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Run, Model, Run: Warum in New York alle über den Catwalk sprinteten

Fashion

Run, Model, Run: Warum in New York alle über den Catwalk sprinteten

Sprintende, hüpfende und wütend marschierende Models: Die Runways machten bei der New York Fashion Week ihrem Namen alle Ehre. Aber woher der Stress?

Letzte Woche bei «Switzerland’s Next Topmodel»: Kandidat Leonardo wird kritisiert, weil er zu schnell über den Catwalk ging. «Der muss wohl auf den Zug», witzelt die Aargauer Model-Mama Manuela Frey. An der New York Fashion Week, die Anfang dieser Woche zu Ende ging, hätte Leonardo alles richtig gemacht. Denn da beeilten sich plötzlich ganz viele der Models. Nicht von Show zu Show, sondern auf dem Laufsteg selbst.  

Das grosse Gestampfe nahm schon im Juni seinen Anfang, bei der Menswear-Show von Lemaire: Im Video zur Kollektion brachen einige Models in halbherziges Joggen aus, als hätte es zu regnen begonnen. Französische Nonchalance eben, die sich auch in den Kleidern widerspiegelte.   

Und dann kam New York. Bei Collina Strada, dem immer-bunten Label mit einer Passion für Nachhaltigkeits-Aktivismus, war der Laufsteg ein einziges Chaos: Models hüpften, sprinteten, grinsten und schlugen Räder. Einen Tag danach fand die Show von Coach statt, wo die Models von Skater:innen flankiert umher stressten. Es sähe aus wie Grand Central Station zu Stosszeiten, so die Modekritikerin der amerikanischen «Vogue».

Zwei Tage später zeigten die Rodarte-Schwestern ein federleichtes, kreisförmiges Kleid, das seine echte Wirkung erst entfaltete, als das Model zu gehen begann: Der Gegenwind blies es zu einem Ballon auf; Bewegung war essenziell. Videos des Kleides verbreiteten sich rasend schnell auf den sozialen Medien. Noch rasender waren nur die Menschen auf dem Laufsteg des Mode-Kollektivs Vaquera. Sie stapften in einem Tempo durch die Strassen, das jedem, der schon einmal nachts alleine nach Hause gelaufen ist, bekannt vorkommen wird. Sie schienen wütend und ängstlich zugleich, zielstrebig hasteten sie in ihren Outfits aus Neon-Spitze und Abfallsäcken über den Laufsteg.

Marketing oder Modeerscheinung?

Man könnte die schnellen Schritte ganz einfach als gute Marketing-Strategie sehen – dass die funktionieren kann, bewies spätestens der kometenhafte Aufstieg des deutschen Männermodels Leon Dame. Der wickelte nämlich bei der Frühjahr/Sommer-Show 2020 von Maison Margiela mit seinem forschen Gang die Modewelt um den Finger und machte weltweit Schlagzeilen. Sein erratisches Gepose war schräg, unkoordiniert und wunderbar launisch. 

Charlie Engman, der Co-Creative Director von Collina Strada, sieht in den verschiedenen Gangarten eine Widerspiegelung von mehr Diversität auf dem Laufsteg, wie er 2020 dem Guardian verriet: «Es gab die Ära des Supermodels, wo Walks zwar Individualität und Kraft hatten, aber bestimmte Konventionen von Reichtum, Gesundheit, Körpertyp und eine sehr spezifische Idee von Geschlecht aufrechterhielten. Heute bringen verschiedene Erfahrungen und Körper andere Gehweisen», so Engman, dessen Mutter für Collina Strada lief und der auch ein Model im Rollstuhl engagierte.

Extreme Shows für extreme Zeiten

Der Laufsteg ist ja eigentlich da, um die Kollektionen der neuen Saison in Bewegung zu sehen – um zu erfahren, wie sich Stoffe um Körperteile legen, wie Muster wirken, was Kleider mit einer Person machen, wenn sie sich darin bewegen. Das grosse Rennen ist eine extreme Version davon, geeignet für extreme Zeiten. Es zeugt von einer gewisser Unbändigkeit, die sich durch die Shows in New York zog, wie ein roter Faden: Viele fanden im Freien und auf dem GrossstadtAsphalt statt. Damit brachten die Designer:innen ihre Kleider buchstäblich zurück auf den Boden und weg vom Virtuellen – auch wenn man aus der Ferne zuschaute. Es war Street Style nach einer Zeit, in der man lange nur die eigene Reflexion im Bildschirm sah.

Vielleicht ist das auch Wunschdenken – ein Gefühl, das irgendwie in der Luft liegt, Fashion Week hin oder her. Kleider, in denen man sich gut bewegen kann und die nicht nur im Zweidimensionalen funktionieren, sind ein echtes Bedürfnis. Ob man jetzt vor Wut kochend durch die Strassen stampft, freudig durch die Gassen tänzelt oder in der ersten Folge (unverdient, finde ich, lieber Leonardo!) aus der Casting-Show geschmissen wird.

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