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Besuch auf dem Vitra-Campus

Stil

Besuch auf dem Vitra-Campus

  • Text: Katinka OppeckFotos: Leon Chew, Iwan Baan, Julien Lanoo, Thomas Dix, Andreas Sütterlin

Die einen finden es grossartig, die anderen schrecklich. Die Rede ist vom architektonisch aussergewöhnlichen Vitra-Haus in der Nähe von Basel. annabelle wollte sich selbst ein Bild machen und schickte Online-Redaktorin Katinka Oppeck ins Feld, um dem umstrittenen Bauwerk einen Besuch abzustatten.

«Ein architektonisches Schmuckstück», schrieb der «Tages-Anzeiger». «Die sonst so erfindungsreichen Schweizer Herzog & de Meuron strapazieren das Motiv der gestapelten Schachteln», kritisierte hingegen die deutsche «Welt». Die Rede ist vom Vitra-Haus in Weil am Rhein, das sich durch seine aussergewöhnliche Bauart von anderen Gebäuden stark abhebt. Wenn Meinungen so auseinander gehen, will annabelle sich natürlich selbst ein Bild machen. Online-Redaktorin Katinka Oppeck machte den Test und stattete dem viel besprochenen Objekt einen Besuch ab.

Das grosse Gelände des Möbelherstellers Vitra hat ein neues Prunkstück. Vor den Produktionshallen im hinteren Teil und neben dem Design-Museum befindet sich nun auch ein Bau des Schweizer Architektenduos Herzog & de Meuron mitten auf dem Campus: eben das Vitra-Haus. Schon im Zug Richtung Basel machte ich mir meine Gedanken. Auf den Bildern wirkt das Gebäude mit den zwölf in- und aufeinander gestapelten Giebelhäusern schon ziemlich pompös. Wird es für mich – jemand, der von Architektur eigentlich nichts versteht – ein dunkler Fleck in der Landschaft sein? Oder reicht meine Designbegeisterung aus, um die architektonische Meisterleistung zu erkennen? Gespannt war ich auf jeden Fall. In Basel angekommen, wurde ich von einem Wagen abgeholt, der mich direkt auf den Vitra-Campus in Weil am Rhein fuhr.

Als ich den Campus erreichte, musste ich erst einmal leer schlucken. Das im Januar 2010 fertig gestellte Gebäude ist eine Wucht. Die erste Frage, die sich mir stellte: Wie kommt man auf die Idee, zwölf Häuschen wie Mikadostäbe aufeinander zu stapeln? Das Schweizer Duo Herzog & De Meuron, das unter anderem das Nationalstadion in Peking, das Miami-Art-Museum oder das Kulturzentrum Zürich entworfen hat, liess sich für den Bau in Weil am Rhein von den typischen Urhäusern inspirieren, also von schlichten und typischen Giebelbauten, wie jeder sie kennt. Nachdem ich wegen der Aussenansicht schon ins Staunen geriet, konnte ich es kaum erwarten, das Innere zu erkunden. Dort lädt Vitra nämlich zu einer Reise durch die Designgeschichte ein. Klassiker von Charles & Ray Eames, George Nelson, Isamu Noguchi und Verner Panton sowie zeitgenössische Entwürfe von Hella Jongerius oder Jasper Morrison finden in den unterschiedlichsten Wohnsituationen einen Platz. Dank der Stapelung der einzelnen Häuschen wirken diese Wohnvorschläge nicht eingesperrt und notdürftig zusammengeschustert, sondern lassen Raum für Inspiration. Ich hatte den Eindruck, in einem normalen Wohnhaus zu stehen anstatt in einem Showroom. Gut, in einem normalen Wohnhaus, das fantastisch eingerichtet ist.
In jedem Stockwerk fand ich eine neue Themenwelt, wie zum Beispiel verschiedene Wohnzimmer-Arrangements für den Yuppie, die junge Familie oder den spartanischen Single. Besonders beeindruckt war ich von den tollen Accessoires und Deko-Elementen, die vom Einrichtungsteam liebevoll arrangiert wurden. Überall gab es kleine Trouvaillen zu entdecken, die sich bestimmt auch fantastisch in meine Wohnung integrieren liessen. Nachdem ich im obersten Stock mit der Besichtigung begonnen hatte, arbeitete ich mich langsam Richtung Parterre vor, wo mich ein besonderes Highlight erwartete: Die so genannte Vitrine. Dort wird eine Auswahl an Stuhlentwürfen des 19. und 20. Jahrhunderts gezeigt, die einen Einblick in die umfangreiche Sammlung des Vitra-Design-Museums gibt.

Nachdem ich mich von diesen unterschiedlichsten Stuhlvarianten endlich lösen konnte, musste ich unbedingt noch einen Besuch im besagten Designmuseum anhängen. Architekt Frank Gehry hat zwanzig Jahre zuvor gleich neben dem Vitra-Haus dieses Museum gebaut. Dort werden regelmässig Ausstellungen zu den Themen Möbel und Design abgehalten. Die momentane Ausstellung beschäftigt sich mit der Einfachheit des Designs unserer täglichen Gebrauchsgegenstände. Unter dem Titel «Die Essenz der Dinge» finden sich noch bis zum 19. September 2010 minimalistisch gestaltete Objekte, die in ihrer Schlichtheit kaum noch zu unterbieten sind. Sei es der Sparschäler oder ein Gummiball, chinesische Essstäbchen oder der legendäre Eames Chair: Im Mittelpunkt dieser Design-Entwürfe stand jeweils nur der Nutzen, den das Produkt bringen soll. Spätestens dann war ich restlos begeistert.

Nach über drei Stunden auf dem Vitra-Campus hätte ich am liebsten noch einmal von vorn angefangen. Hätte gern noch einmal einen Rundgang durchs imposante Vitra-Haus gemacht und all die kleinen feinen Dinge entdeckt, die mir beim ersten Mal entgangen waren. Hätte mich in einen der kuscheligen Sessel gefläzt und aus dem Fenster auf das Dreiländereck geschaut, den Gedanken freien Lauf gelassen und meine imaginäre Wohnung im Kopf durchgeplant. Das Ganze garniert mit einem Cappuccino vom hauseigenen Café. Doch die Zeit arbeitete gegen mich, und so musste ich mich schweren Herzens aus dieser wunderbaren Designwelt lösen. Egal, was die «Welt» oder der «Tages-Anzeiger» über die Architektur des Hauses geschrieben haben: Wichtig war mir mein eigener Eindruck. Die Stimmung im Haus und die Inspiration, die mir dieser Besuch bringen sollte. Und ich kann Ihnen versichern, ich sprühe vor tollen Wohnideen.

Vitra-Campus
Charles-Eames-Strasse 2
79576 Weil am Rhein
Deutschland
www.vitra.com/vitrahaus

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1.

Vitra Haus, Wohnvorschlag für ein Wohn- und Esszimmer

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Vitra Haus, Wohnvorschlag für ein Wohnzimmer

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Vitra Haus

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Vitra Haus, entworfen von dem Architekten-Duo Herzog & de Meuron

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Vitra Haus, entworfen von dem Architekten-Duo Herzog & de Meuron

6.

Vitra Design Museum von Architekt Frank Gehry

7.

Die Ausstellung “Die Essenz der Dinge”, im Design Museum

8.

Stapel von Eames-Stühlen aus glasfaserverstärktem Kunststoff DSS (1954) und Armlehnstuhl DAX (1950), Charles Eames, 1954

9.

Stuhlentwurf „Consumer’s Rest“, Stiletto, 1983

10.

Billardkugel, ein Ausstellungsobjekt im Vitra Design Museum