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Analyse zum Frauenfussball: «In der Schweiz kann keine Spielerin davon leben»

Zeitgeist

Analyse zum Frauenfussball: «In der Schweiz kann keine Spielerin davon leben»

Der Frauenfussball erlebt ein Hoch – auch in der Schweiz. Doch finanziell und strukturell stehen die Kickerinnen schwer im Offside. Eine Analyse von Mämä Sykora, Chefredaktor des Fussballmagazins «Zwölf», zum Start der EM in England.

Der Frauenfussball boomt! Über 90 000 Zuschauer:innen waren im April im Stadion Camp Nou, als der FC Barcelona den VfL Wolfsburg in der Women’s Champions League besiegte. Allein seit 2019 investierte der Weltverband Fifa 1 Milliarde Dollar in die Förderung des Frauenfussballs. 178 Mitgliedsländer stellen bereits ein Frauen-Nationalteam.

Der Schweizer Cupfinal fand kürzlich vor 8000 Fans im Letzigrund statt, wobei die Südkurve des FC Zürich (FCZ) für prächtige Stimmung sorgte. Fast 25 000 lizenzierte Fussballerinnen gibt es hierzulande – vier Mal so viel wie vor zwanzig Jahren. Damit sind rund zehn Prozent aller Lizenzierten weiblich.

Frauensport zieht wenig Publikum an

Der Frauenfussball boomt? Bei Spielen der deutschen Frauen-Bundesliga, einer der besten der Welt, waren in der abgelaufenen Saison durchschnittlich knapp 800 Leute im Stadion. In der Schweiz dürften es um die 250 gewesen sein. In England, dem Mutterland des Fussballs, zieht selbst die Randsportart Männer-Eishockey mehr Publikum an als die Profi-Fussballliga der Frauen, obwohl in England viele der besten Spielerinnen der Welt zu sehen sind.

Die europäischen Top-Klubs führen Frauenteams aus Imagegründen und verlieren damit jährlich Millionen. Zudem fehlt den Wettbewerben die Spannung: Olympique Lyon holte eben den siebten Champions-League-Titel in acht Jahren, die FCZ-Frauen gewannen acht der zehn letzten Meistertitel und standen in neun der zehn letzten Cupfinals, von denen sie sieben gewannen.

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«Als Event funktioniert der Frauenfussball bereits heute bestens»

Als Event – das steht ausser Frage – funktioniert der Frauenfussball bereits heute bestens. An den Welt- und Europameisterschaften und anderen grossen Spielen sind die Stadien voll, die mediale Aufmerksamkeit ist da. Der Alltag sieht indes anders aus – gerade in der Schweiz.

An hiesigen Meisterschaftspartien können sich die Zuschauer:innen weiterhin noch öfters per Handschlag begrüssen. Und dies, obwohl sich die Situation für die Frauen in den letzten Jahren merklich verbessert hat und einige Forderungen erfüllt wurden.

So etwa sind heute in der Axa Women’s Super League nur noch Vereine, die auch bei den Männern im Profifussball vertreten sind. Dadurch können sie nicht nur die gute Infrastruktur nutzen und auch Heimspiele bisweilen in den grossen Stadien austragen, auch ihre Reichweite für Werbung und Marketing wurde so deutlich erhöht.

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«Das Fernsehen kann einen Trend verstärken, aber dafür muss schon ein starkes Grundrauschen vorhanden sein»

Beni Thurnheer, SRF-Fussballkommentator

Auch dem Ruf nach mehr Visibilität kam man nach: SRF überträgt seit zwei Jahren live Partien der Schweizer Liga. Die Auswirkungen sind bislang noch nicht zu spüren. Kommentatorenlegende Beni Thurnheer wehrte sich stets gegen übersteigerte Erwartungen: «Das Fernsehen kann einen Trend verstärken, aber dafür muss schon ein starkes Grundrauschen vorhanden sein. Wenn SRF ab morgen Tischtennis übertragen würde, pilgern deswegen noch keine Massen an diese Partien.»

Die Konkurrenz um die Aufmerksamkeit ist nun mal riesig. Und Sportarten, die von vielen ausgeübt werden, haben nicht automatisch gute Besucher:innenzahlen. Unihockey hat schweizweit nach Fussball die zweitmeisten Lizenzierten, volle Hallen gibt es dennoch höchstens bei Finalspielen.

Künstliche Highlights

Im Schweizer Frauenfussball wird diese Eventisierung nun bewusst eingesetzt: Seit dieser Saison gewinnt nicht das Team die Meisterschaft, das die meisten Punkte hat; zum Schluss der Saison stehen für die vier besten Teams neuerdings Play-offs an. In diesen Ausscheidungsspielen geht es um alles oder nichts, bis nur noch zwei Klubs übrig bleiben.

In dieser Saison waren dies Servette und – mal wieder – der FCZ. Immerhin 2642 Leute reisten für das Finalspiel um den Titel ins Stade de la Tuilière in Lausanne. Zürich gewann im Penaltyschiessen. Nun bleibt die Hoffnung, dass aus diesen künstlichen Highlights ein nachhaltiges Interesse wächst.

«Das Aushängeschild unseres Frauenfussballs ist das Nationalteam»

Was auf jeden Fall hilft, ist Erfolg. Wenn Giulia Steingruber an der Weltspitze mitmischt, ist Kunstturnen plötzlich ein Thema. Das Aushängeschild unseres Frauenfussballs ist das Nationalteam, sein Abschneiden deshalb von immenser Bedeutung. 2015 war es erstmals an der Frauen-WM dabei, noch ist es im Rennen um ein Ticket an die Endrunde im kommenden Jahr.

Die Kluft besteht nach wie vor

Die anstehende Europameisterschaft in England ist die zweite in Folge, für die sich das Team qualifizieren konnte. Allerdings wurden beide Turniere aufgestockt, um mehr Nationen eine Teilnahme zu ermöglichen – mit der Absicht, dem Frauenfussball flächendeckend mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Vom vereinfachten Weg auf die grosse Bühne profitierten auch die Schweizerinnen. Die Kluft zu den Top-Nationen wie Schweden, Kanada, USA oder die Niederlande besteht aber nach wie vor.

In der Fifa-Weltrangliste stehen die Schweizerinnen in der gleichen Region wie vor zehn Jahren, gleichzeitig haben andere Länder mächtig aufgeholt. Gegen Rumänien oder Tschechien etwa – lange Zeit keine Konkurrenz – konnte die Frauen-Nati zuletzt nicht gewinnen. Die Leistungsdichte ist deutlich grösser geworden, das macht Erfolge noch schwerer.

«Die Spielerinnen in der Schweiz betreiben ähnlich viel Aufwand wie ihre männlichen Pendants, davon leben kann indes keine»

Strukturelle Probleme

Dass der jüngste Höhenflug etwas ins Stocken geraten ist, hat auch mit strukturellen Problemen zu tun. Die Spielerinnen in der Schweiz betreiben ähnlich viel Aufwand wie ihre männlichen Pendants, davon leben kann indes keine. Für ein paar Hundert Franken monatlich müssen sie Beruf und Sport unter einen Hut bringen, klar nehmen Ambitionierte oft die erste Gelegenheit wahr, um ins Ausland zu wechseln, wo sie ganz auf den Fussball setzen können.

Fast alle Leistungsträgerinnen des Schweizer Frauennationalteams sind bei ausländischen Vereinen unter Vertrag, viele in der deutschen Bundesliga, wo der Durchschnittslohn bei 45 000 Euro jährlich liegt. Etwas mehr dürfte Nati-Kapitänin Lia Wälti in England bei Arsenal verdienen.

Nicht alle Nationalspielerinnen beziehen ihr Haupteinkommen aus dem Sport. Alisha Lehmann etwa – auch sie spielt in England – ist als Influencerin deutlich erfolgreicher. Auf Instagram hat sie sagenhafte 7.5 Millionen Follower:innen, die ihr einen stolzen Zusatzverdienst einbringen dürften. Für die anstehende EM hat Alisha Lehmann abgesagt. Sie fühle sich «mental nicht bereit».

«Schweizer Klubs verlieren Jahr für Jahr die Talentiertesten – ohne dafür auch nur einen Rappen zu erhalten»

Seit wenigen Jahren ist es auch den Schweizer Vereinen erlaubt, ihre Spielerinnen für ein Mindestsalär von 500 Franken mit einem Profivertrag auszustatten, doch nur wenige Fussballerinnen machen davon Gebrauch. Denn ohne Vertrag steht es ihnen frei, jederzeit in eine Liga mit anderen finanziellen Möglichkeiten zu wechseln. Und so verlieren die Schweizer Klubs Jahr für Jahr die Talentiertesten – ohne dafür auch nur einen Rappen zu erhalten.

Bei den Männern sind Transfererlöse zusammen mit Zuschauer:inneneinnahmen und Prämien aus dem Europacup die wichtigsten Geldquellen, bei den Frauen gibt es so gut wie nichts von alledem. Das bedeutet: Die Frauenabteilungen sind ein grosses Verlustgeschäft für die Schweizer Vereine, die ohnehin knapp bei Kasse sind.

Geld, der immerwährende Kritikpunkt

Ungeachtet dieser Realitäten mussten Klubpräsidenten in den letzten Jahren auf öffentlichen Druck mehrfach erklären, warum sie ihre besten Fussballer stolz entlöhnen, während sie die Fussballerinnen mit Spesen abspeisen. Die Kritik traf vor allem Ancillo Canepa, Präsident des FC Zürich. Ausgerechnet ihn, der mit seinem eigenen Geld überhaupt erst dafür sorgte, dass die FCZ-Frauen derart dominieren konnten. Rund eine Dreiviertelmillion lässt sich der Stadtklub die Frauenabteilung kosten, damit lässt sich ein Kader mit mehreren Nationalspielerinnen finanzieren.

Die Konkurrenz will die Vormachtstellung der Zürcherinnen nun angreifen: Servette Genf investierte einiges, lockte arrivierte Spielerinnen aus dem Ausland zurück und wurde prompt 2021 Meister, auch die Grasshoppers haben nun dank privater Geldgeber:innen andere Möglichkeiten als bis anhin. Auch wenn sich dadurch die Situation für einige Spielerinnen etwas verbessert, liegen die Löhne der Frauen und Männer in einem Klub noch immer Welten auseinander.

«Erst Interesse bringt Einnahmen und damit anständige Löhne»

Die Vereine für diese ungleiche Bezahlung verantwortlich zu machen, greift allerdings etwas gar kurz. Auch die Ruderer, Unihockeyaner und Handballer des polysportiven Grasshopper-Club verdienen – wenn überhaupt – nur einen Bruchteil von dem, was ihre kickenden Vereinskameraden einstreichen, weil ihre Abteilungen kaum etwas einspielen. Der Frauenfussball funktioniert nach den gleichen Prinzipien: Erst grosses Interesse bringt Einnahmen, und nur damit können anständige Löhne bezahlt werden.

Doch woher soll dieser Zuspruch kommen? Für manche Verfechter:innen des Frauenfussballs ist klar: von den Männern. Die öffentlichkeitswirksame Forderung an Fans, die seit einiger Zeit durch die Fussballwelt hallt, lautet: «Warum schaut ihr nur Partien der Männer, obwohl es bei jenen der Frauen keine simulierende Millionäre zu sehen gibt?»

Wer sind die Frauenfussball-Fans?

Implizit schwingt bisweilen gar der Vorwurf mit, das Nichtbesuchen von Frauenmatches sei ein antifeministisches Statement. Bloss: Ein Fan der YB- oder St.-Gallen-Männer verfolgt sein Team pro Saison schon jetzt rund vierzig Mal im Einsatz, damit ist für die allermeisten der Fussballbedarf gedeckt. Zudem ist die Beziehung zu ihrem (Männer-)Herzensklub über viele Jahre gewachsen, durch Erfolge, Enttäuschungen, Reisen an Auswärtsspiele. Nur wenige schauen sich daneben auch die Partien der Frauen des eigenen Vereins an, so wie sie auch kaum welche derer Nachwuchsmannschaften verfolgen.

«Der Frauenfussball darf sich nicht darauf verlassen, Fans des Männerfussballs zu konvertieren»

Um nachhaltig wachsen zu können, darf sich der Frauenfussball nicht darauf verlassen, Fans des Männerfussballs zu konvertieren. Es besteht genügend Potenzial, sich eine eigenständige weibliche Fussballkultur mit einer eigenen Fangemeinschaft zu erarbeiten, auch wenn das gewiss nicht von heute auf morgen passiert.

Dafür sind auch die Frauen selbst gefragt. Mehr als ein Drittel der Schweizer Frauen gibt an, sich für Fussball zu interessieren, dennoch gehen nur fünf Prozent auch tatsächlich ins Stadion – und wenn, dann überwiegend zu den Männern. Es gibt noch immer bei keinem Verein der Women’s Super League eine Gruppierung aus weiblichen Fans, die weitere Frauen zum Stadionbesuch animieren könnte.

Die Kader werden weiblicher

An der Spitze wurde der Schweizer Fussball zuletzt weiblicher. Tatjana Haenni, eine ehemalige Nationalspielerin, gehört als erste Frau zur Geschäftsleitung des Fussballverbandes. Beim FC Luzern sitzt nun auch eine Frau im Verwaltungsrat, bei GC und YB wurde der Posten einer General Managerin für den Frauenfussball geschaffen.

An der Basis hingegen mangelt es gewaltig. Beim Bewältigen des grossen Zustroms an fussballspielenden Mädchen helfen Frauen bislang nur bedingt. Der bringt nämlich viele Vereine aus dem Breitensport in arge Nöte. Es fehlt an Plätzen, Garderoben und Trainerinnen mit den nötigen Qualifikationen. Nur sechs Prozent der «Jugend+Sport»-Leiter:innen im Fussball sind weiblich, in der Leichtathletik ist es fast die Hälfte.

«Fussballspielerinnen bekommen vielfach die unattraktivsten Anspielzeiten und die schlechtesten Plätze zugeteilt»

Mehr Frauen auf dieser Stufe wären auch darum wichtig, weil Mädchen und Frauenteams in vielen – oft noch sehr patriarchal geführten – Vereinen stiefmütterlich behandelt werden. Sie bekommen vielfach die unattraktivsten Anspielzeiten und die schlechtesten Plätze zugeteilt und müssen sich nicht selten mit demotivierten, überforderten oder inakzeptablen Trainern oder Clubpräsidenten herumschlagen.

Wie das enden kann, zeigt das Beispiel des FC Affoltern am Albis: Dort traten die Spielerinnen des 1.-Liga-Teams im Februar geschlossen zurück, nachdem der Vereinsvorstand ihre Beschwerden wegen sexueller Belästigung durch einen Trainer nicht ernst genommen hatte.

Es braucht Leute, die den Frauenfussball voranbringen

Um den Frauenfussball voranzubringen, braucht es mehr Menschen, die dabei mithelfen. Mehr Fans, mehr Trainer:innen, mehr Vereinsfunktionär:innen. Leute, die bereit sind, die teils verkrusteten Strukturen aufzubrechen und den Mädchen- und Frauenfussball als neue Fussballkultur zu etablieren. Weil vom Dorfklub bis zum Profiverein alle Engagierten bereits jetzt an ihr Limit stossen, müsste sich neues Personal aber insbesondere aus jener Gruppe rekrutieren, die bis heute im Fussball massiv untervertreten ist: unter Frauen nämlich.

«Der Fussballverband könnte besonders grosse Hebel ansetzen, was die Gedeihung des Frauenfussballs angeht»

Doch selbst dann kann diese junge Sportart nicht gedeihen ohne Unterstützung von höchster Stufe. Der Fussballverband, dem die Entwicklung des gesamten Fussballsports von den Profis über den Nachwuchs bis zu den Frauen obliegt, könnte besonders grosse Hebel ansetzen.

Equal Pay – wo bleibt die Schweiz?

Dass die in der Schweiz noch ziemlich eingerostet scheinen, zeigt ein Blick über die Grenze. In England etwa hat der Verband 2017 den «Gameplan for Growth» eingeführt mit dem Ziel, die Anzahl Fussballerinnen zu vergrössern und die Situation für Spitzenspielerinnen zu verbessern. Unter anderem bezahlt der Verband einen grossen Teil der Löhne der Nationalspielerinnen und entlastet so die Budgets der Vereine.

Zudem folgte England – wie unter anderem auch Schweden, Norwegen oder Brasilien – dem Beispiel der USA, wo Superstar Megan Rapinoe und ihre Kolleginnen die Forderung nach Equal Pay durchsetzen konnten. Fortan erhalten die Nationalspielerinnen die gleichen Prämien wie die Männer. Ein epochaler Schritt.

In der Schweiz hingegen wird noch immer weitgehend geschlechtergetrennt abgerechnet. In Zahlen heisst das: Die Frauennati erhält als Antrittsgage an der kommenden Europameisterschaft von der Uefa 600 000 Franken, davon landet ein Teil bei den Spielerinnen. Die Männer spielten an ihrer letzten EM 16 Millionen Franken ein. Davon wurde ein stolzer Teil an die Nati-Stars ausgeschüttet, die bereits in ihren Vereinen Grossverdiener sind.

Captain Granit Xhaka – geschätzter Jahreslohn sechs Millionen Franken – kann sich von den Prämien zwei, drei neue Luxusautos kaufen. Bei einer Nationalspielerin könnte so ein Betrag hingegen entscheidend dafür sein, dass sie sich ganz auf den Fussball konzentrieren könnte – und dadurch besser wird und so dem Frauenfussball nachhaltig hilft.

«Es gibt einige Schrauben, an denen nur wenig gedreht werden müsste, um die Voraussetzungen und damit auch das Niveau des Frauenfussballs zu verbessern»

Auch wird in Nationen mit Equal Pay in die Ausbildung von Trainerinnen, die Infrastruktur sowie den Frauen-Nachwuchs investiert. Die Resultate lassen sich sehen: Sämtliche Länder mit diesem System zählen zur Weltspitze.

Der SFV gleicht Prämienstruktur von Frauen an – kurz vor EM

Inzwischen hat der SFV – ziemlich überraschend, aber so kurz vor dem Start der EM medial auch perfekt getimt – die Prämienstruktur für das Frauen- und Männer-Nationalteam zumindest angeglichen. Die Credit- Suisse als Hauptpartnerin des SFV schüttet ab sofort die gleichen Prämien an die Nationalspielerinnen aus wie an die Nationalspieler – bisher hatten die Männer 4,5-Mal mehr erhalten.

Ab 2024 will auch der Verband nachziehen und sämtliche partnerbezogenen Erfolgsprämien «zu 100 Prozent» harmonisieren, wie der SFV Ende Juni an einer Pressekonferenz bekannt gab. Dies betrifft die Bonuszahlungen, die zum Beispiel bei erfolgreicher Qualifikation für eine EM- oder WM-Endrunde oder bei Erfolgen an diesen Turnieren anfallen und direkt an die Spieler:innen ausbezahlt werden.

Ebenfalls ausgeglichen hat der SFV die Entschädigungen für kommerzielle Rechte. Treten Frauen zum Beispiel in Werbespots auf, erhalten sie für ihr Engagement künftig gleich viel wie die Männer. Tatjana Haenni, die Chefin des Schweizer Frauenfussballs, sprach an besagter Pressekonferenz von einem «Freudentag für die Spielerinnen». Von tatsächlichem Equal Pay ist man selbst mit diesen Schritten aber noch weit entfernt, schliesslich machen die Prämien von Uefa und Fifa den weitaus grössten Teil aus.

Für Spieler und Staff fielen nach der erfolgreichen Männer-EM im letzten Jahr fast 9 Millionen Franken ab, die Frauen müssen sich in jedem Fall mit Brosamen begnügen. Es gibt also einige Schrauben, an denen nur wenig gedreht werden müsste, um die Voraussetzungen und damit auch das Niveau des Frauenfussballs zu verbessern.

Gleichberechtigung trotz Unterschieden

Dass dieses ständig mit demjenigen der Männer verglichen wird, ärgert die Szene zum Beispiel ungemein – und ist auch unangebracht. Keine Hundert-Meter-Weltmeisterin muss sich zu abfälligen Kommentaren äussern, dass sie eine deutlich langsamere Zeit gelaufen sei als die Männer. Im Fussball aber werden diese Vergleiche pausenlos gezogen, obwohl die physischen Unterschiede auch da deutlich zum Tragen kommen.

Vor wenigen Jahren verlor das australische Frauennationalteam – damals die Nummer vier der Welt – gegen 14-jährige Buben eines lokalen Vereins diskussionslos mit 0:7. Auch auf den Spielstil haben die körperlichen Differenzen einen Einfluss: Frauen sind weniger schnell, damit hat eine Verteidigerin mehr Zeit, wenn eine Gegnerin auf sie zustürmt. Dafür hat sie die Kraft nicht, einen Ball in Bedrängnis weit wegzuschlagen, damit sich die Abwehr neu formieren kann.

Die Torhüterinnen wiederum haben durch ihre Körpergrösse Probleme bei hohen Schüssen. Es gibt Studien, die Frauen Defizite bei der sogenannten Über-Kopf-Koordination attestieren. Kritiker:innen halten solche Erkenntnisse aber auch für Biologismus: Diese Unterschiede seien primär der Tatsache geschuldet, dass Buben sich früher, öfter und vielseitiger sportlich betätigen (dürfen) und diese kognitiven Fähigkeiten deshalb besser erlernen als Mädchen.

Wiederholt wurden Forderungen laut, den körperlichen Unterschieden in den Regeln Rechnung zu tragen, wie es etwa die Leichtathlet:innen vormachen. Die Kugel, der Speer und der Diskus sind leichter als bei den Männern, die Hürden tiefer. Im Fussball standen und stehen leichtere Bälle, kleinere Tore und kürzere Halbzeiten zur Debatte. Die einen erhoffen sich dadurch eine Steigerung der Attraktivität der Spiele, andere kanzeln diese Ideen als «unfeministisch» ab und sehen darin eine Gefahr für die Equal-Pay-Debatte, weil der Grundsatz «gleicher Lohn für gleiche Leistung» dann nicht mehr gegeben sei.

Prognose: Steigendes Niveau

Das Niveau steigt jedoch auch ohne Regeländerungen rasant. Die jungen Fussballerinnen sind athletisch und technisch auf einem ganz anderen Level, als es ihre Kolleginnen noch vor ein paar Jahren waren. Heute reicht es nicht mehr, eine Ausnahmekönnerin in den Reihen zu haben, um eine Partie zu entscheiden, die Leistungsdichte ist deutlich höher geworden – eine Grundvoraussetzung für spannende Spiele und Wettbewerbe.

Dass der Frauenfussball in Sachen Tempo und Intensität nicht mit jenem der Männer konkurrieren kann, sollte auf den Zuspruch der Fans keinen Einfluss haben. Manchester City oder Real Madrid sind qualitativ auch ein ganz anderes Kaliber als die Vereine der Super League der Männer – und dennoch sind dort die Stadien gut gefüllt. Nur hatten diese über hundert Jahre Zeit, ihre Rolle und ihre Bedeutung für die Menschen in der Region zu entwickeln. Der Frauenfussball hingegen hat erst gerade angefangen zu boomen.

Mämä Sykora ist Chefredaktor des Fussballmagazins «Zwölf» und Co-Host im Fussball-Podcast «Sykora Gisler» mit dem SRF3-Moderator Tom Gisler. srf.ch/audio/sykora-gisler

Die Frauenfussball-EM in England startet am 6. Juli. Die Schweizerinnen treffen in der Gruppenphase auf Portugal (9.7.), Schweden (13.7.) und die Niederlande (17.7.). Weitere Infos: uefa.com/womenseuro

Die Angleichung der Prämienstrukturen für Frauen- und Männer-Nationalteams wurde vom Schweizerischen Fussballverband (SFV) am 20. Juni bekanntgegeben, als die annabelle-Ausgabe 9/2022 bereits gedruckt war. Dieser Artikel wurde im Vergleich zur Print-Version entsprechend aktualisiert.

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