jahren in der Schweiz, in der 3. Generation Schweizer asiatischer Herkunft. Ich bin politisch sehr engagiert, aber im Wissen, dass wir auch in 500 Jahren wegen unserem Aussehen noch diskriminiert werden, eher resigniert. Ich habe beruflich eine Nische gefunden, in einem internationalen Umfeld, wo mich das nicht mehr belastet und auch im Privatleben gehe ich Schweizern mittlerweile soweit es geht aus dem Weg, da die Erfahrungen überwiegend negativ sind. Viele der alltäglichen Dinge wie einkaufen, Renovationen, eine Haushaltshilfe finden, Altersvorsorge oder auch rassistische Ärzte und Pflegepersonal erschweren einem den Alltag grundlos, vor allem im Alter. Man muss sich abgrenzen lernen. Immerhin hassen die deutschschweizer Rassisten von Blochers Gnaden ja auch die Welschen. die Bündner und die Tessiner und sind somit gar keine Patrioten, da sie nur ihre engstirnige Definition einer Schweizer Identität tolerieren… Alpabzug gut, Curry im Raclette (oha lätz!), braunhäutige Schweizer *falsch!*

Meinen Kindern sieht man das Asiatische kaum mehr an. Bald gehe ich in die Rente und wenn alles klappt, zurück nach Asien – samt Vermögen und rund 200 Arbeitsplätzen.

N. Aunyn

Ich hätte nicht gedacht, daß diese Form von Rassismus in der Schweiz so heftig ist. In den USA sind die Asian Americans die ethnische Gruppe, gegen die am meisten rassistische Straftaten verübt werden.

Kerstin Hasse

Danke für deinen Kommentar! Umso wichtiger ist es, dass wir auch über Rassismus in der Schweiz reden.

My Linh

Vielen Dank für den Artikel! Beim Lesen hatte ich mich gefühlt, als hätte ich den Artikel geschrieben, da es mir genauso geht und ich dieselben Erfahrungen gemacht habe , als Asiatin die in der Schweiz aufgewachsen ist.