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Soraya (18):

Soraya (18): "Ich sehe viel gegenseitigen Support unter Frauen"

Zum 8. März haben wir mit drei jungen Frauen aus der Schweiz über das Frausein gesprochen. Heute mit Soraya, 18, aus der Region St. Gallen.

annabelle: Soraya, was beschäftigt dich gerade?
Soraya: Momentan vor allem die Arbeit. Ich mache eine KV-Ausbildung mit Schwerpunkt Hotellerie und Gastronomie und arbeite an der Rezeption eines Hotels. Durch die Schichtarbeit und Wochenenddienste bleibt viel zu wenig Zeit für meine Liebsten. Auch meine Leidenschaft, das Reiten, kommt oft zu kurz. Ich muss viele Verabredungen absagen und habe das Gefühl, andere verstehen das nicht. Ständig fürchte ich, jemanden zu enttäuschen. Manchmal habe ich nicht mal Zeit für mich selbst. Ich mag den Job sehr, aber im Moment ist es einfach stressig.

Kannst du sagen, wann du dich das letzte Mal über etwas geärgert hast, das frauenspezifisch war?
Das ständige Vergleichen, gerade unter Frauen. Das beginnt schon in jungen Jahren. Ich sehe es an den Freundinnen meiner Brüder, die zwölf und vierzehn sind und sich extrem mit anderen messen – wer hübscher ist, wer die bessere Figur hat. Das schockiert mich, die sind noch so jung und sollen doch einfach unbeschwert ihr Leben leben. Gleichzeitig tappe ich in dieselbe Falle.

Inwiefern?
Wenn ich durch Instagram scrolle, frage ich mich manchmal auch, warum ich nicht so aussehe oder nicht mehr erreicht habe. Gerade in Zeiten von KI, wo wir ohnehin nicht mehr wissen, was wie bearbeitet ist, ärgere ich mich über mich selbst, was mache ich mir einen solchen Druck? Meine Brüder haben das gar nicht, denen ist total egal, wie sie aussehen.

Gibt es für dich prominente Vorbilder?
Momentan eigentlich nicht so, aber ich bewundere meine Grossmutter. Sie hat so viel für ihre Familie getan und immer gekämpft. Sie hat gearbeitet, sich alleinerziehend um ihre sechs Kinder gekümmert und nie aufgegeben. Sie ist für mich eine unglaublich starke Frau. Wenn ich an Vorbilder denke, dann an Frauen wie sie.

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"Es gibt immer noch viele, die meinen, die Frau sei für die Kinder da"

Hast du dich jemals benachteiligt gefühlt, weil du eine Frau bist?
Nein. Aber ich sehe, dass es nicht überall so ist. In der Schule war es normal, dass Mädchen nach ihrem Aussehen beurteilt wurden. Auch bei der Berufswahl gibt es viele Stereotypen: Handwerkliche Berufe? Für Männer. Beauty- und Pflegeberufe? Für Frauen. Und wenn sich dann mal ein Mann dafür interessiert, Coiffeur zu werden, heisst es gleich: "Der steht sicher auf Männer." Zuhause bei mir spielt Geschlecht keine Rolle. Und auch nicht, wen man liebt – ob Mann oder Frau –, das ist egal. Hauptsache, man ist glücklich.

Fühlst du dich in der Schweiz als Frau gleichgestellt?
Ja, absolut. Mehr als Geschlechterunterschiede fällt die Herkunft ins Gewicht. Auch in der Hotellerie besteht von der Reinigungskraft bis zum CEO eine riesige Hierarchie, wobei die Führungsebene die Schweizer:innen sind, während das Reinigungspersonal oft aus anderen Ländern kommt und nicht gerade die besten Aufstiegschancen zu haben scheint.

Trotzdem die Frage: Was müsste sich in der Schweiz hinsichtlich Frauenrechten ändern?
Es gibt immer noch viele, die meinen, die Frau sei für die Kinder da, habe für ein sauberes Zuhause zu sorgen, und der Mann bringt das Geld nach Hause. Aber es gibt so viele Frauen, die mehr Potenzial haben. Warum kann nicht mal der Mann zuhause bleiben und die Frau Karriere machen? Und warum darf ein Mann nicht mit einem einfachen Job zufrieden sein und wird immer gemessen an den anderen? Wer lieber zuhause bleibt, soll zuhause bleiben können und wer Karriere machen will, dem soll das freistehen.

Waren Frauenrechte und der 8. März bei euch je Thema in der Schule?
Nein.

Gibt es etwas, das du dir im Unterricht gewünscht hättest?
Im Sexualkundeunterricht wurden wir nach Geschlechtern getrennt. Einerseits gut, weil man offener sprechen konnte. Andererseits schade, weil Jungs nichts über den weiblichen Körper lernten – und umgekehrt. Ich finde, Männer sollten wissen, dass Frauen Schmerzen haben, wenn sie ihre Tage bekommen und wie eine Binde aussieht. Wer keine Schwestern hat, bekommt das vielleicht gar nicht aktiv mit, weiss vielleicht nicht mal, dass die Mens monatlich kommt. Wenn immer alles tabuisiert bleibt, macht es das für die Mädchen auch schwieriger, unbefangen über ihre Tage zu sprechen.

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"Ich unterstütze jede Frau, aber ich gehe nicht auf Demos"

Wie erlebst du gleichaltrige Männer? Wie stehen die zu Feminismus, Gleichstellung, Wertschätzung?
Ich würde sagen, dass Männer in meinem Alter noch etwas hinterherhinken, was das Thema Gleichstellung angeht. Generell gibt es eine grosse Bandbreite, stark abhängig, wie jemand zuhause erzogen wurde. Mein bester Freund zum Beispiel ist total reif, der ist aber auch schon 21 und hat eine Mutter, die ihm viel beigebracht hat. Aber es gibt auch Männer, die sagen: "Die Frau muss gehorchen. Wenn ich will, dann muss sie auch wollen." Beides existiert.

Hast du das Gefühl, dass beim Dating Konsens und Gleichstellung angekommen sind oder kommt es nach wie vor zu heiklen Situationen?
Meine Freundinnen und ich haben alle schon doofe Sachen erlebt. Auch wenn man dreimal "Nein" sagt, hören die Männer einfach nicht auf und versuchen ständig, einen zu überreden, dass mehr geht. Ich kenne Fälle, wo Freundinnen geküsst wurden, obwohl sie noch nicht bereit waren. Viele Frauen geben dann nach, weil es ja "nur ein Kuss" ist – aber eigentlich wollten sie es nicht. Und dann fühlt es sich an, als hätte man seine eigenen Grenzen nicht verteidigt. Aber wenn dein Gegenüber grösser und kräftiger ist, ist es nicht so leicht, Nein zu sagen. Es wäre so viel einfacher, wenn Männer einfach mal vorher aktiv fragen würden, ob es okay ist.

Würdest du dich als Feministin bezeichnen?
Schwierig. Ich bin einfach für Gleichberechtigung. Es soll niemand bevorzugt oder benachteiligt werden. Die Frage nach dem Feminismus muss auch nicht immer im Mittelpunkt stehen. Es sollen sich einfach alle respektvoll verhalten. Die Männer sollen nicht jede Frau anmachen und Frauen nicht verallgemeinernd sagen, alle Männer seien schlecht und behandeln die Frauen schlecht. Das ist einfach nicht wahr. Ich sehe es ja zum Beispiel an meinen Eltern: Nicht jeder Mann ist so. Meine Eltern arbeiten beide 100 Prozent und kümmern sich auch beide um uns vier Kinder.

Würdest du dich als aktivistisch bezeichnen?
Ich unterstütze jede Frau, aber ich gehe nicht auf Demos. Mich schüchtert es auch einfach ein, wenn mir nach der Arbeit Hunderte Frauen schreiend entgegenkommen. Und wenn dann auch noch Tramlinien gestoppt werden und sich alle nur aufregen, frage ich mich: Was bringt das wirklich? Ich habe das Gefühl, dass Demos am Schluss nicht so eine grosse Wirkung haben. Die, die entscheiden, entscheiden sowieso so, wie sie wollen.

"Wir können Anwältinnen sein, Ärztinnen – das ist doch schon viel"

Wie erlebst du Solidarität unter Frauen?
Ich sehe sehr viel gegenseitigen Support. Sei es durch kleine Komplimente im Alltag, Unterstützung unter Freundinnen oder im Ausgang – auf dem Mädchenklo hilft man sich, richtet das Outfit, teilt Lippenstift. Auch in sozialen Medien gibt es viel Bestärkung, auch für Frauen mit Behinderungen. Ich habe das Gefühl, unsere Generation hat grosse Fortschritte gemacht, wenn es um weibliche Solidarität geht.

Und wie steht es um die Solidarität der Männer mit Frauen?
Ich finde schon, dass die da ist. Etwa wenn es darum geht, bei einer Autopanne zu helfen – vielleicht auch, weil das eine top Gelegenheit ist, seine Männlichkeit beweisen zu können. Auch habe ich schon mehrmals im Ausgang erlebt, dass jemand eingegriffen hat, wenn eine Frau belästigt wurde und dem aufdringlichen Typen deutlich gesagt hat, dass jetzt Schluss ist. Das bringt viel mehr, als wenn eine Freundin dazukommt – wenn ein Mann sagt "Jetzt ist Schluss", gibt der andere sofort Ruh.

Was gibt dir Hoffnung für die Zukunft?
Auch wenn die Jüngeren oft als "iPad-Kids" bezeichnet werden – sie sind in vielen Dingen viel toleranter, etwa wenn es um gleichgeschlechtliche Partnerschaften geht. Da habe ich schon Hoffnung, dass sich das alles noch weiterentwickelt.

Wie siehst du die ältere Generation?
Wenn ich mir im Geschichtsunterricht anhöre, was Frauen früher nicht durften – nicht mal zur Schule gehen, nicht arbeiten – dann denke ich mir schon: Wow, wir haben echt viel geschafft. Heute haben wir Frauen im Bundesrat. Wir können Anwältinnen sein, Ärztinnen – das ist doch schon viel. Ich bin dankbar für das, was Frauen vor meiner Generation erkämpft haben. Sie haben den Grundstein gelegt, auf dem wir heute aufbauen können.

Wie und wo siehst du dich selbst mit 40?
An einem Tag sehe ich mich mit Kindern, mal mit Mann, mal ohne. Am nächsten Tag sehe ich mich als erfolgreiche Frau – ohne Kinder. Das ist ganz tagesformabhängig.

Der International Women's Day am 8. März findet 2025 unter dem Motto "For ALL Women and Girls: Rights. Equality. Empowerment." statt und richtet das Augenmerk besonders auf die Ermächtigung der jungen Generation.

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