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Hay-Gründerin Mette Hay: «An mich hat auch einmal jemand geglaubt»

Interior

Hay-Gründerin Mette Hay: «An mich hat auch einmal jemand geglaubt»

Mette Hay ist eine der erfolgreichsten Frauen der Designbranche. Ein Gespräch über demokratische Preise und die Essenz einer fruchtbaren Zusammenarbeit: den richtigen Vibe.

Während des Designfestivals 3 Days of Design strömen Liebhaber:innen skandinavischer Gestaltung ins Kopenhagener Hay House, als handle es sich um ihre Pilgerstätte. Mette Hay sitzt in einem verglasten Konferenzraum und lässt sich davon nicht ablenken; sie ruht förmlich in sich. Und erzählt, wie sie vor über zwanzig Jahren gemeinsam mit ihrem Mann Rolf die Möbelmarke Hay gründete.

Damals war sie erst 23 Jahre alt. Heute verantwortet sie als Kreativdirektorin die Accessoires des Hauses, das mit einem Jahresumsatz von rund 190 Millionen Franken zu den Schwergewichten der Möbelbranche zählt. Es ist das erste von zwei Gesprächen, ohne Aufnahmegerät oder Agenda. Mette Hay dreht das Handy um und ist ganz da, eigentlich hat sie nur 15 Minuten Zeit, am Ende wird es eine Dreiviertelstunde.

Das tatsächliche Interview findet drei Wochen später per Zoom-Call statt. Kontrastprogramm: Mette Hay weilt mit ihrer Familie in den Ferien in Apulien, leicht erkältet, aber nicht minder aufmerksam.

annabelle: Mette Hay, wir sprechen an Ihrem ersten Ferientag miteinander. Machen Sie eine Ausnahme oder läuft Hay parallel immer nebenher?
Mette Hay: Tatsächlich haben wir in den ersten zehn Jahren von Hay kaum Ferien gemacht, aber ganz generell sind wir gut darin, uns Auszeiten zu nehmen. Ich komme immer mit vielen Ideen aus den Ferien zurück, Probleme, die vor meiner Abreise gross schienen, sind plötzlich ganz klein. Es ist wichtig für die Kreativität, dass wir ab und an Pause machen. Allerdings stresst es mich auch nicht, in den Ferien eine wichtige Frage zu beantworten, wenn jemand im Büro mich braucht.

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«Es ist wichtig für die Kreativität, dass wir ab und an Pause machen»

Sie mussten erst lernen, wie man Pause macht?
In der Anfangszeit eines Unternehmens gibt es niemanden, die oder der die Arbeit für dich erledigt, wenn du weg bist. Man hat das Gefühl, immer Vollgas geben zu müssen. Ich habe direkt nach der Geburt meiner Kinder weitergearbeitet. Heute können wir Verantwortung abgeben. Rolf konzentriert sich auf die Entwicklung neuer Möbel und Leuchten, ich mich auf unsere Accessoires. Die Zeit, in der wir uns auch um Dinge wie Sales oder die Buchhaltung gekümmert haben, ist vorbei.

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Sie haben mir erzählt, dass Sie besonders auf die Arbeitskultur bei Hay stolz sind.
Ja, und ich denke, Rolf würde dasselbe sagen. Wir merken, dass unsere Mitarbeitenden eine starke Beziehung zueinander haben – neulich feierte eine Kollegin aus dem Vertrieb ihr 10-Jahre-Jubiläum und ihr Team erschien als Überraschung in ihrer Lieblingsfarbe zur Arbeit. Das passiert von Herzen und nicht, weil eine Führungskraft so etwas verlangt.

Wie ist Ihnen das gelungen?
Der Lebenslauf einer Person ist für uns nicht allein entscheidend – wenn wir sie mögen und das Gefühl haben, dass es passt, dann probieren wir es mit ihr. Ich habe nie Business studiert. Rolf auch nicht. Aber an mich hat auch einmal jemand geglaubt. Ich denke, wir haben diese Einstellung ins Unternehmen gebracht. In Dänemark lässt man den Kinderwagen oft vor der Tür eines Geschäfts stehen, wenn das Baby schläft. Man geht rein, kauft ein, das Baby bleibt draussen im Wagen. Dieses Beispiel sagt viel über die dänische Kultur aus: Vertrauen ist ein Teil davon.

«Menschen, die gutes Design machen, sind oft auch gute Menschen»

Und bezüglich der Designer:innen, die für Hay entwerfen? Da arbeiten Sie bestimmt hin und wieder mit Menschen, die Sie nicht so mögen?
Ich glaube, dass Menschen, die gutes Design machen, oft auch gute Menschen sind. (lacht) Ich habe wirklich noch nie ein schönes Objekt von jemandem gesehen, die oder der nicht nett ist. Als ich Laila Gohar (eine New Yorker Künstlerin und Köchin, Anm. d. Red.) bat, ein Produkt für uns zu entwerfen, verneinte sie, weil sie keine Designerin sei. Ich hielt dagegen – so begann unsere Kollaboration. Ich hatte einfach ein gutes Gefühl.

Marken wie H&M und Zara haben längst eigene Home-Brands lanciert. Sind die ernstzunehmende Konkurrenz für Sie?
Inwiefern man von waschechter Konkurrenz sprechen kann, kommt natürlich auf die Produktkategorie an. Grundsätzlich nehmen wir sie aber ernst. Es gibt ganz generell mehr Konkurrenz heute. Als wir Hay gründeten, wollten wir die Lücke zwischen Ikea und den sehr teuren italienischen Brands füllen. Wir wollten erschwingliche Produkte mit den besten Designer:innen der Welt in bestmöglicher Qualität schaffen und neu denken, wie man preisgünstig produzieren kann. Das ist natürlich auch immer eine Frage des Materials: Wenn Sie einen Marmortisch herstellen möchten, wird er teuer sein, weil Marmor nun mal ein teures Material ist. Allerdings ist es auch nicht so, dass Hay billig ist. You pay for what you get.

Wer erschwingliches Design hört, geht schnell davon aus, dass dieses nicht nachhaltig hergestellt wird …
Unsere Kund:innen sind intelligente Menschen. Sie wollen, dass wir nachhaltige Produkte herstellen. Der Druck ist grösser geworden. Es braucht aber auch Zeit, eine Produktion umzustellen und neue Materialien zu testen. Wir wollen schliesslich keine Wegwerfprodukte auf den Markt bringen – ich hoffe wirklich, dass wir bei Hay Produkte produzieren, die nicht beim ersten Umzug im Müll landen. Wir haben auch viele Grossaufträge, also Kund:innen, die zweitausend Stühle für eine neue Kantine kaufen. Die interessieren sich noch detaillierter dafür, wie nachhaltig wir produzieren, als eine Person, die eine einzelne Vase kauft. Wir versuchen jeden Tag, besser zu werden, übrigens auch im Hinblick darauf, wieder lokaler zu produzieren.

«Wir wollen keine Wegwerfprodukte auf den Markt bringen»

Apropos lokal: Mit der dänischen Designerin Nina Nørgaard entwickelten Sie Champagnergläser, die limitierte Kollektion gab es nur in Dänemark. Wie entscheiden Sie, ob eine Kollektion international vertrieben wird?
Wir wollten die Gläser eigentlich in unser Sortiment aufnehmen, aber die Produktion war zu teuer und der Endpreis hätte nicht zu Hay gepasst – deshalb ist es bei einer limitierten Kollektion geblieben.

Nervt es Sie manchmal, dass Sie auf den Preis achten, auf ein Massenpublikum Rücksicht nehmen müssen?
Ganz im Gegenteil: Ein demokratischer Preispunkt ist einer der wichtigsten Aspekte der Arbeit von Hay, er ist fest in der DNA des Unternehmens verankert. Wir haben ihm bei der Gründung von Hay vor mehr als zwanzig Jahren Priorität eingeräumt und es ist bis heute unser Ziel, hochwertiges Design für ein möglichst breites Publikum zu schaffen.

Jetzt lancieren Sie erstmals Pyjamas. Warum Homewear?
Bettwäsche ist ein essenzieller Bestandteil der Hay-Kollektion geworden. Wir wollten ein Pyjama aus genau dem gleichen Stoff. Deshalb haben wir Tilde Bjerregaard kontaktiert. Ich habe sie bei einem Wettbewerb kennengelernt, bei dem ich in der Jury sass. Sie macht wirklich tolle Pyjamas, die man auch tagsüber tragen kann – sie hat ein sehr gutes Gespür für Passformen. Ich arbeite gern mit Menschen zusammen, die eine besondere Expertise in ihrem Bereich haben, eine, die ich selbst nicht habe.

Seit 2018 gehört Hay zu 33 Prozent, heute sogar zur Mehrheit dem US-amerikanischen Möbelhersteller Herman Miller. Was hat sich seitdem verändert?
Was viele nicht wissen: Uns gehörten auch vorher nicht alle Anteile. Unser Mitgründer Troels Holch Povlsen hat seine Prozente an das Unternehmen Herman Miller, das mittlerweile übrigens Miller Knoll heisst, verkauft. Natürlich haben sich trotzdem Dinge verändert. Ohne Herman Miller hätten wir nicht so leicht in den amerikanischen Markt eintreten können, einer der wichtigsten wachsenden Märkte für uns. Das Unternehmen hat wie wir eine starke familiäre Kultur. Die Menschen, die dort arbeiten, interessieren sich ernsthaft für Design. Und die Firma Herman Miller ist eng mit Charles und Ray Eames verbunden.

Ihre grössten Vorbilder.
Sie waren schon immer unsere Held:innen. Als Herman Miller uns vor einigen Jahren bat, neue Farbvarianten für die Eames-Kollektion zu entwickeln, war das eine wirklich grosse Sache für Rolf und mich. Alle Menschen, die die Eames’ kannten, sprechen so herzlich über sie.

Die Eames’ waren das Designpaar ihres Jahrhunderts – und Ray eine der wenigen Frauen des Midcentury-Designs. Hat ihre Arbeit Sie beeinflusst?
Ich liebe die Arbeit von Ray, ihre Ästhetik, ihre Farben und alles, was sie gemacht hat. Als ich zusammen mit ihren Enkelkindern Lucia Dewey Atwood und Eames Demetrios das Haus der Eames’ in Kalifornien besuchte, verstand ich ihre Welt noch besser. All diese Fundstücke und Schätze in ihrem Haus zu sehen, war für mich etwas ganz Besonderes. Da waren kleine, heruntergebrannte Kerzen in genau den richtigen Farben, auf eine waren kleine Herzchen aufgedruckt, ausserdem Steine, Serviettenhalter, Dinge wie Scheren und Tabletts. Das alles in echt zu sehen, war unglaublich. Diese Erinnerung wird für immer bei mir bleiben.

Haben Sie je darüber nachgedacht, ein Hay-Hotel zu eröffnen?
Das würde mir sehr gefallen. Ich würde dann einen kleinen Laden an der Rezeption einrichten. Und jeden Raum anders gestalten. Ich glaube, das könnte ziemlich viel Spass machen.

Wird es in der Schweiz in naher Zukunft ein Hay House geben?
Im Moment ist nichts geplant. Aber sag niemals nie. Nicht alle Hay-Geschäfte sind zu hundert Prozent im Besitz von Hay. Wenn also morgen jemand kommt und einen Laden in der Schweiz eröffnen möchte – dann würden wir uns das auf jeden Fall ansehen.

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