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Wie ist es eigentlich, seine eigene Trauerfeier zu erleben?

Zeitgeist

Wie ist es eigentlich, seine eigene Trauerfeier zu erleben?

Roland Rödermund (43) erzählt uns von seinen Erfahrungen.

Ich fühle mich alles andere als leblos. Gefühle rasen wie Schnellzüge durch mich – Panik, Wut, Freude, Scham. Aber gut, hier und heute geht es ja auch um nichts weniger als mein Leben: Ich wohne meiner eigenen Trauerfeier bei. Nicht wie Patrick Swayze in «Ghost – Nachricht von Sam», ich bin unversehrt. Und freiwillig hier. Das Ganze ist Teil der Performance «Sterben» des Kunst-Kollektivs Kaufmann/Witt in Hamburg. Und ich bin der Protagonist.

Seit vor vielen Jahren mein älterer Bruder starb, ist das Thema Tod ein ständiger Begleiter. Wenn ich auf meinem Rennrad sitze, wenn ich an meine betagten Eltern denke oder an Corona. Werde ich irgendwann allein sterben oder vor geliebten Menschen? Kommen viele zu meiner Beerdigung, soll ich mich im Wald verstreuen lassen? Überhaupt: Was bleibt von mir? Ich bin Anfang vierzig und liebe das Leben, trotz einiger Tücken. Als ich hörte, dass man im Kampnagel-Theater seine eigene Trauerfeier erleben kann, war ich Feuer und Flamme.

Trauern um Roland

Und jetzt sitze ich hier am Rand eines Podests mit Plastikpalmen, auf einer Art Thron, hinter mir steht ein sehr spaciger Altar mit pinkfarbigem Schriftbanner. Der Satz «Wir trauern um Roland» läuft da nonstop. Ich trage ein sandfarbenes Gewand und eine Kette aus goldenen Ringen – und muss weinen. Lampenfieber habe ich nicht, es fühlt sich komischerweise völlig natürlich an, auf einer Bühne zu stehen. Ich bin ganz ruhig – und absolut aufgekratzt.

Vielleicht ist es auch ein bisschen so, wenn man wirklich stirbt? Die sechs Performer:innen tragen helle Kaftane, schauen mich immer wieder bedeutungsschwer an, dazu ein sphärischer Klangteppich. Über ihnen: Die Köpfe der Zuschauenden auf grossen Monitoren, sie trauern digital via Zoom. Drei meiner engsten Menschen schauen auch zu, werden ein paar Sätze sagen. Was sie mit mir verbinden, wie unser gemeinsames Leben ist.

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«Ich bin ganz ruhig – und absolut aufgekratzt. Vielleicht ist es auch ein bisschen so, wenn man wirklich stirbt?»

All das ist sehr tiefgründig – und gleichzeitig ein pathetisch-psychedelischer Mix aus Séance und Vorstandssitzung einer Geheimsekte. Streng und durchritualisiert, gleichzeitig urkomisch. Einige Wochen zuvor wurde ich interviewt, das Ergebnis gibt es jetzt, in Form einer eindringlich vorgetragenen Trauerrede der Performerin Amanda Babaei Vieira.

Es geht um meine Vorlieben, den Wald, das Verhältnis zu meinen Eltern, aber auch meine Urängste wie die vor dem Alleinsein. Mir war gar nicht mehr klar, was für intime Sätze ich preisgegeben hatte! Die meisten aus dem Publikum kenne ich ja nicht. Aber: Jetzt ist wirklich alles egal. Ich habe nichts zu verlieren, gebe mich meinen Tränen hin, ich spüre förmlich, wie sich Blockaden lösen.

Die ultimative Feier des Lebens

Jede:r aus dem Team tritt an mich heran, legt eine Blume ab und sagt mir, was ihn oder sie an meinen Geschichten berührt hat. Dann verfallen sie in lautes Wehklagen, immer wieder fallen die Sätze «Du wirst sterben!», «Wir alle werden sterben!».

Als mein Wunschsong «Heroes» erklingt, aber in der luftig-leichten Version von Stereo Total, deren Sängerin Florence Cactus erst vor Kurzem verstorben ist, tanze ich – als würde niemand zuschauen. Das hier ist die ultimative Feier des Moments, des Lebens. Durch mein Kopfkino rauscht ein «Best of» der Momente meines Lebens. Tanzend sterben, das wärs.

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