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Diese Bücher sollten Sie im Oktober lesen

Literatur & Musik

Diese Bücher sollten Sie im Oktober lesen

  • Redaktion: Frank Heer, Claudia Senn; Text: Verena Lugert (Romane), Dietrich Roeschmann (Bildband); Fotos: Traces; Heji Shin für ZEITmagazin (1)

Jeden Monat stellt die annabelle-Kulturredaktion die besten Bücher und Bildbände für Sie zusammen.

Unsere Kolleginnen und Kollegen aus dem Ressort Kultur präsentieren Ihnen jeden Monat die besten literarischen Neuerscheinungen. Mit dabei: Ein witziger Coming-of-Age-Roman über das Erwachsenwerden, ein Werk über Mode und ein melancholischer Roman mit überraschendem Ende.

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1.

Jetzt ist das Gewitter da. Ein Blitz, ein Donnergrollen. Und auf einmal verschiebt sich die Wirklichkeit, scheint Rose ihren Körper zu verlassen: «Rose erlebte einen Schwall von Übelkeit, dann das kurze, köstliche Gefühl, als würde ihre Haut kühl und zöge sich zusammen und ihr Fleisch hinge an einem dynamischen Knochengewebe.» Ein, zwei Minuten lang ist Rose eine andere Frau – bis sie sich wieder zurückverwandelt. Hat Rose Halluzinationen? Ab jetzt löst jedes Gewitter eine solche kurze Verwandlung aus: Rose, die gestandene Programmkino-Chefin, wird zu Harriet, einer zarten, jungen Frau im Minijupe, die schwanger ist von ihrem verheirateten Geliebten. Rose lebt Harriets Gefühle mit, ihre Sorgen und auch ihre Freuden, sogar bei Harriets Sex ist Rose manchmal mit dabei. Sie fängt an, Harriet zu suchen, will Kontakt mit ihr aufnehmen. Wird süchtig nach Gewittern. Und taucht nebenbei ein in ihre eigene verdrängte, tragische Vergangenheit. Ein raffiniert erzählter Roman über die Welt der Gewitter und der Synapsen, funkelnd und gleissend, doppelbödig und liebevoll erzählt von Barbara Gowdy, der Meisterin des Surreal-Verspielten.

– Barbara Gowdy: Kleine Schwester. Verlag Antje Kunstmann, München 2017, 288 Seiten, ca. 32 Franken

2.

Die junge Selin kommt nach Harvard, sie wird dort russische Literatur studieren. Am liebsten würde sie ganz in der Literatur leben! Denn vom echten Leben hat sie wenig Ahnung, es ist rührend, wie das Nerd-Mädchen mit den Parties fremdelt: «Immer weiter wurde getanzt. Ich fragte mich, warum wir das tun mussten und wie lang noch» – bis sie endlich wieder zu ihren Büchern kann. Und zu ihren E-Mails von und an Ivan, die wie eine russische Liebesgeschichte angelegt sind. Ein wunderhübscher, federleichter und witziger Coming-of-Age-Roman über die Magie der Zeit zwischen Jugend und Erwachsensein. Und unser Ich, das wir in dieser Zeit entwickeln und gestalten.

– Elif Batuman: Die Idiotin. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt 2017, 480 Seiten, ca. 36 Franken

3.

Was ist das Leben: ein Erkunden, nach aussen gerichtet, auf die Welt und die Fülle? Oder ein Sich-Sammeln, Sich-Konzentrieren auf die Schätze im Kleinen? Als Buben haben Pietro und Bruno eine Freundschaft fürs Leben geschlossen. Bruno kommt aus dem winzigen Bergdorf, in dem Pietro mit seinen bergverrückten Eltern immer die Ferien verbringt, Pietro aus der Stadt. Pietro wird Dokumentarfilmer, ihn zieht es hinaus, in die Welt. Bruno bleibt. Und immer wieder kehrt Pietro zurück, in das Dorf, in die Berge, in denen Bruno noch lebt. Und wo beide um die elementare Frage ringen, was ein geglücktes Leben ausmacht. Ein ruhiges und eindringliches Buch, das in Italien als männliche Antwort auf Elena Ferrantes Werk gefeiert wurde.

– Paolo Cognetti: Acht Berge. DVA, München 2017, 256 Seiten, ca. 29 Franken

4.

Mode ist ein Spiegel der Gesellschaft. Wir sind uns der kulturellen Einflüsse jedoch kaum bewusst, die sich in ihr mischen. Erstmals spürt ein opulenter Band jetzt den Effekten der Migration in der Mode nach. Neben tollen Porträts von Berliner Fashion-Nomaden und -Secondos wie Bobby Kolade, Vladimir Karaleev, William Fan oder Nobieh Talaei wird die Sprache der Modefotografie erkundet, etwa in den Bildern des Schweizer Altmeisters Hans Feurer (Buchcover), und die verschlungenen Wege des Ideenexports rund um die Welt nachgezeichnet.

– Traces. Fashion & Migration, Distanz-Verlag, Berlin 2017, 208 Seiten, ca. 44 Franken

5.

Wir sind aus jenem Stoff, aus dem die Träume sind. Heisst es bei Shakespeare. Und so geht auch der Refrain des einzig guten Songs, den The Hologrammes, eine Pariser New-Wave-Band der frühen Achtzigerjahre, je hatte. «We are made the same stuff dreams are made of» war ihre Hymne. Eine Hymne unter Ausschluss der Öffentlichkeit, denn die Plattenfirma Polydor antwortet nie auf die Sendung des Demotapes. So gehen die Jahre ins Land, Alain ist Hausarzt, seine Band The Hologrammes hat sich längst aufgelöst, die Sängerin lebt wieder im Burgund. Ein weiteres Bandmitglied ist heute ein frustrierter Künstler und der Bassist führt jetzt eine rechtsradikale Politbewegung an. Doch dann landet ein Brief bei Alain, der ihn aus seinem verschlafenen Leben reisst: Polydor bietet den Hologrammes einen Vertrag an. Beziehungsweise: bot. Denn der Brief war über 30 Jahre bei der Post verschollen. Alain macht sich auf, seine früheren Freunde zu suchen. Und sie daran zu erinnern, «dass wir tatsächlich alle aus demselben Material wie unsere Träume sind und dass es an uns ist, sie zu verwirklichen». Auch wenn am Ende alles total anders kommt. Ein wunderbar zarter, witziger und melancholischer Roman mit höchst überraschendem Ende.

– Antoine Laurain: Die Melodie meines Lebens. Atlantik-Verlag, Hamburg 2017, 256 Seiten, ca. 29 Franken

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