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Victoria Beckham wird endlich ernst genommen als Modedesignerin

Stil

Victoria Beckham wird endlich ernst genommen als Modedesignerin

  • Text: Godfrey Deeny Fotos: Jon Kopaloff/Getty Images

Von der Modekritik wurden Victoria Beckhams Versuche als Designerin lange belächelt. An einem kalten Februartag in New York begannen sich die Dinge zu ändern, schreibt unser Autor. Er muss es wissen, er war dabei.

Von der Modekritik wurden Victoria Beckhams Versuche als Designerin lange belächelt. An einem kalten Februartag in New York begannen sich die Dinge zu ändern, schreibt unser Autor. Er muss es wissen, er war dabei.

«Was mir an dem Schnitt am meisten gefällt? Dass man sich fragt, was sie wohl für Unterwäsche trägt, falls sie überhaupt welche trägt.» Victoria Beckham lächelte listig, als ein geschmeidiges Model vorbeischwebte, während sie ihre neue Kollektion leicht nervös einer ziemlich anspruchsvollen Jury vorstellte – einer Auswahl von dreissig abgebrühten und nur schwer zu beeindruckenden Spitzenkritikern in New York. Ich weiss, wovon ich rede; ich bin einer davon.

Das Spice Girl aus dem vorstädtisch-prolligen Essex konnte mit einer Prise Nonchalance rechnen, schliesslich war es ein weiter Weg gewesen, bis sie in einem elegant geschnittenen, dreissig Meter vom New Yorker Central Park entfernten Sandsteinbau an der Upper East Side ihre eigene Fashionshow inszenieren konnte. Nach einer auf Manhattans Modepartys verbrachten Nacht trugen die Zuschauer bei der Präsentation am Sonntagmorgen um zehn mehrheitlich dunkle Brillen und warteten fast trotzig auf den ersten Look.

Es hätte ohne weiteres die Beerdigung eines ehemaligen Popstars werden können, der die Frechheit besessen hatte, sich als Modedesigner auszugeben. Aber verflixt noch mal, am Ende war der Modemob richtig beeindruckt, als er an jenem kalten Valentinstag im Februar 2009 das Sandsteingebäude verliess.

Kühn, kurz, mit anspruchsvoller, aber bewundernswerter Silhouette und mit zeitgenössischen, hochwertigen Stoffen: Es lagen Welten zwischen dieser Show und Beckhams zwei Jahre zuvor erfolgter Feuertaufe in der amerikanischen Modewelt. Damals hatte sich die Promi-Queen mit ihren Bodyguards einen Weg durch die Mengen von Paparazzi, Fans und kreischenden Teenagern bahnen müssen, um beim New Yorker Edelmodehaus Saks Fifth Avenue ihre neue Denim- und Accessoires-Linie DVB vorzustellen. Das war kurz bevor ihr noch berühmterer Mann, der Fussballer David Beckham, seinen berufsbedingten Umzug in die USA vollzog und die beiden ihre Familie an die Westküste verpflanzten. Zuvor hatte die Mutter von damals zwei Kindern eine Jeanslinie mit Rock & Republic und eine Schmuck- und Handtaschenkollektion mit Samantha Thavasa entworfen. In der Modehierarchie rangierte sie unter ferner liefen.
 

Victoria Beckhams erste Kollektion schokierte

Als die unter ihrem Namen laufende erste Kollektion Anmut und Eleganz bewies, war das ein ziemlicher Schock. Wie hatte sich Beckham von einer Jeans-Celebrity zu einer ausgewachsenen Designerin entwickeln können? Wer oder was hatte diese magische Verwandlung bewirkt? Zuerst tippten alle auf ihren Supermanager Simon Fuller, der zufälligerweise auch einen Designer finanziert hatte, der aus Frankreich stammte, aber in London arbeitete. Einmal dürfen Sie raten: Roland Mouret.

Als sich Victoria Beckham 2007 den neuen Mannschaftskameraden ihres Mannes in Los Angeles vorstellte, trug sie die rosafarbene Version eines legendär prunkvollen und kurvenreichen Abendkleids von Roland Mouret für 2000 Dollar und einen dazu passenden Kelly-Bag von Hermès aus rosa Straussenleder. Tatsächlich sind in Victoria Beckhams Kollektionen haufenweise Echos der Ideen des Franzosen zu sehen: seine Platzierungen von Plissee- und Bundfalten, seine Farbpalette oder die Anklänge an sündige Göttinnen.

Wer das bezweifelt, schaut sich einfach die Laufstegfotos in der Branchenbibel Style.com an. Nur zwei Beispiele: Vergleichen Sie Mourets Colorblocking bei Look 6 der Herbstkollektion 2010 mit Beckhams Look 17 ein Jahr später im Herbst 2011. Oder schauen Sie sich die Ähnlichkeiten des Zuschnitts von Mourets Look 9 im Herbst 2008 und Beckhams Look 6 an, erneut ein Jahr später im Herbst 2009.

Als ich Roland Mouret einmal direkt auf seine Einbindung ansprach – Gerüchten zufolge arbeiten die beiden mit demselben Schnitttechniker –, gab er sich schüchtern, ja ausweichend. «Oh, wir sind einfach gut befreundet», sagte Roland und zog Schultern und Augenbrauen auf diese Weise hoch, mit der Designer zum Ausdruck bringen, dass weitere Fragen keinen Sinn haben. Und wenn man sich anschaut, welch ein grosszügiger Geldgeber Fuller war, versteht man auch, warum.
 

Marc Jacobs und Victoria Beckham sind ein Herz und eine Seele

Kommen wir zu Marc Jacobs. Branchenkenner sind sich uneins, wie viel Einfluss der US-Modeschöpfer auf Victoria Beckhams Design-Ästhetik und Stil gehabt hat. Bekannt ist, dass die beiden ein Herz und eine Seele sind. Im Herbst 2008 hat Jacobs Victoria Beckham sogar als Star für seine Werbekampagne angeheuert. Die berühmt gewordene Aufnahme zeigt, wie die Fussballerbraut aus einer Einkaufstasche von Jacobs herauslugt; mal sehen wir nur ihren Kopf, auf dem ein absurdes Vögelchen sitzt; mal scheint die Tasche Mrs. Beckham bei lebendigem Leib aufzufressen, und man sieht nur ihre formschönen Beine.

Marc Jacobs hat aber auch schon mit anderen Star-Musen wie Sofia Coppola, Charlotte Rampling, Winona Ryder und Dakota Fanning zusammengearbeitet. Und Beckham liess sich überzeugen, ganz in der Tasche zu verschwinden, nachdem Juergen Teller, der Fotograf, ihr erklärt hatte, sie sei «nur ein Produkt». Bei Jacobs hat Victoria Beckham ganz eindeutig gelernt, wie wichtig es ist, eine gewisse geistreiche Ironie ins Spiel zu bringen, wenn sie über ihre Entwürfe spricht. Es hilft, dass Victoria Beckham ihre neue Branche sehr ernst nimmt, sich selbst aber nicht. Sie verfügt über eine Selbstironie, die ich charmant finde. Als Kind war es ihr angeblich peinlich, dass ihr Vater, der eine Elektrogerätekette besass, einen Rolls-Royce hatte, weshalb sie von ihren Mitschülern gemieden oder aber geärgert wurde. Deswegen wurde sie dann Posh Spice – die Elegante – genannt, die bei den Spice Girls den Part des unnahbaren Mädchens übernahm, das sich nie herabliess, mit jemandem zu sprechen.

An jenem winterkalten Valentinstag 2009 in New York konnte man Victoria Beckhams Kollektion nur geniessen. Eine Kollektion, die inspiriert war von Comics aus den Vierzigerjahren um Dick Tracy, den verarmten Detektiv, der trotzdem auf grossem Fuss lebt und seinen eigenen Cadillac fährt. Beckhams Femmes fatales à la Dick-Tracy-Freundin Tess Trueheart schreiten über den kleinen Laufsteg in einer Kollektion aus sorgfältig gerafften Falten, intelligent gewählten Stoffen – von altertümlichen Goldjacquards bis zu grafitglänzendem Raffia – und mit coolen, von der Designerin selbst nerdy genannten Brillen. Kurz gesagt, wenn man eine ranke und schlanke Hollywoodfigur wie, naja, Victoria Beckham hat, sieht die ganze Kollektion grossartig aus. Mrs. Beckham kommentierte die Show auf sachkundige Weise, wobei sie vor einem leisen französischen Serge- Gainsbourg-Soundtrack sprach. Ihr Publikum gewann sie mit ihren Eröffnungsbildern für sich: drei superlangbeinige Mädels in rostfarbenem Wollcrêpe oder an der Taille knapp geschnittenen, an den Knien abgesetzten Jerseykleidern, besetzt mit kühnen Reissverschlüssen und mit tiefstapelnd kunstvoller Subtilität drapiert.

In ihrem Studio in Battersea im südlich der Themse gelegenen Teil Londons haben Victoria Beckham und ihr Team einen glasklaren, wiedererkennbaren Stil entwickelt. Die 26 Looks, die wir in New York zu sehen bekamen, fast nur Kleider, daneben ein paar Trenchcoats, waren sehr flott – genau die Mode, die jeder, die so etwas tragen kann, einen Filmglamour verleiht, wie er sich auf einschlägigen roten Teppichen findet. Die Kollektion war einfarbig bis auf einige trübe Digitaldrucke aus den Originalcomics. Die Meisterin beim Auffinden angesagter Mitarbeiter hatte die Plateausohlen von Brian Atwood eingearbeitet, dem Heisssporn aus Chicago, der bei den CFDA Awards, den Oscars der Modewelt, gerade den Accessoires-Preis gewonnen hatte.

Seither ist Victoria Beckham ihren Weg gegangen. Mittlerweile wurde ihr eines der grössten Komplimente der Modewelt gemacht – sie erhielt die Einladung, bei der Luxuskonferenz der «International Herald Tribune» 2010 zu sprechen. Die US-Tageszeitung gilt dank der Ansiedlung in Paris und der Qualität ihrer Redaktion zu Recht als Zeitung des eleganten Lebens im Ausland. Suzy Menkes, die Moderedaktorin des Blatts und Moderatorin der Konferenz, ist die wichtigste Modekritikerin der Welt.

Wie erpicht die «Herald Tribune» auf die Teilnahme Beckhams war, zeigt sich daran, dass sie eingeladen wurde, obwohl das Konferenzthema Tradition lautete und das Ex-Spice-Girl erst fünf Jahre zuvor auf der Bildfläche der Mode erschienen war.
 

Victoria Beckham genoss die Gunst der Stunde

Sie wurde genau zu dem Zeitpunkt als glaubwürdige Akteurin in der Modewelt aufgenommen, als andere Star-Designer wie Gwen Stefani und P. Diddy mit ihren Kollektionen baden gingen. Hinzu kam, dass sie durch ihr Leben in L. A., zusammen mit ihrem Göttergatten David, die entscheidende Gefolgschaft in einem idealen Markt finden konnte – Starlets in Hollywood, die nur den roten Teppich im Auge hatten; auch das war etwas, das anderen Star-Schöpfern grossteils entgangen war. «Victoria gehört zu den wenigen Stars, die es geschafft haben, nicht nur als Star den roten Teppich zu beschreiten, sondern auch die Stars auf dem roten Teppich zu bekleiden», psalmodierte Menkes.

Inzwischen hat Mrs. Beckham Kate Winslet für die Filmfestspiele von Venedig ebenso eingekleidet wie Eva Longoria für die Hollywood Style Awards. Und im letzten November hat sie bei den British Fashion Awards für den «Designer des Jahres» grosse Namen wie Tom Ford, Burberry und Stella McCartney ausgestochen.

Den Schwung ausnützend, hat Mrs. Beckham eine preisgünstige Produktlinie namens Victoria Victoria Beckham auf den Markt gebracht, die seit diesem Jahr auch in der Schweiz (bei Bongénie in Genf und Bloom’s in Zürich, A. d. R.) erhältlich ist. Die nachhallende Frage, die Modedetektive nach wie vor umtreibt, lautet trotzdem: Wie hoch ist Beckhams eigener Beitrag zu ihrer Marke? Ich habe mehrere Präsentationen von Posh besucht, auf denen sie manchmal wie die Dozentin an einem Seminar aufgetreten ist. Und ich habe ihre Vertrautheit im Umgang mit Stoffen, Modetechniken und Herstellungsprozessen sehen können. Daher wage ich zu behaupten, dass sie das meiste selbst kreiert.

Ihre Seminare werden nicht überall wohlwollend aufgenommen. Am ersten Morgen sass ich neben Cathy Horyn, der gefürchteten Modekritikerin der «New York Times», die während der Show schnaubte: «Hat sie ihre Rolle als Designerin nicht gut gebüffelt?» Und als Victoria Beckham sich bei uns nach dem Abgang des letzten Models für den Besuch bedankte, ätzte Horyn: «Unterricht beendet!»

Victoria Beckham hat jedenfalls ihre eigene erfolgreiche Marke kreiert. Sie mag einen begrenzten Stil haben, der auf gertenschlanke Frauen mit Personal Trainer zugeschnitten ist und – was von ihrer Warte aus wohl das Wichtigste ist – ziemlich teuer aussieht. Erfolg gibts nun mal nicht umsonst, oder wie es in «Wannabe», dem grössten Hit der Spice heisst: «Easy V doesn’t come for free, she’s a real lady.»

— Godfrey Deeny ist ein international renommierter Modekritiker. Er schreibt unter anderem für «Esquire», «International Herald Tribune» und «Le Figaro»
— Übersetzung aus dem Englischen: Ulrich Blumenbach

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