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Soziologin Katja Rost über den Menstruationsurlaub: «Man möchte Stereotype auflösen, schafft aber das Gegenteil»

Politik

Soziologin Katja Rost über den Menstruationsurlaub: «Man möchte Stereotype auflösen, schafft aber das Gegenteil»

Seit bekannt wurde, dass die Stadt Freiburg den Menstruationsurlaub einführt, wird in der Politik sowie den sozialen Medien heftig diskutiert. Die Soziologin Katja Rost wirft im Interview einen kritischen Blick auf das Thema und ordnet ein.

annabelle: Der Menstruationsurlaub stösst auf heftige Kritik – vor allem bei Männern, die von «Sonderurlaub» und «Sonderbehandlung» sprechen. Warum gibt es diese Bedenken?
Katja Rost: Wenn jemand Beschwerden hat, kann er oder sie sich bereits heute krankschreiben lassen. Mit dem Menstruationsurlaub wird jetzt ein Extra-Gefäss für Frauen geschaffen. Von Männern wird das kritisiert, weil sie nicht auch einen Extra-Urlaub oder Extra-Krankschreibungsmöglichkeiten haben. Aus wirtschaftssoziologischer Sicht ist das verständlich – aber es hat auch negative Auswirkungen auf Frauen.

Ein Argument von Kritiker:innen ist, dass sich Frauen mit dem Menstruationsurlaub selbst wieder das Etikett des «schwachen Geschlechts» zuschreiben.
Damit wird das Vorurteil zementiert, dass Frauen nicht ganz so leistungsfähig wie Männer sind. Ein Vorurteil, das wir eigentlich versuchen, loszuwerden. Da geht es auch um statistische Diskriminierung: Arbeitgeber:innen stellen teilweise bestimmte Personengruppen nicht ein, weil die Wahrscheinlichkeit besonders hoch ist, dass es bei dieser Gruppe zu Ausfällen kommt. Das galt schon immer für Frauen, weil sie schwanger werden können. Wenn nun zusätzlich der Menstruationsurlaub dazu kommt, tut man den Frauen keinen Gefallen.

Das könnte also ein weiterer Grund dafür werden, dass ein Mann eher eingestellt wird für eine Position, obwohl die Frau die gleichen Qualifikationen hat?
Genau. Oder sogar besser qualifiziert ist.

Wodurch Frauen also auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt werden könnten.
Das könnte sein – wir reden über Eventualitäten. Zum Menstruationsurlaub gibt es diesbezüglich noch keine Studien. Sehr gut untersucht wurde hingegen die statistische Diskriminierung von Frauen wegen des Risikos einer Schwangerschaft. Gerade für kleine Unternehmen kann es zu einem Problem werden, wenn Leute viel fehlen. Und so steht die Mutterschaftszeit in einem negativen Licht da.

Für welche Branchen wäre die Einführung von Menstruationsurlaub eine besonders grosse Herausforderung?
Ich denke, für alle Branchen wäre es eine Herausforderung. Theoretisch ist es umsetzbar – man müsste sich aber vor allem die Frage stellen, ob die Notwendigkeit überhaupt besteht. Schlussendlich müssen jedoch Ärzt:innen beurteilen, ob das ein schlecht geschützter Bereich ist, für den es einen Extra-Urlaub braucht.

Ist es denn ein falsches Signal, Menstruation als Krankheit zu kategorisieren?
Ja, auf jeden Fall. Eine Krankheit ist die Menstruation nicht. Wird sie allerdings als eine dargestellt, stehen Frauen direkt als schwach da. Durch die Gleichstellung versuchen wir, diese Unterschiede von Männern und Frauen zu revidieren. Es geht nicht darum, jemanden besser oder schlechter darzustellen, sondern beide als gleichwertig. Wenn man Gleichwertigkeit möchte, ist es wichtig, solche Gruppenunterschiede nicht zu betonen.

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«Auch wenn so ein Gefäss eingeführt wird und sich langfristig halten kann, müssen immer noch Jahrzehnte vergehen, bis es als normal angesehen wird»

Es geht bei dieser Thematik offensichtlich um Stereotype, die durchbrochen werden wollen. Folgende Situation: Eine Frau arbeitet in einer hohen Position. Ihr Weg dorthin war, auch wegen Vorurteilen, hart. Um sich herum hat sie nur männliche Kollegen. Würde sie einen solchen Menstruationsurlaub überhaupt ohne eigene Bedenken beziehen?
Wenn es eine mutige Frau ist, dann ja. Aber ganz ehrlich: Wenn ich diese Frau wäre, würde ich mich krankschreiben lassen und nicht den Menstruationsurlaub nehmen. Um beispielsweise zu verhindern, dass Männer über mich lachen. Man möchte Stereotype auflösen und enttabuisieren, aber schafft genau das Gegenteil: Die Frau wird als leistungsunfähig hingestellt. Auch wenn so ein Gefäss eingeführt wird und sich langfristig halten kann, müssen immer noch Jahrzehnte vergehen, bis es als normal angesehen wird.

Gäbe es denn aus Ihrer Sicht eine bessere Lösung?
Sich krankschreiben lassen und das Gespräch mit Ärzt:innen suchen. Ich verstehe das Anliegen von Menschen, die den Menstruationsurlaub befürworten: Wenn man Schmerzen hat, sollte man nicht jedes Mal eine Praxis aufsuchen müssen – alles wäre mit dem Menstruationsurlaub automatisch geregelt. Aber ein anderes Problem eines solchen Gefässes ist neben der Stereotypisierung das Trittbrettfahren. Die Befürchtung war und ist da, dass Menschen es ausnutzen, die gar keine Beschwerden haben. Normalerweise ist die Anzahl von solchen Ausnutzungsfällen gering. Aber diese Vermutung allein schwächt das Gefäss.

Wieso herrscht bei uns eine Arbeitskultur, in der Menschen davon ausgehen, dass andere mogeln?
Ganz simpel: Weil es vorkommt. Aus eigener Erfahrung haben wir Menschen gelernt, dass es immer Leute gibt, die das System ausnutzen. Das geht gegen unser Bedürfnis von Fairness: Wir möchten fair behandelt werden. Entsprechend haben wir eine Aversion gegen Leute, die schummeln. Es ist auch wichtig, dass wir diese Aversion haben – damit wir Sanktionen aussprechen, die verhindern, dass es noch mehr Leute machen. Aber häufig überschätzen wir diesen Effekt. Es gibt viele Menschen, die gerne Trittbrettfahren würden, sich dies dann aber doch nicht trauen.

Denken wir an die konkrete Umsetzung: Wie viele Frauen hätten den Mut, diese drei Tage pro Monat in Anspruch zu nehmen?
Von denjenigen mit Beschwerden sicherlich nicht alle. Dafür braucht man keine wissenschaftliche Studie, um zu sehen, dass man als Frau eventuell ausgegrenzt wird. Vielen ist es auch zu intim, dass das ganze Unternehmen weiss, dass man Menstruationsbeschwerden hat.

Würden denn nicht die Beschwerden der betroffenen Personen durch die offene Deklarierung als Menstruationsurlaub ernster genommen werden?
Ja, doch. Aber mit der geschilderten Auswirkung. Zudem stellt sich dann die Frage: Wofür möchte man zudem alles noch bezahlte Tage erlauben? Es bleibt nicht nur bei der Menstruation. Es gibt auch viele chronische Krankheiten, die man dann in diesem Einzelkatalog aufführen müsste.

Das wäre ein langer Katalog.
Ja, das würde ein langer Katalog werden, bis sich niemand mehr diskriminiert fühlt. Die Frage ist, ob eine generelle Lösung, wie wir sie bereits haben, nicht besser wäre. Das ist die generelle Krankschreibung über Vertrauensärzt:innen. Die Arbeitgeber:innen gehen dann die persönlichen Gründe nichts an, warum jemand krankgeschrieben ist.

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«Aus wissenschaftlicher Sicht würde ich sagen, dass es für uns als Frauen eine schlechte Entwicklung ist. Weil der Stereotyp, dass wir nicht so leistungsfähig sind wie Männer, verstärkt wird»

Die Meinungen sind bei diesem spezifischen Thema sehr gespalten, auch in politischen Lagern. Wieso ist das so?
Zunächst ist es ein Gleichstellungsthema – und diese spalten politisch extrem. Die Linke ist extrem progressiv in der Richtung. Die Konservativen sind, mit einigen Argumenten, die auch ich genannt habe, dagegen. Nicht, weil sie gegen Gleichstellung sind, sondern, weil sie die Massnahmen als kontraproduktiv empfinden und fürchten, dass Stereotype verstärkt werden. Zudem ist es ein dankbares Profilierungsthema in der Politik. Gerade weil es so spaltet. Insofern würde ich sagen: Es ist eher ein politisches als ein dringliches Thema. Davon hat die Partei einen Profit, die es losgestossen hat – den Rest kostet es unter Umständen viel Geld und es kann sogar nach hinten losgehen.

Gibt es denn auch Vorteile des Menstruationsurlaubs?
Ja, für die initiierende Partei. Politisch ist das sehr geschickt gemacht. Man spricht eine Gruppe an, die das Anliegen als relevant empfindet und die eine eingeschworene Wähler:innengemeinschaft werden könnte.

Und für uns als Frauen?
Aus wissenschaftlicher Sicht würde ich sagen, dass es für uns als Frauen eine schlechte Entwicklung ist. Weil eben der Stereotyp, dass wir nicht so leistungsfähig sind wie Männer, verstärkt wird. Wir sind quasi nur halb einsetzungsfähig. Wir dürfen nicht eingesetzt werden, wenn wir Kinder kriegen, und müssen dann auch noch wegen der Menstruation fehlen. Daraus resultiert für mich die Botschaft: Wir wollen vollwertige Mitglieder der Gesellschaft sein, sind aber nur halbe. Und das sind wir eben nicht!

Katja Rost ist Soziologin. Sie unterrichtet seit 2012 als Ordinaria für Soziologie und Privatdozentin für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Zürich. Unter anderem forscht sie zu Geschlechterfragen in der Wirtschaft.

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