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Home, Sweet Motorhome

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Home, Sweet Motorhome

  • Text: Janine UrechFotos: Daniel Månsson

Wo ist der Elch? Ein Roadmovie mit Happy End: Im Wohnmobil durch Schweden. Für annabelle-Lifestyle-Chefin Janine Urech eine komplett neue Erfahrung.

Mit Freunden im Wohnmobil durch Schweden. Für annabelle-Lifestyle-Chefin Janine Urech eine total neue Erfahrung!

Auf allen vieren krieche ich über den Boden. Mühsam sammle ich den Stoffpinguin, drei Hartplastikteller, einen Reiseführer, einen Papiersack mit Äpfeln und ein Feuerzeug zusammen. Am Tisch ziehe ich mich hinauf, ausser dem Stoffpinguin lege ich alles in eine Schublade und setze mich wieder auf die Bank.

Schuld ist natürlich mein Mann. Er hat eine Kurve etwas zu sportlich genommen, und all die losen Dinge haben sich der Schwerkraft gefügt. Den Stoffpinguin gebe ich der zweijährigen Liv zurück. Sie lächelt zum Glück wieder in ihrem Kindersitz. Mona, ihre Mutter und meine Freundin, sitzt neben ihr und lacht auch. Selbstverständlich haben die Männer vorne in der Fahrerkabine vom ganzen Geschepper nichts mitbekommen. Sie diskutieren über weiss Gott was. Vielleicht über Pferdestärken. Oder über die Route. Oder über den Elch, den sie noch immer nicht gesehen haben. Monas Mann Erich, der neben meinem Gatten auf dem Beifahrersitz sitzt, hält eine Strassenkarte auf den Knien. Verstehen können wir hinten im Wohnbereich nichts, denn die Akustik in einem Motorhome hat ihre eigenen Gesetze.

Eine Stunde zuvor sind wir vier Erwachsenen mit Sack und Pack und Kleinkind enthusiastisch ins Wohnmobil gestürmt – und dann ging gar nichts mehr. Irgendwo in der Enge des Raums klemmten wir fest und merkten: Der geübte Camper ist ein praktisch veranlagter Mensch. Und wir, wir sind es nicht. Wir sind Laien. Campingbanausen. Wir reisen alle das erste Mal in unserem Erwachsenenleben mit einem Motorhome durch ein fremdes Land. Durch Schweden.

Das mit dem Campen ist bei mir so eine Sache. Das erste und letzte Mal mit einem Wohnmobil unterwegs war ich als zwölfjähriges Mädchen. Und das ist jetzt doch schon dreimal zwölf Jahre her. Damals war dies genau das richtige Abenteuer für meine Geschwister und mich. Wir reisten durch Kanada. Wir wurden zu Vagabunden. Mein Vater trug plötzlich einen Bart, ich fotografierte mit meiner ersten Kamera Elche, Biber, Schwarzbären und Mountain Goats, die berühmten kanadischen Bergziegen. Wir durften Gold schürfen, Kanu fahren, auf Pferdefarmen campieren und die Cowboys beobachten, wenn sie die wilde Herde in die Pferche trieben. Über dem Feuer brieten wir riesige T-Bone-Steaks. Und damals in Kanada ass ich meinen ersten Big Mac. Unvergesslich! (In der Schweiz wurde der erste «McDonald’s» erst Lichtjahre später eröffnet.) Die engen Platzverhältnisse im Camper waren uns egal. Als Kind hat man andere Perspektiven.

Danach war Schluss mit Campen. Ich wurde erwachsen und ein Yuppie. Nie bin ich mit Rucksack und Zelt durch Europa getrampt, Campingplätze kenne ich nur vom Vorbeifahren oder von Reportagen in Magazinen. Ich reiste auf die Malediven, die Seychellen, auf Hawaii, nach Thailand. Blau, Grün und Weiss sind meine Farben, die Tropen mein Mantra, der Luxus meine Schwäche. Und jetzt Schweden. Eine Woche zu viert mit einem zweijährigen Kind in einem Camper. Der Reiseredaktor von annabelle hat uns dazu überredet.

Wir stehen draussen vor dem Motorhome. Auf den ungemachten Betten haben wir die unausgepackten Taschen deponiert. Es ist der 2. September, 17 Grad und bewölkt. Die Hauptsaison in Schweden ist Ende August vorbei. Wir befinden uns etwas ausserhalb von Stockholm auf einem riesigen eingezäunten Fuhrpark, wo Dutzende von Campern in diversen Grössen parkiert sind. Unsere Männer werden noch ein letztes Mal instruiert, wie die Gasflaschen zum Kochen ausgewechselt werden müssen, wo der Abwassertank ist, wie er entleert wird und wie die Strom- und Wasserversorgung funktioniert. Mona und mir ist das zu kompliziert. Im spärlich möblierten Office erledigen wir das Administrative und nehmen gegen Aufpreis unsere Extrawünsche in Empfang: einen Campingtisch mit vier Stühlen, ein BBQ-Set, einen Kindersitz, Bettwäsche, zwei Frotteetücher pro Person, eine Kaffeemaschine und zwei Velos.
Die Jungfernfahrt zum Supermarkt, der praktisch um die Ecke liegt, übernimmt mein Mann. Den exakt 6.99 Meter langen und 2.27 Meter breiten Camper parkiert er so präzis in eine PW-Lücke, als wäre er mit dem Steuerrad eines Wohnmobils in der Hand auf die Welt gekommen. Im Reiseführer lese ich, dass man Alkohol (schliesslich brauchen wir was zum Anstossen auf unsere Ferien) in Schweden nur in den staatlich geführten Alkoholläden – sie heissen Systembolaget – kaufen kann. (Die Selbstbedienung wurde übrigens erst 1991 eingeführt. Vorher musste man stundenlang anstehen, bevor man zu seiner Flasche kam.) Wir kaufen viel zu viel ein, die ungewohnten nordischen Leckerbissen lassen uns unbesonnen werden. Ausserdem ist alles ein paar Kronen günstiger als in der Schweiz. Es liegt auf der Hand, dass wir kaum die Hälfte in unserem puppenstubengrossen Kühlschrank verstauen können. Der Rest verschwindet in Schubladen.

Süden oder Norden? Die Wettersymbole auf der iPhone-App nehmen uns die Entscheidung ab. Wir fahren Richtung Süden, die Ostküste entlang. Mona und ich sitzen im Wohnbereich und studieren den Campingführer. In Schweden gibt es rund 600 Campingplätze, die dem Campingverband angeschlossen sind. Allzu lange wollen wir nicht mehr fahren, es ist ja schon Nachmittag. Wir entscheiden uns für den First Camp in Kolmården. Dem Führer entnehmen wir, dass es sich bei diesem Platz um eine «hübsch gelegene Urlaubsanlage mit hügeligem Waldgelände und wunderschöner Aussicht auf die Bucht» handelt und dass der First Camp etwa 22 Kilometer nordöstlich von Norrköping liegt.

Nach zwei Stunden kommen wir an. Die Anlage ist tatsächlich hübsch – doch gähnend leer. Nur ein paar Wohnwagen stehen verwaist auf ihren Plätzen. Die Réception ist zu, sie schliesst in der Nachsaison schon um 16 Uhr (was wir natürlich nicht wussten). Es ist 16.15 Uhr. Wir sind 15 Minuten zu spät. Nun müssen wir die erste Nacht auf Strom- und Wasseranschluss verzichten. Noch sind die Batterien und der 120-Liter-Frischwassertank voll.

Wir parkieren nach dem Lust-und-Laune-Prinzip, stellen den Campingtisch und die -stühle auf und geniessen die letzten Sonnenstrahlen, bevor wir die Betten beziehen und die Taschen auspacken. Mein Mann und ich bekommen das Doppelbett über der Fahrerkabine (erreichbar über eine kleine Leiter), Mona und Erich das Kajütenbett am Ende des Campers. Die Kleine schläft bei Mona im Bett. Aus dem Esstisch und den Sitzbänken könnte man nochmals zwei Betten basteln, aber die brauchen wir zum Glück nicht.

Die wenigen Kästchen und Schublädchen reichen nicht aus, um das Gepäck von vier Erwachsenen und einem Kleinkind zu schlucken. Oder wir haben einfach zu viel mitgenommen. Jedenfalls müssen wir das meiste in den Taschen lassen und diese im Lauf der Reise immer wieder umplatzieren.

Einen Abendspaziergang und ein paar Steine-ins-Meer-Würfe später sind wir noch immer keiner Menschenseele begegnet. Erich kocht uns auf dem Mini-Gasherd ein Nachtessen. Er hat die Hotelfachschule gemacht, und dass er kochen kann, wissen wir. Dass er über die schwedischen Hörnli flucht (sie sind in Rekordzeit verkocht), verzeihen wir ihm. Wir sind einfach nur dankbar, nicht selbst kochen zu müssen. Und Appetit haben wir so oder so. Der Abwasch ist umständlich, aus dem Hahn fliesst nur wenig Wasser, und im Supermarkt haben wir beim besten Willen keine Geschirrtücher gefunden. So trocknen wir Pfannen und Plastikgeschirr mit Haushaltspapier ab. Um 22 Uhr fallen wir todmüde in unsere Campingbetten. Ich schlafe erstaunlich gut. Unser schmales Doppelbett über der Fahrerkabine ist bequem, obwohl man sich an den sehr kleinen Abstand zwischen Bett und Decke gewöhnen muss. Beim Reinkriechen in unser Kabäuschen kann es schon mal passieren, dass ich mir den Kopf anstosse.
Am nächsten Morgen sind wir früh wach. Jetzt ist die Réception offen, wir bezahlen die Übernachtung und bekommen den Schlüssel für die Duschanlage. Die Duschkabine im Camper ist so winzig, dass wir auf dieses Abenteuer während der ganzen Reise verzichten. Zudem kann sogar ein kleiner Mensch wie ich (162 cm) auf der Toilette nur schräg sitzen. Wers gerade probiert, dem oder der klemmen die Knie an der dünnen Holzwand fest.

Ein weiterer Stolperstein im Leben eines Campinglaien ist der lange Weg vom Wohnmobil zur Duschanlage. Der muss nämlich durchdacht sein: Ist das Necessaire wirklich mit allem, was man braucht, gepackt? Hat man wirklich alle Kleider dabei, die man nach dem Duschen anziehen möchte? Und das Badetuch zum Abtrocknen? Mein Mann lässt schon am ersten Tag das Duschgel in der Duschanlage liegen, und Erich muss sich mit dem T-Shirt abtrocknen, weil er das Badetuch vergessen hat. Männer …

Campen frisst Zeit. Bis wir geduscht, gefrühstückt, abgewaschen und aufgeräumt haben, sind gut zwei Stunden vergangen. Wir wollen weiter, in einer Woche möglichst viel von Schweden sehen. Den Abstecher zum grössten Zoo Nordeuropas in Kolmården hätten wir uns sparen können, denn der Zoo ist in der Nachsaison unter der Woche geschlossen. Nach vier Stunden – die Distanzen in Schweden sind gross, und der Camper ist beim besten Willen kein Ferrari – erreichen wir Öland, die kleinere der beiden schwedischen Ostseeinseln. Trotz Dauerregen ists drinnen gemütlich. Mona und ich lesen oder diskutieren, die Kleine spielt im Kindersitz friedlich mit dem Stoffpinguin, und vorne in der Kabine führen die Männer ihr eigenes Gespräch.

Wieder ist der Campingplatz – wir haben uns für den Kronocamping in Saxnäs direkt am Meer entschieden – praktisch leer. Uns stört das nicht. Im Gegenteil: Man kann nur erahnen, wie dicht gedrängt die Wohnmobile in der Sommersaison Wagen an Wagen stehen, wie menschenvoll der Platz sein muss. Dafür haben wir kein Bikini-Wetter, tragen dicke Jacken. Beim Einchecken – dieses Mal wussten wir es besser und waren schon vor 16 Uhr da – erhalten wir den Zauberschlüssel für den privaten Strom- und Wasseranschluss. Nachdem wir den Abwassertank geleert haben, machen wir einen Ausflug nach Borgholm, der grössten Kleinstadt auf der Insel. Auch Borgholm ist wie ausgestorben, das Wetter bleibt schlecht, und wir essen in einem Restaurant, weil wir diesen Abend keine Lust auf den Mini-Gasherd haben.

So vergehen die Campingtage. Wir reisen von Öland ins Landesinnere, Richtung Westen durch Astrid Lindgrens Heimat Småland, nach Växjö am Helgasjön-See, von dort nach Tranås und weiter ins Zuckerbäcker-Städtchen Gränna am Vättersee. Von jetzt an gehts zurück Richtung Stockholm.

Täglich fahren wir drei bis vier Stunden. Vorbei an endlosen Nadelwäldern, zahllosen Seen (es gibt in Schweden knapp 97 000) und Holzhäusern in Rot, Gelb und Pastell. Wir sehen Kuhherden und Dutzende von Pferden, fünf Schafe, einen Esel und keinen Elch. Wir essen wunderbaren schwedischen Lachs und trinken roten Wein um Mitternacht. Wir duschen mal in sauberen, mal in dreckigen Duschanlagen. Wir lernen Deutsche kennen, die denken, wir seien Finnen (unser Camper hat ein finnisches Kennzeichen) und sich wundern, dass sie uns so gut verstehen. In Växjö wollen wir ins Experimentier-Museum – es ist geschlossen. In Tranås haben wir den Campingblues, wir können die Wohnwagen mit ihren Vorzelten, den kleinen propperen Gärtchen, den Campingprofis, die draussen an ihren Campingtischen in ihren Faserpelzen hartnäckig der Kälte trotzen, nicht mehr sehen. In Gränna scheint endlich die Sonne, wir sitzen am Hafen, schauen auf den Vättersee und schlecken – wieder versöhnt mit der Campingwelt – Zuckerstangen.

In Stockholm fahren wir trotz Warnung des Campingplatzbetreibers problemlos mit dem riesigen Wohnmobil in die Stadt, suchen die berühmten Markthallen, finden sie dank dem von zuhause mitgenommenen GPS auf Anhieb und kaufen ein. Ich esse meinen ersten Matjeshering. Seitdem bin ich bekehrt.
Das Beste an unseren Campingferien war das Wir. Wir vier hatten keine Minute Zoff, nie Langeweile, nur Frieden, Freude, Eierkuchen, witzige Diskussionen, gemütliche Abendstunden, fröhliche Frühstücke, vergnügliche Fahrten. Das Wir war das Salz in der Campingsuppe. Seit dieser Reise wissen Mona, Erich, mein Mann – er hat übrigens auch einen Namen und heisst Marcel – und ich, dass wir ein perfektes Team sind; dass wir sogar in einem Iglu noch unseren Spass hätten. Und das ist doch ein sehr gutes Gefühl.

On the Road

Mit dem Motorhome unterwegs
— Wählen Sie das passende Fahrzeug. So fällt bei trübem Wetter die Laune nicht ins Wasser.
— Buchen Sie früh genug – damit die Preise stimmen und die Auswahl noch gross ist.
— Nehmen Sies gemütlich. Bei Streckenabschnitten gilt: Weniger ist mehr.
— Je nach Fahrzeugtyp und Saison kostet ein Motorhome ab 175 Fr. pro Fahrzeug und Tag.
— Weitere Infos und Buchungen von Motorhome-Reisen: www.reisen-tcs.ch

Camping in Schweden

Für den Aufenthalt auf einem schwedischen Campingplatz empfehlen wir die Camping Card Scandinavia. Sie ist kostenlos, und man spart Zeit beim Ein- und Auschecken. Viele Campingplätze sind ganzjährig geöffnet, die Hauptsaison ist aber von Anfang Juni bis Ende August. Im Schnitt kostet eine Nacht auf einem Campingplatz für zwei Erwachsene und ein Kind etwa 30 Franken, inkl. Duschanlage.

Infos: www.camping.se

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