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«Ich fühle mich oft fremd in meinem Körper»: Wie es ist, negative Erfahrungen mit der Pille zu machen

Gesundheit

«Ich fühle mich oft fremd in meinem Körper»: Wie es ist, negative Erfahrungen mit der Pille zu machen

Unsere Autorin hat ein Jahr lang die Pille genommen. Ein Prozess vom ersten, überfordernden Termin bei der Gynäkologin bis zum Entscheid: Ich möchte das meinem Körper nicht mehr antun.

Es ist zwölf Uhr mittags. Mein Handybildschirm leuchtet, ein Reminder poppt auf. Zeit, die Pille zu nehmen. Ich schlucke sie und fühle mich dabei wie das Gegenteil meines Bildes einer selbstbestimmten Frau aus den frühen Sechzigerjahren.

Die Antibabypille war für sie und Millionen weiterer Frauen nach ihnen ein Schritt Richtung Emanzipation. Sie konnten selbst entscheiden, wann – und ob sie überhaupt Kinder bekommen wollten. Hatten Chancen auf eine Karriere, Zugang zu Universitäten. Und: Ohne die ständige Angst vor einer Schwangerschaft konnten sie Sex geniessen.

Ein Stück Freiheit. Ein Stück Unabhängigkeit.

Währenddessen fühle ich mich eher angekettet. Abhängig. Von dieser kleinen gelben Pille – 2mm Durchmesser, ich habe sie mit dem Lineal gemessen. Und seit mein Körper auf künstlichen Hormonen ist, geniesse ich irgendwie Sex auch nicht mehr so sehr wie früher.

Kürzlich habe ich deshalb gegoogelt. «Abnahme von Libido, betrifft 1 bis 10 von 1000 Anwenderinnen.» Stand da schwarz auf weiss. Und dann etwas weiter unten: «Herzinfarkt, Schlaganfall, Lebertumore, betrifft 1 bis 10 von 10000 Anwenderinnen.»

Mein erster Gedanke: Was zur Hölle?

Meine Frauenärztin hatte kein Wort davon erwähnt, als sie mir die Kombinationspille mit den Hormonen Östrogen und Gestagen verschrieben hatte. Klar, es steht in der Packungsbeilage. Aber eigentlich läge das doch in der Verantwortung der Gynäkolog:innen, über die gefährlichen Nebenwirkungen und Risiken zu informieren.

Die Packunsgbeilage wurde daraufhin meine Abendlektüre. Im dimmen Licht der Nachttischlampe las ich an diesem Tag jedes gedruckte Wort und mir wurde immer mulmiger zumute. Das Fazit: Durch das Schlucken der künstlichen Hormone habe ich ein höheres Risiko auf Gebärmutterhalskrebs, Brustkrebs (wie zynisch: nur «geringfügig öfter», aber 10 Jahre nach dem Absetzen der Pille bestünde gar kein erhöhtes Risiko mehr – danke dafür) und könnte auch eher an einer Depression erkranken, die «gelegentlich zu Selbsttötungsgedanken führen» kann.

All das hätte mir meine Frauenärztin erklären müssen. Stattdessen verlief mein erster Termin bei ihr ganz anders.

Der Anfang

Erstmals ging ich zur Gynäkologin mit neunzehn Jahren. Ich hatte meinen ersten festen Freund und wollte mir alle Verhütungsmethoden erklären lassen. Eigentlich war es nicht mein Plan, die Pille zu nehmen, denn Freundinnen hatten mir erzählt, dass sie mit starken Nebenwirkungen zu kämpfen haben.

Die Praxis war mir neu, steril, ungemütlich, die Frauenärztin schroff und direkt.

«Haben Sie regelmässig Geschlechtsverkehr?»

Ja.

«Sind Sie in einer festen Beziehung?»

Ja.

«Haben Sie Thrombose in der Familie?»

Nicht, dass ich wüsste.

Fünf Minuten ging der Termin. Und schon verschrieb sie mir die Pille. Ich sollte mal ausprobieren, wie es geht und in drei Monaten noch einmal einen Termin vereinbaren. Es könnte zu Schmierblutungen kommen. Aber eigentlich würden die meisten Frauen nur von positiven Veränderungen berichten, hätten mehr Selbstbewusstsein wegen des Östrogens.

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«Ich lief wie in Trance in die Apotheke nebenan und kaufte mir drei Monatsraster der Pille»

Ich fühlte mich von dem Verhör mit ihr so überrannt, dass ich die Nebenwirkungen gar nicht ansprach, die meine Kolleginnen hatten. In diesem Moment vergass ich vor Überforderung meine Sorgen sogar komplett. Meine Frauenärztin brachte mich zur Türe. Zog sie zu. Ich stand allein im Gang und lief wie in Trance in die Apotheke nebenan und kaufte mir drei Monatsraster der Pille.

Das Recht auf Informationen

Mit Nadia Lehnhard von der Dachorganisation Sexuelle Gesundheit Schweiz spreche ich im Nachhinein über meine Erfahrung. Und mit jedem ihrer Worte merke ich: So hätte es bei mir nicht ablaufen sollen. Eigentlich gibt es für die Verhütungsberatung bei Gynäkolog:innen ein klares Protokoll. Und die Nebenwirkungen und Risiken zu erwähnen, gehört definitiv dazu.

«Das Ziel einer Verhütungsberatung bei einer ärztlichen Fachperson ist, dass alle Verhütungsmethoden vorgestellt werden. Am Ende sollte die Klientin eine selbstbestimmte Entscheidung treffen können», sagt sie.

Die Dachorganisation Sexuelle Gesundheit Schweiz, bei der Lehnhard tätig ist, umfasst etwa 80 Fachstellen, an denen kostenlose, vertrauensbasierte Beratungen angeboten werden. «Zudem sind die Menschen durch die digitalen Medien viel aufgeklärter über das Thema sexuelle Gesundheit. Es gibt einen grösseren Austausch untereinander und es ist weniger tabuisiert», sagt Lehnhard.

Wenn es solche Beratungsstellen gibt und das Wissen ausserdem durch die Digitalisierung viel zugänglicher geworden ist – Muss ich heute als Patient:in schon komplett aufgeklärt zum Termin erscheinen?

«Nein, natürlich nicht. Das ist der Auftrag der Ärzt:innen, dass sie informieren, auf die Fragen eingehen und sich auch Zeit nehmen», sagt Lehnhard. Patient:innen hätten das Recht, aufgeklärt zu werden. Sie hätten das Recht auf Informationen.

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«Verhütungsberatung sollte ein Prozess sein»

Nadia Lehnhard

Wenn es in Praxen sehr hektisch zu und her geht, kann es dazu führen, dass viele Patient:innen sich überfahren fühlen und sich gar nicht getrauen weiter nachzufragen, erzählt sie mir. Diese Faktoren können dann beeinflussen, dass man eine Entscheidung für sich trifft, die nicht optimal ist.

«Verhütungsberatung sollte ein Prozess sein. Es braucht Zeit, sich zu überlegen: Was will ich überhaupt? Vielleicht muss man auch nochmals drüber schlafen oder Informationen nachlesen», sagt Nadia Lehnhard.

Ein oft verschriebenes Medikament

Sie erzählt mir, dass die Pille in gewissen Situationen verschrieben wird, wenn Gynäkolog:innen wissen, dass ihre Patient:in beispielsweise in Ausbildung ist. Das liegt daran, dass Methoden wie die Spirale oder ein Implantat kostspieliger sind, wenn man sie in einem Mal bezahlen muss. Im Gegensatz dazu wird die Pille monatlich bezahlt und der Betrag erscheint so kurzfristig gesehen kleiner. «Aber nicht die beratende Person soll am Ende die Entscheidung treffen, sondern die Klientin selbst», sagt sie.

Ich traf meine Entscheidung damals mehr aus Vertrauen und Naivität als aus eigener Antriebskraft. Ich verliess mich auf meine Gynäkologin. Ich dachte: Wenn es laut ihr als Fachperson die sicherste Verhütungsmethode ist und sie so viele positive Wirkungen hat, teste ich sie. Ich dachte: Sie weiss ja, wovon sie spricht.

Mir ging es auch gut in den ersten Monaten. Meine Haut wurde schöner. Meine Brüste grösser. Ich fühlte mich wie ein neuer Mensch. Hatte keine Panik mehr, ungewollt schwanger zu werden.

«Sobald nach 21 Tagen die siebentägige Pillenpause einsetzt, bin ich auf Entzug»

Der Moment, als ich die erste Pille schluckte, ist nun ein Jahr her. Heute fühle ich mich oft fremd in meinem Körper. Fast so, als steckte ich in einer dünnen, durchsichtigen Hülle, die jegliche Gefühlsempfindung von aussen und von innen abschirmt. Ein Dauerzustand von Leere. Durchbrechen kann ich sie nicht.

Sobald nach 21 Tagen die siebentägige Pillenpause einsetzt, bin ich auf Entzug. Ich weine, ohne zu wissen wieso. Habe starke Kopfschmerzen. Verlustängste, die ich sonst relativieren kann, werden zu riesigen Monstern in meinem Kopf. Ich kann nicht schlafen. Habe Albträume, von denen ich in der Nacht aufschrecke. Weiss nicht, was mein Körper braucht. Kann es ihm nicht geben. Und ich habe ständig das Gefühl, mich nicht mehr so richtig zu kennen.

Ich bin kein Einzelfall. Das weiss ich nach etlichen Gesprächen mit Kolleginnen, denen es genauso geht wie mir. Fünf Minuten Termin. Pille verschrieben. Sich selbst fremd geworden.

Das Ende

Deshalb habe ich den Entscheid gefasst, die Pille abzusetzen. Und doch macht sie mir Angst, diese Veränderung. Was passiert dann mit mir? Mit meinem Körper? Bekomme ich ganz viele Pickel? Sinkt mein Selbstwertgefühl? Fühle ich mich dann weniger attraktiv? Gefalle ich mir dann noch? Gefalle ich mir jetzt – oder bin ich mit all den Hormonen fremdgesteuert?

Aber ich weiss, dass ich damit die richtige Entscheidung treffe. Für mich. Für meinen Körper. Ich verabschiede mich von dem bisschen vermeintlicher Sicherheit, das mir die Pille gibt. Und heisse das echte Ich wieder willkommen, das in dem Hormonnebel völlig untergetaucht ist.

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