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«Ich will, dass meine Tochter eine starke Frau wird»

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«Ich will, dass meine Tochter eine starke Frau wird»

  • Foto: John Patrick Walder

Was heisst neue Weiblichkeit im Jahr 2017? Wir haben mit drei Millennials, die Teil unseres grossen Modeshootings aus dem Trendheft sind, über Femininität gesprochen. Für Insektenköchin Andrea Staudacher hat sich mit der Geburt ihrer Tochter ihr Blick auf Weiblichkeit komplett verändert. 

annabelle: Andrea Staudacher, Sie bereiten Dinnerspektakel mit Insekten zu oder organisieren Schlachtungen als Events. Bei diesen Inszenierungen spielen Sie gern mit dem Spannungsfeld von Abstossung und Anziehung. Beeinflusst das Prinzip auch Ihr Aussehen?
Andrea Staudacher: Ja, ich denke schon. Was ich lange nicht bewusst wahrgenommen habe, ist, wie sehr die Leute auf meine Tätowierungen reagieren. Eine junge Frau, voll tätowiert, das macht vielen Leuten auch heute noch Eindruck – obwohl ja mittlerweile wirklich jeder tätowiert ist. Ich glaube, es gibt schon ein Spannungsfeld zwischen diesen Tätowierungen und meiner Arbeit auf der einen Seite und meiner natürlichen Weiblichkeit auf der anderen Seite.

Haben Sie dieses Spannungsfeld bewusst gesucht?
Nein, das ist unbewusst passiert. Ich mache meine Arbeit aus einer Leidenschaft heraus. Ich hatte schon sehr früh eine Faszination für Knochen, für Taxidermie, für Blut und Innereien, für Insekten, aber auch für alles, was mit dem Tod zu tun hat und aus der Gruselecke kommt. Das war kein bewusster Karriereentscheid. 

Wie entstand dieses Interesse für Knochen und Käfer?
Ich weiss nicht, Barbies haben mich schon als Kind nie interessiert. Diese Faszination für die Materie war wirklich schon immer da und ist als Teenager noch gewachsen, eben weil mich die Ästhetik dieser Dinge begeistert.

Was genau macht für Sie diese Ästhetik aus?
Insekten sind symmetrisch, sie haben wunderschöne Farben und ganz unterschiedliche Oberflächenstrukturen: Sie haben Haare, sie haben Panzer, die glänzen, sie haben einen Bauch, der ganz zart und mit Rillen gewölbt ist, sie haben alle möglichen Formen auf ihrem Körper vereint, vom Dreieck bis zum Oktagon. Die Innenhaut eines Schweinebauchs ist ganz glatt und hat fast alle Regenbogenfarben, wenn sie nass wird. Die Form eines Herzes fasziniert mich, weil nur die Natur solche Formen generieren kann. Das finde ich sehr schön. Aber auch der menschliche Schädel: Das ist so ein starkes Symbol. Wenn man mal so einen Menschenschädel in der Hand hat, dann ist das eindrücklich. Seit meine Tochter auf der Welt ist, hat sich zudem mein Blick auf das Leben und den Tod verändert. Mir wurde bewusst, dass jeder, der hier draussen auf der Strasse rumläuft, mal auf die Welt gekommen und auf die Hilfe anderer angewiesen war. Die Geburt hat meinen Horizont erweitert.

Auch in Bezug auf Weiblichkeit?
Absolut. In der Schwangerschaft habe ich mich plötzlich sehr wohl in meinem Körper gefühlt, so wohl wie noch nie zuvor. Fast jede Frau hat etwas an ihrem eigenen Körper auszusetzen, bei mir hat sich das seit dieser Schwangerschaft verändert, was ich total cool finde. Mich hat überrascht, wie stark die Rollenbilder, die uns von unserer Gesellschaft vorgegeben werden, noch immer sind. Als meine Arbeit sehr viel Aufmerksamkeit bekam, war meine Tochter zwei oder drei Monate alt, da kam es zu Konflikten – auch mit meinem Partner. Ich war oft weg, er musste zurückstecken. Er hat das sehr gern getan, und er macht das auch gut, aber ich dachte immer, dass wir total gleichberechtige Partner sind. Doch gerade als Eltern ist es gar nicht so einfach, diese Gleichstellung aufrechtzuerhalten. 

Zum Beispiel?
Ich merkte, wie wichtig mir meine Tochter ist, dass ich doch öfter zuhause sein möchte. Ich könnte im Moment nicht 100 Prozent arbeiten, aber früher hätte ich mir nicht vorstellen können, dass ich das mal so empfinden werde. Ich dachte, das Leben wird gleich wie vorher, einfach mit Kind. Gleichzeitig ist das keine Einschränkung, denn Zeit mit meiner Tochter zu verbringen, bedeutet Entspannung für mich, ich kann sie geniessen und Energie auftanken. 

Welche weiblichen Attribute soll Ihre Tochter von Ihnen übernehmen?
Sie soll vor allem ein gesundes Selbstbewusstsein haben – und ein kritisches Denken. Das sind für mich sehr weibliche Attribute. Ich wünsche mir, dass sie eine starke Person wird, die einsteht für das, was sie will. Ich hoffe, dass sie sich gegen Ungerechtigkeiten wehrt. All das würde ich aber auch einem Bub wünschen.

Andrea Staudacher (27), hat den richtigen Riecher für unsere kulinarische Zukunft, sie kocht nicht nur mit Insekten, sondern inszeniert auch mal eine Schlachtung als Happening mit pädagogischem Effekt. 2016 hat sie Future Food Lab  gegründet, mit dieser Firma organisiert sie Caterings, Kochkurse und Talks. 

Haare: Rachel Bredy für Style Council/Zürich. Make-up: Daniela Koller für Style Council/Zürich. Styling: Daniella Gurtner & Nathalie de Geyter. Casting & Production: Monica Pozzi.