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Die neue Weiblichkeit

Stil

Die neue Weiblichkeit

  • Text: Daniella Gurtner; Foto: Imaxtree.com

Modechefin Daniella Gurtner über den emanzipatorischen Anspruch des Modesommers 2017.

Pastellfarben, pinke Schleifen, Spitze, transparente Stoffe, Disney-Kitsch und Einhorn-Alarm auf der einen Seite, auf der anderen geschorene Köpfe, Oversize-Silhouetten, Nadelstreifenanzüge und Männerhemden, wie sie Eurythmics-Sängerin Annie Lennox im Video zum Achtzigerjahre-Hit «Sweet Dreams» getragen hat. So sieht Mode im Jahr 2017 aus.

In den vergangenen Saisons hat sich die Mode mit Unisex-Entwürfen und mit dem spielerischen Einsatz von Klischees am Genderdiskurs abgearbeitet. Wir erklärten Geschlechtergrenzen für durchlässig und ersetzten das Wort Mode immer öfter durch den realitätsnäheren Begriff Kleidung. Und was kommt jetzt? Was ist der Zeitgeist, der in den Kollektionen dieses Sommers seinen Ausdruck findet? Was ist das Neue an dieser Weiblichkeit, die da verhandelt wird?

Labels wie Balenciaga oder Jil Sander haben diese Saison Entwürfe mit extrabreiten Schultern gezeigt. Die Aneignung, ja die Überzeichnung männlicher Attribute hatte aber bereits in den Achtzigern ihren emanzipatorischen Moment. Und dann ist da der plakative In-your-face-Feminismus, der sich an der Dior-Show mit feministischen Statement-Shirts zeigte. Er lässt sich via Instagram unreflektiert und bequem mit der eigenen Community teilen, mit Radikalität und einem politischen Standpunkt hat so viel Kommerzialität meiner Meinung nach aber wenig zu tun. Aber auch ein pastellfarbener Rüschenorgasmus entspricht nicht der Weiblichkeit und der Rolle der Frau, wie wir sie heute definieren.

Weiblichkeit heute ist vielmehr eine Vision, wie sie die Entwürfe von Céline auf den Punkt bringen. Célines Chefdesignerin Phoebe Philo ist, nach einem kurzen Hype um Vetements-Designer Demna Gvasalia, für mich einmal mehr die Stimme der Saison. Mit der Kollektion für diesen Frühling hat sie ein Bild von Weiblichkeit entworfen, das auch für Schwäche steht, das Scheitern zulässt und Weichheit explizit zur Stärke macht. Die Entwürfe zeigen wenig Haut, die Hemdkleider sind hochgeschlossen und reichen bis zur Wade. Dazu werden halbtransparente Strumpfhosen und Sandalen kombiniert. Keine nackten Beine, keine Décolletés, keine Haut, sondern fliessende Stoffe, die den Körper umhüllen, aber nicht verhüllen. Eine sanfte Sinnlichkeit, eine Sensibilität, eine subtile Erotik.

Auch wenn die politischen Kämpfe um gleiche Löhne, gleiche Rechte und gegen Sexismus wichtig und längst nicht ausgekämpft sind, geht es für mich in dieser Saison um Selbstreflexion, um eine selbstverständliche, eine neue Weiblichkeit. Diese Befindlichkeit fällt auch in der Kunst auf. Früher war der weibliche Akt auf den männlichen Blick ausgerichtet und sollte sein Begehren nähren. «Männer sehen Frauen an. Frauen beobachten sich selbst als diejenigen, die angesehen werden», so hat der vor kurzem verstorbene Künstler und Kunstkritiker John Berger 1972 die Betrachter weiblicher Aktbilder beschrieben. Weibliche Intimität spielte damals keine Rolle. Doch heute zeigen Künstlerinnen wie Lina Scheynius und Talia Chetrit Weiblichkeit offen und verletzlich. Sie stellen ihren eigenen Körper in den Mittelpunkt, aber nicht zur Schau. Selbstinszenierung und Nacktheit dienen der Selbstfindung, nicht der männlichen Lust. Zu hoffen bleibt, dass die neue Weiblichkeit kein flüchtiger Trend ist, sondern das Bewusstsein weckt, dass Weichheit auch Stärke bedeutet.

 

Link-Tipp:

Wie halten es die Millennials mit den Geschlechterrollen? Für die neue annabelle baten wir neun Schweizerinnen, die Grosses leisten, zum Fashionshooting mit den femininen Kreationen der Saison. Und um ihr Statement zur Frage: Was ist eigentlich weiblich? Die Strecke sehen Sie im aktuellen Heft. Drei Millennials aus unserem Trendshooting haben uns erzählt, was sie bewegt

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