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Vacation Anxiety: Warum mich meine Ferien stressen

Zeitgeist

Vacation Anxiety: Warum mich meine Ferien stressen

Der Stress vor den Ferien kann einem den ganzen Urlaub vermiesen, schreibt Co-Leiterin Digital Vanja Kadic. Warum Erholung immer wichtiger wird und wir unsere freien Tage ohne schlechtes Gewissen geniessen sollten.

Der Regen der vergangenen Wochen kam mir gerade recht. Ohne schlechtes Gewissen, wertvolle Sonnenstunden in der Frauenbadi zu verpassen, bastelte ich auf meinem Sofa an der Google-Karte für meine anstehenden USA-Ferien. New Orleans, Memphis, New York – rund zwei Wochen lang bin ich unterwegs und freue mich, mit jedem Restaurant- oder Museumstipp, den ich auf die Karte eintrage, mehr darauf. Doch da ist noch ein Gefühl, das sich in der Magengrube immer breiter macht, je näher meine Ferien rücken: purer Stress.

Während Menschen mit Kindern vielleicht der Gedanke an einen zehnstündigen Flug mit einem Dreijährigen die Pumpe gehen lässt oder andere hoffen, sich nach der Ankunft am Ferienziel nicht wieder gleich mit dem oder der Partner:in zu streiten, stresst mich vor allem die korrekte Übergabe im Job. Und, schon jetzt, das Danach, wenn alles vorbei ist.

Zu viel gibt es noch zu erledigen

Beim Blick in meinen Terminkalender fühlt sich der Weg zu Beignets an der Bourbon Street und Pizza Slices im Greenwich Village plötzlich ganz schön holprig und lang an. Zu viel gibt es noch zu erledigen, an zu viele Dinge sollte ich noch denken. Und schon bevor ich überhaupt verreise, denke ich an mein Mailpostfach, das sich in meiner Abwesenheit prall füllen wird. Und ich hasse es, schon jetzt darüber nachzudenken.

Ich wünschte, ich könnte achtsamer sein und einfach im Moment leben, statt mir bereits Gedanken über die Zukunft zu machen – die ja übrigens meist eh gar nicht so schlimm ist wie in der eigenen Vorstellung. Zu viele Ferien habe ich mir selbst schon so verdorben: Mehr als einmal bodigte mich der Vor-Ferien-Stress dermassen, dass ich die freien Tage vor lauter Gedanken an die Arbeit überhaupt nicht geniessen konnte. So sass ich schon missmutig grübelnd am Strand in Tel Aviv oder abgekämpft in einem Bistro in Paris – und gebracht hat die Gedankenspirale: gar nichts.

Ein Phänomen unserer Leistungsgesellschaft

Obwohl ich das Glück habe, einen Arbeitsort zu haben, an dem Erholung als genauso wichtig empfunden wird wie die Arbeit, und obwohl ich weiss, dass in meinem Team auch während meiner Abwesenheit alles gut läuft, beschleicht mich nun wieder die «Vacation Anxiety» – also die Nervosität und der Stress, die mit Ferien einhergehen.

Ein absolutes Luxusproblem, ich weiss. Aber durchaus ein Phänomen unserer Leistungsgesellschaft, das mich zum Nachdenken bringt. Und vor allem das Phänomen einer Zeit, in der wir konstant erreichbar sind und in der die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben je nach Job immer mehr verschwimmen, wenn wir nicht darauf achten, dass sie es nicht tun.

Am Arbeitsplatz fallen so viele Schweizer:innen aus wie noch nie

Wir sprechen so oft von Work-Life-Balance, die mir, zumindest im Alltag, mal mehr, mal weniger gut gelingt. In den Ferien fällt mir das Abstellen aber, zumindest am Anfang, schwerer. Als müsste ich ein schlechtes Gewissen haben, weil ich nicht arbeite. «Wie in einem Spiegelkabinett können Ängste es plötzlich so wirken lassen, dass sich das Einsteigen in ein Flugzeug so anfühlt, als würde man seine Karriere auf dem Rollfeld zurücklassen», heisst es in einem Artikel zum Thema von «The Cut» treffenderweise.

Dabei ist Erholung so wichtig. Abzuschalten ist kein Luxusgut, das man sich mal gönnen kann, sondern essenziell. Die eigenen Ressourcen sollte man nachhaltig verwalten – niemand anderes wird es für einen tun. Denn sind diese erst einmal aufgebraucht, kann der Weg der Rehabilitation lang sein. Das zeigen auch aktuelle Zahlen: Am Arbeitsplatz fallen derzeit so viele Schweizer:innen aus wie noch nie, wie die «Sonntagszeitung» berichtete.

Beruf als ungesunder Stressfaktor

Die durchschnittliche Absenzdauer am Arbeitsplatz stieg von 6,5 auf 6,9 Tage in den Jahren vor der Pandemie, auf 7,8 Tage in den Jahren 2020 und 2021 und schliesslich auf 9,3 Tage im vergangenen Jahr. Ein Grund dafür sei der Anstieg der psychischen Erkrankungen. Gemäss einer Gesundheitsstudie der Krankenkasse CSS sei die psychische Situation besonders bei jungen Erwachsenen «besorgniserregend».

Während bei den über 65-Jährigen nur gerade acht Prozent angeben, je aufgrund von psychischen Problemen der Arbeit ferngeblieben zu sein, sind es bei den 18- bis 35-Jährigen 44 Prozent. Bei Letzteren nimmt mehr als die Hälfte (!) ihren Beruf als ungesunden Stressfaktor wahr.

Der Mental Load verschwindet nicht

Ein Stressfaktor in den Ferien ist für mich das Wissen, dass der Mental Load des Alltags ja nicht magischerweise plötzlich über Nacht verschwindet. Ehe man sichs versieht, sitzt man nicht mehr mit einem Cocktail an der Amalfiküste oder beim Fondue in Arosa, sondern wieder in den eigenen vier Wänden. Und da warten unerledigte Tasks wie das Telefonat mit der Steuerberaterin oder der Termin mit dem Handwerker, den man auf nach den Ferien verschoben hat.

Dazu kommt der Druck, dass man in den Ferien natürlich jede Minute geniessen sollte und sich gleichzeitig möglichst gut erholen will. Und schneller als einem lieb ist, ist alles, worauf man sich Monate gefreut und für das man unter Umständen viel Geld investiert hat, bereits vorbei.

@drjudithjoseph Adjustment Disorder with Anxiety is a condition that happens when people have emotional and psychological reactions to sudden life changes. In my practice, I see this happening when people leave for vacation and sudden changes in time zones and surroundings causes both anxiety and excitement. Simple modifications in morning routine and behaviors can be beneficial for combating this adjustment anxiety. Disclaimer: You may want to consider diagnosis and treatment of symptoms with a licensed medical professional. This page is not medical advice. #anxiety #adjustmentdisorder #vacationanxiety #theholidays #psychiatry ♬ Golden - Harry Styles

Ich glaube, dass viele den Stress vor, während und nach den Ferien kennen. Doch wie geht man damit um? In meinem Umfeld gibt es verschiedene Ansichten und Ideen, was man machen kann: Mails auf keinen Fall lesen, Mails einmal am Tag lesen (um zu merken, dass sich die Welt weiterdreht, auch wenn man nicht im Büro ist), arbeitsrelevante Apps auf dem Handy löschen … Die Liste der Tipps ist endlos.

Vielleicht hilft die Fade-in-Phase

Ich für meinen Teil habe entschieden, dass ich auf Grübeln in den Ferien in etwa so viel Lust habe wie auf einen verlorenen Koffer oder einen geklauten Pass. Statt mich also bereits jetzt vor dem Stimmungstief des Post-Holiday-Syndroms zu fürchten, probiere ich dieses Mal einige der Tipps aus, die ich so aufgeschnappt habe.

Helfen soll zum Beispiel auch, dass ich möglichst nichts auf nach den Ferien verschiebe, damit mich nicht direkt eine lange To-do-Liste erwartet. Ausserdem: eine Fade-in-Phase, die ich eingeplant habe, also ein paar freie Tage vor dem Abflug, in denen ich mich in Ruhe aufs Packen und die restliche Ferienplanung konzentrieren kann. Obs klappt, werden wir sehen. Ich hoffe, die freie Zeit geniessen zu können – und zwar mit so wenig Druck wie möglich. Dafür mit umso mehr Beignets und Pizza Slices.

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Michael Mayr

Ich erkenn mich wieder 😀 Auch der Tipp mit dem “einmal am Tag mails checken”. Bei mir funktioniert der wunderbar. Danach bin ich für den Rest des Tages entspannt.

Udo

Wer mir 3 Jährigen Kindern 10 Stunden in den Urlaub fliegt ist dämlich. Das sucht man sich was in der Nähe und hat viel Spaß mit dem Kind……