
Explodierende Weltbevölkerung, Treibhausgase, Ressourcenausbeutung: Kinder könne man trotzdem nicht als Ökosünde bezeichnen, schreibt Redaktorin Stephanie Hess.
«Ein Kind ist das Schlimmste, was man der Umwelt antun kann», schreibt Verena Brunschweiger, deutsche Autorin und sogenannte Antinatalistin, also Vertreterin der freiwilligen Kinderlosigkeit. Eine Haltung, die nach zahlreichen Medienberichten mehr und mehr junge, klimabewusste Menschen teilen. Die Rechnung scheint einfach: Jedes Kind verursacht in seinem Leben zig schädliche Treibhausgase, lässt die sowieso schon explodierende Weltbevölkerung zusätzlich ansteigen, beutet die Ressourcen weiter aus.
Gestützt wird das alles durch eine viel beachtete schwedische Studie aus dem Jahr 2017, die besagt, dass sich jährlich 58,6 Tonnen CO2-Emissionen einsparen liessen durch jedes Kind, das nicht geboren wird. Zum Vergleich: Bei einem Leben ohne Auto kommt die Studie auf ein Einsparpotenzial von 2,4 Tonnen. Sind also keine Kinder die Zukunft?
Bei mir löst diese Gleichung grosses Unbehagen aus: Haben wir, bloss weil wir zufällig schon vorher da waren, das Recht, CO2 in die Luft zu blasen – und jene, die nach uns kommen, nicht einmal mehr das Recht, überhaupt zu existieren, nur weil wir gern weiterhin SUV fahren und in den kalten Wintermonaten in die Karibik fliegen wollen? Man muss erwähnen, dass besagte Studie inzwischen kritisch beleuchtet wurde; die Zahlen stimmen im Verhältnis nicht wirklich. So wurde unter anderem nicht berücksichtigt, dass ein Kind in den ersten Jahren seines Lebens kaum CO2 verursacht.
«Haben wir, bloss weil wir zufällig schon vorher da waren, das Recht, CO2 in die Luft zu blasen?»
Gleichwohl ist es mit Blick auf den Zustand der Erde keine schlechte Idee, sich aus freien Stücken gegen eigene Kinder zu entscheiden. Oder auch nur schon gegen ein weiteres Kind. Ein tragender Ansatz im Kampf gegen den Klimawandel oder ein an junge Menschen gerichteter Appell darf daraus aber nicht erwachsen.
Nicht nur, weil das ethisch komplett problematisch wäre und im Übrigen auch gegen die Menschenrechte verstossen würde. Sondern auch deswegen, weil Kinder die Zukunftsdimension für uns überhaupt erst erschliessen. Denn was bedeutet schon das Jahr 2050 für mich heute, wenn ich mir nicht vergegenwärtige, dass meine und mit ihnen Millionen andere Kinder dann ungefähr so alt sind, wie ich es heute bin?
Unsere Kinder sind der wichtigste Grund überhaupt, weshalb wir uns bewegen und handeln müssen. Denn heute sind nicht sie das grösste Übel für die Umwelt, wir sind es.
Es ist natürlich Unsinn, für ungeborene Kinder so etwas wie Menschenrechte einfordern zu wollen, wie Frau Hess tut. Geborenen Kindern kommen diese selbstverständlich zu, aber ungeborene Kinder gibt es einfach noch nicht. Ich bin meinen eigenen Kindern gegenüber verantwortlich, aber habe keine Verantwortlichkeit gegenüber den Kindern, die ich eventuell hätte haben können (mit anderen Frauen, zu anderen Zeiten). Der Ethik fehlt schlicht das Objekt.