Schlechtes Erlebnis im Restaurant, Shop oder Hair Salon? Zack, schreiben wir eine vernichtende Online-Bewertung. Doch das liesse sich auch anders lösen, schreibt unsere Autorin Michèle Roten.
Ich bin Konsumentin. Ich kaufe in Läden ein, esse in Restaurants, lasse mir in Salons die Haare schneiden. Ich wurde schon unfreundlich behandelt, lange warten gelassen, schrecklich frisiert. All das hat mich zwar geärgert, aber – nun ja, kann halt passieren.
Ich bin aber auch Mit-Inhaberin eines Ladens. Und muss mich deshalb damit auseinandersetzen, dass es Menschen gibt, die eine andere Art haben, mit suboptimalen Konsum-Erlebnissen umzugehen: Sie schreiben Google-Rezensionen. Liest man einige der schlimmsten Bewertungen, könnte man meinen, das Konzept unseres Shops bestehe darin, die hässlichsten, kaputtesten, dreckigsten Stücke aus der Altkleidersammlung zu picken, sie wahnsinnig teuer anzuschreiben und alle, die in den Shop kommen, wenn nicht zu bespucken, dann wenigstens zu ignorieren.
Tatsächlich ist es ein Secondhand-Laden mit Direktankauf von Privatpersonen. Wir wählen die Stücke sorgfältig aus; ein gewisses Frustrationspotenzial liegt also in der Natur der Sache. Unsere Mitarbeitenden stellen wir ein, weil sie Ahnung haben, freundlich und hilfsbereit sind – aber natürlich gibt es Interaktionen, die unglücklich verlaufen, es gibt Missverständnisse, Fehlentscheidungen und schlechte Tage. Aber, Achtung: Auf beiden Seiten des Tresens.
Ihre Einseitigkeit ist es, die mich an Online-Rezensionen so stört. Während Kund:innen mit ein paar Klicks und nicht wirklich salomonisch-ausgewogenen Sätzen ihrem Unmut Luft machen und einen ganzen Laden plus darin arbeitende Menschen aburteilen können, sitzen diese da – plattgemacht und schachmatt.
«Niemand befiehlt, niemand ist König, wir sind alle nur Menschen, die interagieren»
Ich denke, niemand ist überrascht, wenn ich mal kurz den Scheinwerfer umschwenke und festhalte: Kund:innen können sich durchaus auch ziemlich daneben benehmen. Glaubt mir, alle Dienstleistenden wünschen sich manchmal, auch euch vermittels Sternchen die Meinung sagen zu können. Aber Rezensionen sind nun mal das alleinige Machtmittel von König Kunde.
Und der gehört endlich gestürzt. Diese Monarchie zementiert unser eh schon viel zu präsentes kapitalistisches Wertesystem von «wer zahlt, befiehlt». Niemand befiehlt, niemand ist König, wir sind alle nur Menschen, die interagieren. Zu einer Interaktion gehören zwei und es ist schlicht unfair, nur einer Partei das Werkzeug der öffentlichen Bewertung in die Hand zu geben.
Wäre also das die Lösung? Gleich lange Spiesse, alle bewerten alle? Diese Vorstellung wird in der Sci-Fi-Serie «Black Mirror» abgehandelt («Nosedive», Staffel 3, Episode 1) und endet in einer schrecklich beklemmenden Dystopie, in der der Wert eines Menschen von der Höhe seiner Gesamtbewertung abhängig gemacht wird.
Nein, ich plädiere dafür, analog mit Unzufriedenheit umzugehen. Ihr findet einen Laden grundsätzlich kacke? Geht nicht mehr hin. Das Essen ist versalzen? Sprecht die Angestellten (freundlich!) darauf an. Ihr fühlt euch wiederholt schlecht behandelt? Steckt es den Chef:innen, die sind extrem daran interessiert, so etwas zu erfahren.
Und was ist eigentlich mit den guten Bewertungen? Die kommen interessanterweise meist mündlich. Davon haben wir leider nichts – zumindest im Sternchen-Universum. In der realen Welt hingegen bedeuten sie uns alles.