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Zum Muttertag: Woher stammen eigentlich «Deine Mutter»-Witze?

Zeitgeist

Zum Muttertag: Woher stammen eigentlich «Deine Mutter»-Witze?

Kein böser Spruch eignet sich so vortrefflich als Demütigung wie die Beleidigung der Mutter. Warum eigentlich?

Ob auf Tiktok, Pausenplatz oder hinter Gefängnismauern: «Deine Mutter»-Sprüche sind schwer angesagt. Nichts scheint sich prächtiger zu eignen, um das Gegenüber zu beleidigen – oder aber die Runde zu provozieren und zum Lachen zu bringen. Das funktioniert deshalb besonders gut, weil die Mutter als was Heiliges gilt, als quasi unantastbar. Und dies universell.

Mütterwitze sind ein wenig wie Fäkalwitze: Sie gehören sich eigentlich nicht. Nur ist bei ihnen der Tabubruch noch grösser wegen der unvergleichlichen emotionalen Komponente, die in der Natur der Bindung des Kindes, speziell des Sohnes, zu seiner Mutter liegt.

Gemäss den Herausgeber:innen von «Routledge Falmer Reader in Gender & Education» werden speziell Mütter und nicht Väter als Beleidigungselement genutzt, «um herauszufinden, welche assoziative Verbindung junge Männer mit der Weiblichkeit haben und um ihre Verletzlichkeit offenzulegen».

Die Mutter: die erste Liebe im Leben eines Mannes, die es zu beschützen gilt. Und eine Frage der Ehre, aber auch die gemäss gesellschaftlicher Normen angesehene Notwendigkeit, seine Männlichkeit quasi in ihrem Antlitz zu beweisen.

Abgezielt auf mütterliche Promiskuität

«Maternal Insult», also die Beleidigung beziehungsweise Beschuldigung der Mutter, boomt bereits seit Jahrtausenden. Genauer: seit mindestens 1500 vor Christus. Der niederländische Archäologe Jan van Dijk entdeckte 1976 bei einer Ausgrabung im heutigen Irak eine alte babylonische Tafel mit sechs eingemeisselten Flüchen.

Darunter auch der folgende: «… Deine Mutter ist bei dem, der mit ihr Geschlechtsverkehr hat. Was/wer ist es?» Dieser Fluch – wenngleich aus heutiger Sicht sprachlich durchaus ausbaufähig –, ist ein Paradebeispiel dafür, was die Struktur von «Deine Mutter»-Sprüchen angeht. Deren Urform ist sexueller Natur und zielt auf die mütterliche Promiskuität ab.

Wenig überraschend finden sich auch in der Bibel entsprechende Passagen, etwa das Wortgefecht zwischen Joram, König der Isaraeliten, und seinem Feldherren Jehu, Vers 2 Könige 9:22: «Was Friede? Deiner Mutter Isebel Abgötterei und Zauberei wird immer grösser.» Hurerei und Hexerei der Königsmutter dienten hier gar als probates Mordmotiv, damals allerdings noch dem Provokateur.

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So lange wie die Gesellschaft noch das an die Jungfrau Maria angelehnte Ideal der mütterlichen Reinheit sowie die Freud’sche Trennung von romantischer Liebe und triebhafter Begierde propagiert, funktioniert eine solche Herabsetzung über das vermeintlich ungebändigte Sexualleben der Mutter bis heute wunderbar.

«Motherfucker» als Kosename

Edgar Gregersen von der Yale University kam 1979 in einer kulturübergreifenden Studie von Beleidigungen in 103 Sprachen zum Ergebnis: In zwei Dritteln geht es bei den beleidigendsten Sprüchen um Mütter. Besonders wirksam, wenn diese implizieren, dass die Vaterschaft nicht eindeutig geklärt ist. Wer die Mutter zur Hure macht, kann sich sicher sein, in einem Schlag auch noch den dazugehörigen Ehemann zum Gehörnten zu machen – und die Kinder zu «Bastarden».

Naheliegend, dass aus der einseitigen Beleidigung der Mutter sich das bis heute gängige «Motherfucker» entwickelte. Das Oxford English Dictionary nahm sowohl «motherfucker» als auch «motherfucking» im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert ins Repertoire auf, was die Relevanz der beiden Begriffe bereits im damaligen Alltagssprachgebrauch belegt.

Bis Ende des Zweiten Weltkriegs fast nur beleidigend konnotiert, ist es heimkehrenden US-Soldaten in den 1950er-Jahren zu verdanken, dass der Ausdruck Mainstream wurde und neue Seiten anklangen. Miles Davis etwa war berühmt dafür, wertgeschätzte Kolleg:innen liebevoll «Motherfucker» zu nennen. Und auch wenn der amerikanische Komiker Lenny Bruce noch 1964 für dessen Verwendung verhaftet wurde, kam in seinem Prozess zur Sprache, dass «Motherfucker» unter Showleuten in Hollywood bereits damals als Kosename verwendet wurde.

Battle-Raps als Basis der «Deine Mutter»-Witze

Die humoristische Ebene der «Deine Mutter»-Witze wurzelt ebenfalls in den 1960er-Jahren, als die «Yo Mama»-Sprüche der sogenannten «The Dozens» aufkamen. Battle-Raps vor Publikum, die vor allem von männlichen Afroamerikanern ausgetragen wurden. Im Bestreben, sich durch immer absurdere Beleidigungen gegenseitig zu übertrumpfen, bergen solche sprachlichen Begriffshülsen durchaus kreatives Potenzial und machen die zielgerichtete Diffamierung zu etwas Abstraktem.

Hier geht es dann nicht mehr um reale Personen, also konkret um die leibliche Mutter, sondern um das soziokulturelle Konzept von Mutter. Der Musiksender MTV brachte 2006 gar eine eigene Show namens «Yo Momma» heraus, in der Rapstars wie Trash-Talker «Deine Mutter»-Witze zum Besten gaben.

Aus ebendiesem Schlagabtausch entwickelte sich ein Slang, der Mütter nun nicht nur als leicht zu haben abstempelt, sondern neue Felder der Herabsetzung erschloss: mangelnde Intelligenz, geringer sozialer Status und vor allem und immer wieder die «fette Mutter»: «Deine Mutter raspelt Kokosnüsse bei Bounty» – «Deine Mutter ist so arm, dass sogar die Enten sie mit Brot bewerfen.» – «Deine Mutter ist so fett, wenn sie Bungee-Jumping macht, landet sie in der Hölle.»

Nationale Unterscheidungen bei Beleidigungsart

Nicht zuletzt zeigen Millionen von Klicks auf Youtube und Tiktok, wie gefragt die Witze und auch die Beleidigungen auf Kosten von Müttern nach wie vor sind. Und dabei gibt es durchaus auch nationale Unterschiede. So sorgt etwa in China der Vergleich der Mutter mit einer Schildkröte für entsetztes Raunen, leben die Panzertierchen doch promisk. In Spanien reicht ein universales «Deine Mutter!», um je nach Situation als freundliche Begrüssung oder Fluch zu dienen.

Und im südosteuropäischen Raum wiederum, zum Beispiel in Kroatien, nimmt selbst ein Grosi zuweilen ein begeistert-überraschtes «Majku mu jebem» in den Mund, was soviel heisst wie «Ich ficke seine Mutter» – und dient, als wäre es ganz selbstverständlich, als Entrée eines völlig gewöhnlichen Satzes, etwa: «Majku mu jebem, dann stand er plötzlich mit Rosen da!» oder «Majku mu jebem, er hat mich angerufen!»

Wie bei so vielem im Leben macht der Ton die Musik. Frag deine Mutter.

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