Werbung
“Frauenautos” – Der Teufel fährt Starlet

Stil

“Frauenautos” – Der Teufel fährt Starlet

  • Text: Philipp Tingler

“Frauenauto” ist ein gängiger Begriff – und kein besonders freundlicher. Aber gibt es überhaupt so etwas wie männliche und weibliche Autos oder männliche und weibliche Fahrstile? Oder ist das Auto wirklich sächlich? Antworten auf die Frage nach dem Geschlecht der Fortbewegung fand annabelle-Autor und Auto-Kolumnist Philipp Tingler.

Wie kann ich meinen Fahrstil beschreiben? Vielleicht so: Kennen Sie den Film «The Cannonball Run»? Jetzt stellen Sie sich vor, Sie wären auf dem Weg ins Kino, um in einer Matinee für Cineasten diesen Film zu sehen, und vor Ihnen fährt ein klassisches Mercedes-SL-Cabrio, und zwar mit Tempo 80. Okay: 60. Das bin ich. Sie kommen nicht vorbei, weil die Strasse zu eng ist und ich die Spur nicht halte. Ausserdem habe ich das Warnblinklicht oder die Nebelleuchte an, weil ich sie mit dem Scheibenwischer verwechselt habe. Mit anderen Worten: Ich bin, autofahrtechnisch gesehen, eine Frau. Und zwar eine 67-jährige Zahnarztgattin von der Zürcher Goldküste, die zu eitel ist, ihre Brille aufzusetzen. So lautete jedenfalls die Einschätzung von Richie, meinem Ehemann, dem besten Ehemann von allen, der diese Feststellung traf, nachdem wir neulich von Zürich nach Lugano gefahren waren und ich für eine Teilstrecke das Steuer übernommen hatte. Besagte Teilstrecke bestand aus einer schmalen, kurvigen Landstrasse mit abschnittsweise starkem Gefälle. Zusätzlich war es dunkel. Und es regnete. Ich hatte also ziemlich viele Informationen auf einmal zu verarbeiten, und so ergab es sich, dass ich alsbald eine rasch wachsende Schlange von überholwilligen Fahrzeugen hinter mir herzog. «Kleines, du bist die Person, die man hasst, wenn man sie vor sich hat», konstatierte Richie.

Aber fahre ich damit wirklich wie eine Frau? Gibt es überhaupt so etwas wie männlichen und weiblichen Fahrstil? Nun, nach meiner ganz persönlichen Lebenserfahrung lassen sich grundsätzlich drei verschiedene Typen von Autofahrern unterscheiden:

1. Die Souveränen: Fahren so, als gehörte die Strasse ihnen, nehmen jede unbekannte Strecke mit Aplomb, dynamisch, vorausschauend, rücksichtsvoll und konzentriert.

2. Die Chaoten: Kommen ebenfalls nicht langsam voran, allerdings nicht zuletzt deshalb, weil sie die Strassenverkehrsordnung nur sporadisch beachten, quasseln beim Fahren die ganze Zeit (inkl. Selbstgespräche), während im Fussraum gefährlich nah um das Bremspedal ein verklebtes Gin-Glas herumrollt; weitere beliebte Aktivitäten für diesen Typus zeitgleich zum Autofahren (in absteigender Reihenfolge): telefonieren, singen, essen, rauchen, Sex.

3. Leute, die katastrophal fahren: Verwechseln häufig rechts und links, ihr toter Winkel ist grösser als die Wüste Gobi, und wenn sie nicht mit dem Beifahrer über Fahrstil und Richtung streiten, beschimpfen sie andere Verkehrsteilnehmer.

So weit meine ganz persönliche Lebenserfahrung. Zu der übrigens gehört, dass Frauen vor allem in die Gruppen 2 und 3 sowie in deren Schnittmenge fallen. So wie ich. Wir landen also erst einmal beim alten Ergebnis: Wenn man die Etiketten männlich und weiblich als synonym für ein Set von Eigenschaften definiert – ungefähr nach dem Muster: männlich = determiniert, rational und aggressiv; weiblich = improvisiert, emotional und defensiv –, dann sind zwar Madeleine Albright und Anna Wintour keine Frauen mehr (und Peter Handke und Xavier Naidoo keine Männer), aber es haut ungefähr hin, das heisst, die Verteilung der Fahrer über diese Eigenschaften entspricht mit den üblichen Fehlertoleranzen ungefähr ihrem tatsächlichen Geschlecht.

Doch hält eine solche Typisierung einer Verallgemeinerung stand? Überträgt sie sich in irgendeiner Form auf die Wünsche und ermittelten Bedürfnisse der Geschlechter in Bezug auf den fahrbaren Untersatz? Hierzu gibt es Daten. Erhebungen aus Wissenschaft und Marketing haben durchaus geschlechtsspezifische Bedürfnisprofile in Bezug auf das Auto ermittelt. So sind für Frauen nach dem gegenwärtigen Stand der Marktforschung zum Beispiel viel Stauraum, gutes Sichtfeld, minimaler Wartungsaufwand sowie leichter Ein- und Ausstieg  wichtig. Ausserdem ein Innenraum mit ansprechendem Design, angenehmen Materialien und jeder Menge Ablageflächen. Dazu eine niedrige Ladekante am Kofferraum, der  idealerweise beleuchtet sein soll. Das hört sich alles sehr nach einem dominierenden Sinn fürs Praktische an. Das Problem ist, dass Frauen sich solche Qualitäten an einem Auto gar  nicht notwendigerweise wünschen, sondern schlicht wünschen müssen, weil sie auch heutzutage oft genug das Auto als Familiennutzfahrzeug einzusetzen haben.

Es stimmt auch nicht zwingend, dass Frauen bei Autos weniger Wert auf Grösse legen. Sie fahren niedliche Kompaktfahrzeuge, weil sie häufig immer noch weniger Geld für ihr Auto zur Verfügung haben.

Die Automobilindustrie weiss, dass es schlechterdings keinen Wagentypus gibt, der ausschliesslich vom einen oder anderen Geschlecht gefahren wird. Sondern dass auch Frauen bei Autos nach sinnlichen Werten, nach Stimmung und Stimulation verlangen und insofern nicht weniger als Männer ansprechbar sind für emotional besetzte Vehikel – zum Beispiel Cabrios.

Eine Umfrage in Ihrem Bekanntenkreis zeigt mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass bestimmte mit dem Auto verbundene Accessoires und Wertschätzungssymbole in der Tat  geschlechtsspezifisch zugeordnet werden können: So sind Rugby-Lufterfrischer, Rückspiegelwürfel, «La Cucaracha»-Hupen und Stossstangenaufkleber mit dem Slogan «Italians do it better» (was übrigens nicht stimmt) eindeutig eher was für Herren. Und Frauen haben lieber Armaturenbrettwackelfiguren und Holzkugelsitzpolster. Erschlagen Sie mich, meine  Damen, aber so ist es! Und das wiederum mag als Hinweis dafür gelten, dass Männer und Frauen das Auto als kulturelle Instanz unterschiedlich bewerten. Das zeigt sich schon in der Art und Weise, wie die Anschaffung eines Wagens vorbereitet wird: Erwiesen ist, dass für Männer das Prestige von Kaufobjekten allgemein und von Autos im Besonderen wichtig ist und sie grundsätzlich eher mit einem bestimmten Kaufziel Geschäfte betreten. Frauen betreten einen Laden, um sich mal umzusehen. Männer beginnen sich regelmässig schon  Monate, wenn nicht Jahre vorher mit dem Kauf zu beschäftigen, sie sammeln Fahrberichte und vergleichen Informationen. So was ist Frauen zu langweilig (und mir übrigens auch).

Frauen kaufen also anders, aber sie messen dem Auto auch eine andere Bedeutung bei: Inzwischen sind zwar Luxuskarossen, die bisher ein rein männliches (oder, wie Frau Schwarzer vielleicht sagen würde, chauvinistisches) Statussymbol waren, auch zum Etikett gut verdienender, erfolgreicher Frauen geworden. Doch handelt es sich bei ihnen eben um ein Statussymbol mit anderer Aufladung: Nach wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchungen über den geschlechtsspezifischen Umgang mit Geld erwerben Frauen nämlich Prestigeobjekte wie repräsentative Autos, Schmuck oder teure Schuhe nicht in erster Linie, um zu protzen, sondern um (auch in ihren eigenen Augen) attraktiver auszusehen.  Beziehungsweise vorzufahren.

Der Begriff des Frauenautos selbst ist eine männliche Prägung, gewählt für Vehikel, die nicht nach Bemeisterung der Natur aussehen, weil sie klein oder rund oder rosa sind oder Starlet heissen. Alle übrigen Autos wären dann Männerautos, obschon dieser Begriff als solcher nicht existiert. Ganz sicher mit allen Attributen der Männlichkeit ausgestattet scheint jedenfalls die Kategorie der Sport-Utility-Fahrzeuge, also jener Monsterkarossen, die aussehen wie Geländewagen, obschon sie eigentlich nur für den Vorortverkehr tauglich sind. Autos, die so gross sind, dass die Sonne verdunkelt wird und die Erde erzittert und die Vögel davonfliegen, zum Beispiel der Ford F250 Monstertruck mit 6.4-Liter-V8-Motor. Wenn man diesen Wagen fährt, thront man so hoch oben, dass man das Gefühl hat, man steure einen Wohnblock aus einem Kommandostand im 23. Stock. Das ist bedeutsam, denn Verkehrspsychologen haben festgestellt, dass der Umstand, beim Fahren buchstäblich auf die anderen Verkehrsteilnehmer hinabzusehen, das Selbstwertgefühl des Fahrers stimuliert. So was nennt man Strassenpräsenz.

Nun kann es einem allerdings in Zürich, wo ich lebe, ohne weiteres passieren, dass man friedlich die weltberühmte Bahnhofstrasse hinunterläuft, und dann sieht man, wie beim Paradeplatz, direkt vor dem Hauptsitz der Confiserie Sprüngli, ein nachtschwarzer Ford F250 Super Duty Crew Cab mit Harley-Davidson-Sonderausstattung hält, und es steigt aus: eine zierliche Blondine von der Zürcher Goldküste, keine Zahnarztehefrau und 67, sondern 37 und mit einem Hedge-Fonds-Manager verheiratet, das helvetische Gegenstück zur Soccer Mom: Seven-Jeans, Flipflops, Tanktop. So was hat natürlich sofort die Entmaskulation des betreffenden Fahrzeugs zur Folge – sofern es sich überhaupt um einen  Männerwagen handelte, was a priori auch ganz entschieden kulturell bedingt ist: In den USA beispielsweise fährt der durchschnittliche Fahrer (unabhängig vom Geschlecht) etwa so gut wie ein betrunkener Rentner, und der einzige Weg, dort im motorisierten Verkehr zu überleben (besonders auf dem Freeway), besteht darin, die Strasse zu dominieren und alle anderen quasi von vornherein mit Nackenbiss einzuschüchtern, was am besten mit einer riesigen Karosse geht – und trotzdem immer schwieriger wird angesichts des Umstands, dass praktisch alle anderen allmählich ebenfalls mit riesigen Karossen unterwegs sind. Die logische Frage wäre: Was kommt als Nächstes – Schützenpanzer? In den Vereinigten Staaten wurden übrigens bis dato grosse Limousinen in vermögenden Haushalten häufiger als in Europa auch als Zweitwagen gefahren, weshalb dort in der automobilen Oberklasse stets mehr Frauen am Steuer sassen, bis die steigenden Treibstoffpreise eine Trendwende eingeleitet haben. Frauenautos ändern sich also nicht nur in der Zeit, sondern auch abhängig vom Ort.

Rund achtzig Prozent aller Autokaufentscheidungen werden künftig von Frauen getroffen, sagen US-Trendforscher, und die Hersteller wissen längst, dass Frauen wie Männer grundsätzlich die gleichen Kaufgründe nennen und wohl auch haben: Freude am Fahren, die Leistung, das Design, die Anmutung, die Strahlkraft der Marke. Deshalb hütet man sich vor geschlechtsspezifischem Marketing, zumal man aus unzähligen Marktanalysen weiss: Nichts ist für den Erfolg bei Frauen tödlicher als die Botschaft: Das ist ein Auto für Frauen. Der Mercedes SL Convertible der Baureihe R107, den ich fahre, Jahrgang 1980, ein legendäres Hollywood-Auto, ein famoses Fahrzeug von zeitloser Schönheit (und mit der Robustheit eines Traktors), ist übrigens auch ein Frauenauto. Jedenfalls wird er von Julie Andrews (!) gefahren in «10» (1979) und von Bette Midler in «Down and Out in Beverly Hills» (1986); ferner von Pamela Ewing in «Dallas» und Fallon Carrington in «Denver Clan». Sowie von Richard Gere in «American Gigolo» (1980), was an der Kategorisierung nichts ändert, im Gegenteil. Der einzige Trost für meine Männlichkeit ist ein kurzer Auftritt des Wagens mit William Holden in «S. O. B.» (1981). Aber vielleicht sollte ich mir trotzdem einen Aufkleber kaufen mit dem Aufdruck: «My other car is a Ferrari.»